«Ich habe nichts Verbotenes getan»
15.05.2021 Bezirk Waldenburg, Kirche, Waldenburg, GesellschaftPfarrer will kritische Debatte über unseren Umgang mit Covid-19 führen
Mit Corona-Massnahmen kritisierenden Plakaten am Tor des Pfarrhauses hat Hanspeter Schürch den Ärger eines Kirchenmitglieds und der Waldenburger Verwalterin erregt. Wenn man wolle, könne man die Aushänge den ...
Pfarrer will kritische Debatte über unseren Umgang mit Covid-19 führen
Mit Corona-Massnahmen kritisierenden Plakaten am Tor des Pfarrhauses hat Hanspeter Schürch den Ärger eines Kirchenmitglieds und der Waldenburger Verwalterin erregt. Wenn man wolle, könne man die Aushänge den querdenkerischen Kreisen zuordnen, sagt der reformierte Pfarrer. Doch das greife zu kurz.
Sebastian Schanzer
«Masken können bei Kindern die Frischluftzufuhr um 32 Prozent reduzieren.» Wahr oder nicht − so steht es auf einem Flyer am Tor des Waldenburger Pfarrhauses. Dort ist auch zu lesen, die Covid-19-Impfstoffe würden «in Ihre Gene eingreifen». Ein anderer Aushang listet die Unterschiede zwischen einer «Echten Pandemie» und einer «Fake Pandemie» auf. Eine Gruppe von Menschen bekundet auf ihrem Flyer des Weiteren ihre Trauer um isolierte Menschen, Opfer von häuslicher Gewalt und ganz generell um den Verlust von Rechten und Freiheiten. Sie postuliert: «Jetzt isch gnueg!!!»
Spätestens an der Corona-Demonstration in Liestal im März ist die Bewegung der Massnahmengegnerinnen und -gegner auch im Baselbiet öffentlich in Erscheinung getreten. Unter den Demonstrierenden befand sich auch Hanspeter Schürch, seit 22 Jahren reformierter Pfarrer in Waldenburg. Er ist dafür verantwortlich, dass an der Türe des Pfarrhauses die erwähnten Flyer hängen. Gerne zieht der Pfarrer augenzwinkernd den Vergleich zu Luthers Thesenanschlag, dessen Jubiläum die reformierte Kirche vor einiger Zeit ausführlich gefeiert hatte.
Verdecken oder entfernen
Den Vergleich mit dem grossen Reformator können in Waldenburg nicht alle Mitglieder der Kirchgemeinde nachvollziehen. Bei der Gemeindeverwaltung ging vergangene Woche eine E-Mail eines älteren Mannes ein, der sich über die «Verschwörungstheorien» am Pfarrhaustor beschwerte. Von der Gemeindeverwaltung erhielt sodann die Kirchenpflege die Anweisung, man möge die störenden Flyer zumindest während des bevorstehenden Frühlingsmarkts in Waldenburg verdecken oder definitiv entfernen − auch wenn in der Schweiz die freie Meinungsäusserung garantiert sei.
Der Pfarrer wehrte sich dagegen. «Ich habe nichts Verbotenes getan», sagt er auf Anfrage. In seinem Mietvertrag stehe nichts von einer eingeschränkten Nutzung des Aushangs am Pfarrtor. Er habe abgeklärt, dass der oder die Mitarbeitende der Verwaltung das Schreiben eigenmächtig und nicht im Auftrag des Gemeinderats verfasst hatte. Die Kirchenpflege will sich am kommenden Dienstag mit der Frage befassen: Darf sich der Pfarrer im Namen der Kirche mit seiner persönlichen Haltung zur Corona-Politik äussern? Eigentlich solle sich die Kirche aus der Politik heraushalten, findet Schürch. Als sich eine Vielzahl von Kirchen in Dörfern und Städten − unter anderem in Reigoldswil − mit einem Banner am Kirchturm für die Konzernverantwortungsinitiative starkgemacht hatten, ärgerte er sich über die Solidarisierung mancher Kirchen mit dem «linken Mainstream», wie er es nennt.
Gleichwohl fordert der Pfarrer nun: Die Kirche als moralische Instanz müsse zur Corona-Politik der Schweiz eine ergebnisoffene, nachvollziehbare Debatte einfordern. Sie müsse das tun, weil es der Staat nicht tue. Ebenso, weil die Wissenschaft trotz widersprüchlicher Stimmen stets einen Konsens vorgaukle, um die verordneten Massnahmen zu rechtfertigen. «Immer wieder kommen Menschen zu mir und fragen, warum die Kirche zu diesem Thema schweigt. Und genau das werfe auch ich der Kirche vor.»
Die Wut der Ungehörten
Dass sich der Waldenburger Pfarrer eher mit Maskengegnern und Impfskeptikern statt mit der schutzbedürftigen Bevölkerung solidarisiert, erstaunt allerdings. Mehrere an − oder mit − dem Coronavirus verstorbene Menschen hat Schürch in Waldenburg bereits beerdigt. Ist es nicht ein Hohn für die trauernden Hinterbliebenen, wenn am Tor zum Pfarrhaus Plakate hängen, welche die Pandemie und die Schutzmassnahmen dagegen infrage stellen? «Nein, solche Klagen sind mir bisher nicht begegnet», sagt Schürch. Mühe hätten die Hinterbliebenen vielmehr damit, dass ihnen das Abschiednehmen durch die Schutzmassnahmen erschwert wurde.
Klar, manche Behauptungen seien überzogen, und wenn man wolle, könne man einzelne Flyer und Plakate an der Türe querdenkenden Kreisen zuordnen. «Doch das greift zu kurz», sagt er. «Es ist die Wut der Ungehörten und Übergangenen, die sich zum Teil in abstrusen Theorien Bahn bricht. Diese Theorien sind aber die Folgen des Wegsperrens abweichender Meinungen.» Es brauche eine offene Debatte, um der offensichtlichen Spaltung der Gesellschaft entgegenzuwirken. Den Einwand, Menschen, die der Corona-Politik des Bundesrats kritisch gegenüberstehen, seien an einem konstruktiven Dialog gar nicht interessiert, lässt Schürch nicht gelten: «In Kreisen von Massnahmengegnern ist es ein dauernd vorgetragener Wunsch, all die Einwände, die jetzt in allerlei Schmuddelecken verbannt sind, einmal ans Licht zu bringen.»