Das Kreuz mit dem Sternchen
28.05.2021 Baselbiet, Seltisberg, GesellschaftEin kleines «d» im Stelleninserat gibt gross zu reden
Neben dem zähen Ringen um den Steuerfuss gibt in Seltisberg ein Stelleninserat im Gemeindeanzeiger zu reden: Wie sehr soll die Gemeinde politisch gerecht formulieren, ohne gleich Grundsatzdebatten auszulösen? Viele Amtsstuben richten ...
Ein kleines «d» im Stelleninserat gibt gross zu reden
Neben dem zähen Ringen um den Steuerfuss gibt in Seltisberg ein Stelleninserat im Gemeindeanzeiger zu reden: Wie sehr soll die Gemeinde politisch gerecht formulieren, ohne gleich Grundsatzdebatten auszulösen? Viele Amtsstuben richten sich nach dem Kanton.
Jürg Gohl
Zu früh gefreut. Wer nach der Seltisberger Einwohnerversammlung vom 27. April und dem zähen Kampf um ein geltendes Budget für das längst laufende Jahr damals aufatmete, hatte nicht mit dem berühmten «Diversen» gerechnet. «Spitze bei diesem Traktandum deine Ohren! Dort lauern die guten Geschichten», geben die Zeitungsredaktionen ihren Praktikantinnen und Praktikanten auf den Weg mit, nur damit deren Motivation und Konzentration bei Monologen über Wasserkassen keinen Schaden nehmen.
Endlich ist das erhöhte Budget im Trockenen. Da verschafft ein Einwohner in Liestal, wohin die Versammlung corona-bedingt verlegt ist, seinem Ärger Luft. Er stört sich an einer Stellenausschreibung der Gemeinde. Sie sucht darin jemanden für das Schulsekretariat, nämlich – ohne grammatikalischen Titel – «Sachbearbeitende». Also streng genommen eine Frau, weil sonst «Sachbearbeitende/r» stehen würde.
Verweis auf Kantons-Leitfaden
Doch das ist nicht der Punkt. Der männliche Einwohner stört sich vielmehr an der Bezeichnung m/f/d, die hinter der Stellenbezeichnung nachgereicht wird. Das bedeutet, dass sich Männer und Frauen sowie «Divers» – Personen also, die sich keinem der beiden Geschlechter zuordnen – um diese Stelle bewerben können. Es geht hier zwar nur um eine 20-Prozent-Stelle. Doch das reicht längst, um eine Grundsatzdebatte loszutreten. Nicht zum ersten Mal löste das Formulieren eines Inserats auf dem «Sälti» eine Wortmeldung aus. Bereits im Januar wurde «eine Persönlichkeit als Verwaltungsangestellte (m/f/d)» gesucht.
Dem Einwohner wird beschieden, dass sich die Verantwortlichen bei Stellenausschreibungen nach den Empfehlungen des Kantons richten. Dort ist ein Leitfaden zu finden, wie die diversen Medienstellen in Liestal am besten «gendern», also Mitteilungen so verfassen, dass sie nicht den Zorn des Gleichstellungsbüros wecken.
Auf elf Seiten werden Ratschläge erteilt, welche allgemeinen Schreibweisen beim Kanton gelten, zwei davon sind mit «geschlechtsgerechter Sprache» überschrieben. Oder anders: Wie wird in den Liestaler Schreibstuben am einfachsten ein flüssiger Text ohne Verdoppelungen (Landrätinnen und Landräte), Schrägstriche, Sternchen und anderem verfasst, ohne politisch unkorrekt zu erscheinen? Im regierungsrätlichen Informations- und Kommunikationskonzept steht: «Regierungsrat und Verwaltung kommunizieren in einer zeitgemässen und allgemein verständlichen Sprache. Formulierungen, welche Personen betreffen, müssen sich auf Frauen und Männer gleichermassen beziehen.»
Die Bundeskanzlei wird da weit ausführlicher. Vor mittlerweile zwölf Jahren erschien ein «Leitfaden zum geschlechtergerechten Formulieren im Deutschen». Er umfasst an die 200 Seiten. Darin wird zuerst begründet, weshalb Texte geschlechtergerecht formuliert sein sollen. Danach wird anhand von Beispielen aufgezeigt, wie dieses Ziel erreicht werden kann, ohne der Sprache zu viel Gewalt anzutun.
Kein Geschlecht ausgeschlossen
Wir kennen die Ratschläge bestens: Formulierungen wie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter so oft wie möglich verwenden und, bevor es zu bunt wird, auf Mitarbeitende ausweichen. Lehrerinnen und Lehrer verwandeln sich in Lehrpersonen. Nur im Notfall mal zu grammatikalischen Passiv-Formulierungen greifen. Neutrale Sammelbegriffe wie Jugendliche, Publikum, Kundschaft, Geschäftsleitung und Landrat verwenden.
Verboten ist hingegen, stellvertretend ein Geschlecht zu nennen, wenn beide gemeint sind. Bei Doppelnennungen gilt «Ladies first»: Maturandinnen und Maturanden. Diese kantonalen Richtlinien würden, notabene, auch mancher Redaktorin und manchem Redaktor – oder einfach mancher Zeitungsredaktion – gut anstehen. In vielen Produkten herrscht hier, und damit am falschen Ort, Vielfalt.
«Es ist anzustreben, dass für die Adressaten der Erlasse sowie für Organ- und Funktionsbezeichnungen geschlechtsneutrale Formulierungen verwendet werden», schrieb der Baselbieter Regierungsrat schon 1990, der damals zu 100 Prozent männlich bestückt war.
Sissach greift zu den Sternen
Wie Seltisberg beruft sich auch die Gemeinde Sissach auf die Richtlinien des Kantons. Sie würden die geschlechtsneutrale Variante und zudem einheitlich das Sternchen (*) verwenden, das den früheren Schrägstrich ersetzt, sagt der abtretende Verwalter Godi Heinimann. Sissach hat kürzlich tatsächlich eine Stelle «für eine*n erfahrene*n Mütter- und Väterberater*in» ausgeschrieben. Zweifellos korrekt.
Bei der am 29. Januar gesuchten «Springerin für den Mittagstisch» geht indes aus dem Beschrieb nicht hervor, ob sich Männer auch melden dürfen. Godi Heinimanns Nachfolger Pascal Andres wird im Titel der offiziellen Mitteilung neutral als «neue Verwaltungsleitung» angekündigt. Erst im Text wird Farbe bekannt und vom neuen Gemeindeverwalter geschrieben.
Reto Lauber, Heinimanns Amtskollege in der Nachbargemeinde Itingen, sagt, dass bei ihnen die Variante «MitarbeiterIn», also ohne Sternchen und ohne Schrägstrich, dafür mit dem grossen Binnen-I, gepflegt wird und spricht von einer nicht festgeschriebenen «Usanz». Tabu sei einzig, die rein männliche Form zu verwenden, wenn alle Geschlechter gemeint sind. Die Wahl der Formulierung hängt bei ihm auch von der Situation ab: «MitarbeiterIn» finde sich in einem Stelleninserat. In einem Brief aber greift er zu Formulierungen wie «Liebe Mitarbeiterinnen, liebe Mitarbeiter».
Mitteilung versus Literatur
Das meint auch der Basler Autor Patrick Tschan, der sich kürzlich in der «Basler Zeitung» in seiner Kolumne scharfzüngig mit politisch korrektem Schreiben befasste, das auch Schriftstellerinnen und Schriftsteller auf Trab hält. «Darum, liebe Korrektinnen und Korrekten, richtet eure Überwachungskameras auf amtliche Texte, aber haltet euch von der Literatur fern.» Er rät seinen Kolleginnen und Kollegen markig: «Verbannen wir die Schere in unserem Kopf, unterlassen jegliche Anbiederungsversuche, sondern halten die Fahne des freien Kulturschaffens auch im Sturm der Zensur hoch. Jedes Buch wird seine mündigen Leserinnen und Leser finden.»
Schnell können wir, um von der Literatur wieder zu den Gemeindenachrichten zurückzufinden, vor lauter Korrektheit ins andere Extrem kippen: Ein Stöbern in der jüngsten «Büchel-Zytig», dem offiziellen Organ der Gemeinde Zunzgen, fördert zutage, dass dort nicht der Lehrerin, sondern der «Lehrperson» Patricia Ponti zum Jubiläum gratuliert wird.
Übrigens: Die kantonale Fachstelle für die Gleichstellung für Frauen und Männer hat eine Broschüre «Sprache für alle» herausgegeben mit zehn Tipps. Der letzte lautet: Am Schluss alles nochmals kritisch durchlesen.
Ok, das mache ich jetzt.
Wittinsburg: Männer und Frauen im Fokus
jg. Mit einer Gemeindepräsidentin (Caroline Zürcher) und einer Gemeindeverwalterin (Simone König) ist Wittinsburg in Frauenhand. «Grundsätzlich schreiben wir alle Stellen so aus, dass sich sowohl Männer als auch Frauen angesprochen fühlen», erklärt die Präsidentin. Der Gemeinderat würde daher «eine Gemeindeverwalterin oder einen Gemeindeverwalter» suchen. So lautet die Sprachregelung, die der Gemeinderat zusammen mit der Verwaltung festlegt. «Im Vordergrund steht für uns aber nicht das Geschlecht, sondern die Kompetenzen, die jemand mitbringt», ergänzt Caroline Zürcher. Als kürzlich Baukommissionsmitglieder gesucht wurden, legte der Gemeinderat Wert darauf, dass mindestens eine Frau im Gremium mitwirkt. Nun sind es zwei Frauen.
Buus: Stets geschlechtsneutral
Es liegt in der Kompetenz von ihm selber, wie Stellenausschreibungen und Mitteilungen formuliert werden. Dies sagt Maisprachs neuer Gemeindeverwalter Claudio Maibach. Für ihn sei es aber selbstverständlich, dass die Verlautbarungen «stets geschlechtsneutral» verfasst würden, hält er fest. Fixe Richtlinien gebe es nicht.
Lausen: Schrägstrich, Sternchen, beide
In Lausen werde bislang auf fixe Regeln verzichtet, sagt Verwalter Thomas von Arx, man verwende aber bewusst immer die «weibliche und die männliche Form», um so alle bewusst anzusprechen. «Es gebe auch Mitarbeitende, die mit dem Schrägstrich arbeiten.»
Bubendorf: Immer mit Sternchen
Beat Schatz (Bubendorf), verwendet für amtliche Mitteilungen die Sternchen-Variante. Dies sei mit dem Gemeinderat so vereinbart. «Weiter haben wir über die gendergerechte Schreibweise noch nicht diskutiert». Schatz hat gerade in zwei Stellenausschreibungen zu den Sternen gegriffen. In einer wird ein/eine «Nachfolger*in Chef Werkhof» gesucht. In der anderen geht es um die/den «Nachfolger*in» für Gemeindeverwalter Beat Schatz selber.