«Einfallsloser Pragmatismus»
18.03.2021 Parteien, Verkehr, Politik, Sissach«Begegnungs AG» und Stechpalme kritisieren Stephan Martis Pläne
Mit seiner Strategie der kleinen Schritte kommt Gemeinderat Stephan Marti bei Befürwortern von mehr Begegnung und weniger Blech in der Begegnungszone schlecht weg. Gewerbetreibende stellen sich dagegen hinter ...
«Begegnungs AG» und Stechpalme kritisieren Stephan Martis Pläne
Mit seiner Strategie der kleinen Schritte kommt Gemeinderat Stephan Marti bei Befürwortern von mehr Begegnung und weniger Blech in der Begegnungszone schlecht weg. Gewerbetreibende stellen sich dagegen hinter ihn.
Christian Horisberger
Mit einem Parkleitsystem und einem Zeitfenster für Warenanlieferungen will der Sissacher Verkehrschef Stephan Marti mehr Ruhe in die Begegnungszone bringen. Von einem Einbahnverkehr oder einem baldigen Parkplatzabbau innerhalb des «Strichcodes» will er nichts wissen (siehe «Volksstimme» vom Dienstag). Die Reaktionen auf die Ankündigung Martis reichen von «volle Unterstützung» bis «jetzt passiert weitere zehn Jahre nichts».
«Immerhin tut Marti etwas», sagt Stefan Zemp, «aber es ist nicht zielführend». Der «Verwaltungsratspräsident» der «Begegnungs AG», die sich für mehr Aufenthaltsqualität in der Begegnungszone engagiert, ortet in Martis Plan einen Widerspruch: Der Verkehr solle mit einem Parkleitsystem in die freien Parkings im Zentrum gelotst werden, um die Begegnungszone zu entlasten – ohne aber dort Parkplätze abzubauen. «Wozu ein teures Parkleitsystem, wenn nicht gleichzeitig Parkplätze gestrichen werden?», fragt der frühere SP-Landrat.
Die Parkplätze seien es doch, die einen grossen Teil des Verkehrs verursachen. Eine Beruhigung erziele man nur mit einem Abbau. Er ertappe sich ja oft selber, sagt Zemp: «Habe ich die Wahl zwischen einem möglichen freien Parkplatz 10 Meter vor dem Laden und einem sicheren Parkplatz 200 Meter entfernt, schaue ich zuerst nach, ob in der Nähe des Ladens etwas frei ist.» Anders würde er sich wohl verhalten, wenn die Parkplätze rarer wären und er mit grosser Wahrscheinlichkeit keinen fände.
Parkgebühr als «Motivation»
Ein teures Parkleitsystem bringe nur in Kombination mit der Streichung von Parkplätzen etwas, ist auch Rolf Cleis von der «Stechpalme» überzeugt. Ändere man im Kern nichts, fehle die Motivation für eine Verhaltensänderung. Hier habe die Gemeinde ihre Möglichkeiten, sagt Cleis: Über 46 der etwas mehr als 100 Parkplätze in der Begegnungszone könne sie verfügen – also ganz oder teilweise streichen oder umgestalten. Cleis stellt zudem eine Parkgebühr in der Begegnungszone zur Debatte. «Das würde die Motivation steigern, ein Parkhaus aufzusuchen.»
Von den kleinen Schritten, die Marti bei der Begegnungszone zu vollziehen gedenkt, hält man bei der «Stechpalme» herzlich wenig. «Das hatten wir die vergangenen 13 Jahre», sagt Cleis. «Wenn man so weiterfährt, tut sich auch in den nächsten zehn Jahren nichts.» Ins gleiche Horn stösst Zemp: «Wir wollen jetzt eine Qualitätsverbesserung in der Begegnungszone und nicht irgendwann, wenn auf dem Six-Madun-Areal vielleicht einmal ein Parkhaus realisiert wird. Wir verlangen ein Gesamtkonzept.» Und die Mitwirkung der Bevölkerung: «Bei der Entwicklung einer so grossen Sache muss man die Meinung der Einwohnerinnen und Einwohner abholen», findet Zemp.
Die «Begegnungs AG» hat dies bereits getan und die von ihr gesammelten Vorschläge dem Gemeinderat unterbreitet. Das neu für die Begegnungszone verantwortliche Ratsmitglied spreche von idealistischen Ansätzen und lehne selbst einen Versuch mit einem Einbahnverkehr in der Begegnungszone kategorisch ab, sagt Zemp.
«Parkplätze sind existenziell»
Die düstere Prognose Martis, die Begegnungszone stürbe bei einem Parkplatzabbau, teilen weder Zemp noch Cleis. «Es ist eine Frage der Umgewöhnung», sagt Cleis und verweist auf die Altstadt von Rheinfelden, die nach der Verkehrsberuhigung zunächst eingeschlafen war, inzwischen aber sehr belebt sei. Zemp schwärmt vom Liestaler «Stedtli», wo mit grosszügigen Gartenbeizen Begegnungsräume geschaffen worden seien: «Liestal hat das vorbildlich gelöst.»
Die Gewerbetreibenden, die von einer möglichst hohen Publikumsfrequenz in der Begegnungszone abhängig sind, begrüssen den Pragmatismus von Gemeinderat Marti. «Ich bin nicht pro Auto, sondern pro Gewerbe», sagt Gewerbevereinspräsidentin Christine Tschan. Sie freue sich über alle Besucher im «Strichcode», ob sie nun per Auto, Velo, öV oder zu Fuss kommen. Von ihnen würden viele Existenzen abhängen.
Bäcker und Gastronom Fredy Gunzenhauser wird deutlicher: «Nahe Parkplätze sind für meine Betriebe existenziell.» Solange in unmittelbarer Nähe des Zentrums nicht neue öffentliche Parkmöglichkeiten zur Verfügung stehen, sind weder Gunzenhauser noch Tschan bereit, Parkplätze in der Begegnungszone zu opfern. Der Bäckermeister erinnert an die Gemeindeversammlung, die 2001 über den «Strichcode» beschloss. Man habe damals klar festgehalten, dass Sissach Zentrums-, Markt- und Einkaufsort bleiben solle, wofür genügend Parkplätze vorhanden sein müssten. Die damals 88 Parkplätze im Perimeter der Begegnungszone sollten beibehalten werden. Wolle man an diesem «Grundversprechen gegenüber dem Gewerbe» etwas ändern, müssten auch die Rahmenbedingungen geändert werden, sagt der Unternehmer und meint damit ein neues Parkhaus.
«Kessel unter Dampf setzen»
Auch in den weiteren Punkten sind die Gewerbetreibenden auf Martis Linie. Insbesondere ein Parkleitsystem begrüssen sie. Tschan sagt, dass sie von Auswärtigen immer wieder höre, dass sie die Parkings von Coop und BLKB nicht kennen würden.
Sie habe Verständnis für die Menschen, die sich am Blech in der Begegnungszone stören, stellt die Gewerbevereinspräsidentin klar. Gleichwohl ist sie der Meinung, dass viele Begegnungen stattfinden würden.
Das stellt Pascal Gysin von der «Begegnungs AG» nicht in Abrede. Dennoch sei er «konsterniert» über den Ansatz von Stephan Marti. Dessen Pläne für die Begegnungszone seien nicht mehr als «Pflästerlipolitik» und drehten sich ausschliesslich um Verkehrsfragen und Strassenbelag, nicht aber um Aufenthaltsqualität, Begegnung und Freiraum. «Warum nicht ein Einbahn-Versuch mit mehr Platz für Strassencafés auf der gewonnenen Fläche?», fragt Gysin. Auch Gewerbetreibende hätten ihm gegenüber signalisiert, dass sie für einen Test zu haben wären. Marti aber fokussiere auf die Parkplatzdiskussion und beende sie mit dem Killerargument «Parkplätze weg – Begegnungszone tot» sogleich.
«Mit seiner Einfallslosigkeit verpasst Gemeinderat Marti die Chance, das Dorfzentrum herauszuputzen und mehr Qualität in die Begegnungszone zu bringen, die Sissach dem Kanton für den Umfahrungstunnel abgerungen hat», findet Gysin. Zu diesem kostbaren Geschenk Sorge zu tragen, habe er sich aber fest vorgenommen. Daher werde er zusammen mit der «Begegnungs AG» den «Kessel wieder unter Dampf setzen»: «Wir werden auf politischer Ebene aktiv werden.»