Der «Cheesmeyer» als Gesamt kunstwerk
11.05.2021 Bezirk Sissach, Kultur, SissachDavid Thommen
Die «Theatercompany Texte und Töne» um den Tenniker Regisseur Kaspar Geiger plant, den «Cheesmeyer» – bekanntlich einst das erste Warenhaus weit und breit – während gut eines Monats in einen Ort der Kultur und der Begegnung zu ...
David Thommen
Die «Theatercompany Texte und Töne» um den Tenniker Regisseur Kaspar Geiger plant, den «Cheesmeyer» – bekanntlich einst das erste Warenhaus weit und breit – während gut eines Monats in einen Ort der Kultur und der Begegnung zu verwandeln. Das ehrwürdige Haus im Sissacher Ortskern mit seinem musealen Charakter soll während dieser Zeit weitgehend für die Öffentlich zugänglich sein. Geboten wird ein äusserst vielseitiges kulturelles Programm.
Geiger ist seit einigen Jahren mit dem Büro seiner «Theatercompany» im «Cheesmeyer» eingemietet, samt grossem Proberaum im Dachstock. Er und seine vierköpfige Truppe sind dem Charme der Liegenschaft längst erlegen: «Ein inspirierender Ort», sagen er und «Company»- Produktionsleiter Andreas Müller. Gleichzeitig spüre man eine gewisse Verlorenheit. Das Haus sei zwar gut erhalten, aber zumindest in den oberen Stockwerken kaum frequentiert. Hier sind kleine Firmen eingemietet, doch eine eigentliche Kommerzialisierung wie in vergleichbaren Häusern habe hier nie stattgefunden. Der 1901 erbaute «Cheesmeyer» mitsamt seinen reichen Innereien sei ein wahrer Schatz – die Vergangenheit sei nicht ausgelöscht, sondern sehr präsent. Daher gehöre die Aufmerksamkeit nun auf das Haus gelenkt, damit der Schatz mitsamt seinen vielen Geschichten nicht einfach versinke, so Geiger. Dem so wunderbar erhaltenen Haus gehöre ein Denkmal gesetzt.
Früher und jetzt
Allerdings wollen Geiger und seine «Theatercompany» den «Cheesmeyer» im Spätsommer nicht primär museal in Szene setzen. Natürlich spiele die Vergangenheit eine zentrale Rolle, doch fast alles, was geboten wird, solle einem zeitgenössischen und hochwertigen künstlerischen Ansatz genügen, sagt Geiger. Täglich werden ab dem 21. August entweder Theaterstücke aufgeführt, Konzerte gegeben, Perfomances gezeigt, Führungen angeboten und vieles anderes mehr. Für die Zeiten ohne Live-Vorführungen gibt es eine Fotoausstellung und vor allem permanente Installationen in den oberen Stockwerken – rund ein Dutzend Räume der Liegenschaft sind ins Projekt einbezogen. Die Zimmer und Objekte wie Möbel oder Kleider, von denen ein reicher Fundus aus den vergangenen Jahrzehnten im Jahr 1996 geschlossenen Warenhaus vorhanden ist, werden speziell in Szene gesetzt.
Auch Künstlerinnen und Künstlern kann in den «Cheesmeyer»-Zimmern bei der Arbeit zugeschaut werden – beispielsweise der Performance-Künstlerin Irene Maag, die aus einem mächtigen Käselaib «Käsefüsse» schnitzt. Passend zum «Cheesmeyer», der einst für seinen Käse berühmt war und natürlich auch Füsse einkleidete. Daneben gibt es Video-Installationen oder Audio-Hörstationen, wo Geschichten mit Bezug zum Haus oder zur Region (zum Beispiel «Der Bottenmord») erzählt oder spezielle Audio-Reminiszenzen (Wie hat ein Warenhaus früher geklungen?) gehört werden können.
In das ganze Projekt einbezogen sind auch das Antiquariat mit einer Reihe von Lesungen und das «Bistro» im Erdgeschoss. Hier wird sich die gefragte Koch-Performancekünstlerin Sandra Knecht (Buus) zeitweilig mit an den Herd stellen. Die «Alte Metzg» hinter dem grossen Haus wird als Informationszentrum dienen, dort ist auch ein theaterpädagogisches Projekt geplant. Eltern, die den «Cheesmeyer» besuchen, können dort ihre Kinder zum «Spielen» abgeben; zum Spielen auf den Brettern, die die Welt bedeuten. Ferner wird möglicherweise auch der stark restaurationsbedürftige Pavillon im Hinterhof ins Projekt mit einbezogen.
Zwei neue Theaterstücke
Was ab dem 21. August geboten wird, ist so ambitioniert, dass auch der Titel des Projekts etwas länger sein darf. Er lautet: «Cheesmeyer – Ein Haus zwischen den Zeiten. Ein interdisziplinärer Parcours durch das ehemalige Warenhaus für Krethi und Plethi – oder für Hinz und Kunz.» Wobei man in Sissach natürlich weiss, dass der Familienname Kunz in der Geschichte des Warenhauses wichtig war.
Nach dem Tod des legendären, aus dem Luzernischen zugewanderten Krämers Josef Meyer im Jahr 1894 übernahm Schwiegersohn Niggi Kunz die Kleider-, Stoff- und Möbelabteilung. Dessen Tochter Maria, die 1899 zur Welt kam, spielt im aktuellen «Cheesmeyer»-Kulturprojekt eine bedeutende Rolle: Ihre Geschichte wird von Luisa Tschannen geschrieben und von Kaspar Geiger als Theaterstück inszeniert. Maria Kunz rebellierte gegen ihre Familie, den Warenhauskommerz und die Enge des streng katholischen «Cheesmeyer»-Milieus. Sie wurde Ärztin, was zu dieser Zeit schon aussergewöhnlich genug gewesen war, und wanderte überdies mit der Deutschen Mission nach Südafrika aus, wo sie ein Leben lang praktizierte.
Maria Kunz war 2017 zwar schon eine Ausstellung gewidmet worden, doch manches war damals über ihr Leben und Befinden noch nicht bekannt. Mittlerweile ist Regisseur Geiger in einem der Zimmer das Tagebuch der Frau in die Hände geraten, auf dem vermerkt war: «Nicht lesen, verbrennen!» Die Schrift sei «unglaublich schwierig» gewesen, doch es sei gelungen, das Tagebuch zu transkribieren – Stoff für ein Stück, das nun während der «Cheesmeyer»-Kunstaktion jeweils am Wochenende in einem grossen Raum im Estrich gezeigt wird.
Ebenfalls widmet Geiger der Sissacher Dichterin Helene Bossert ein einstündiges Theaterstück, das ab dem 21. August an jedem Wochenende zweifach aufgeführt wird. Bossert war einst während des Kalten Kriegs nach Russland gereist, was ihr in der Heimat sehr übel genommen worden ist – und giftige öffentliche Debatten auslöste. Helene Bossert habe mit dem «Cheesmeyer» zwar direkt nichts zu tun, doch diese Frauenbiografie habe ihn stark interessiert. Das Stück werde in szenischen Fragmenten Einblick geben in Helene Bosserts Leben und Schaffen, unter anderem durch Einbezug angriffiger Äusserungen gegen Bossert, die damals auch in der «Volksstimme» zu lesen waren. Und auch eine dritte Frau wird ins Zentrum gerückt: Die 1904 geborene Edith Häfelfinger, die als Künstlerin im Schatten ihres berühmteren Ehemannes Eugen «Tschems» Häfelfinger stand. Jetzt wird ihr Schaffen gewürdigt. Robert Häfelfinger, heutiger «Cheesmeyer»-Miteigentümer, wird ab 21. August regelmässig Führungen veranstalten und ihre Werke erläutern. Worauf man sich freuen darf, denn Robert Häfelfinger ist ein glänzender Erzähler mit einem unglaublichen Wissen rund um das einstige Warenhaus.
Laut Geiger sind es diese drei Frauenfiguren und das Haus in seiner Vielfalt, die das Herzstück des einmonatigen Kunstprojekts bilden werden. Rund 20 Künstlerinnen und Künstler verschiedenster Sparten sind involviert. Auf einzelne Protagonistinnen und Protagonisten sowie Teilprojekte wird die «Volksstimme» im Vorfeld der Kulturaktion zweifellos zurückkommen.
Beachtliches Budget
Wie vielschichtig das Gesamtprojekt ist, zeigt das Dossier, das für den Antrag um finanzielle Unterstützung beim Swisslos-Fonds eingereicht worden ist – es umfasst nicht weniger als 76 A5-Seiten. Die Eingabe scheint überzeugt zu haben: Die Baselbieter Regierung bewilligte 170 000 Franken für die Umsetzung des Projekts, was rund 70 Prozent des Budgets für den ganzen «Cheesmeyer»-Monat ausmacht. Das restliche Geld stammt von nationalen Kulturstiftungen, dazu kommen die Erträge aus dem Ticketverkauf und erhoffte Sponsorenbeiträge. Für einen Kulturevent in Sissach ist das ein beachtliches Budget.
«Wir machen den ‹Cheesmeyer› temporär zu einem Ort auch der Begegnung, was er ja einmal war und in Zukunft noch viel mehr sein könnte», sagen Geiger und Produktionsleiter Müller. Vielleicht sei es ja eine Art «Probebetrieb». Er fände es richtig, wenn der «Cheesmeyer» künftig vermehrt für die Kultur und kulturelle Veranstaltungen geöffnet würde, sagt Geiger und hofft, mit der grossen Aktion diesbezüglich einen Prozess in Gang zu setzen. «Cheesmeyer»-Mitbesitzer Robert Hälfefinger und dessen Familie zeigten sich offen für solche Ideen.