Der Rattenschwanz der geschlossenen Gastronomie
26.01.2021 Baselbiet, Gastronomie, WirtschaftWas die Beizenschliessung für die Zulieferer bedeutet
Kurz vor Weihnachten wurden als Pandemiemassnahme schweizweit alle Restaurants geschlossen. Eine Umfrage der «Volksstimme» zeigt, inwiefern davon nicht nur die Beizen selbst, sondern auch deren Zulieferer betroffen ...
Was die Beizenschliessung für die Zulieferer bedeutet
Kurz vor Weihnachten wurden als Pandemiemassnahme schweizweit alle Restaurants geschlossen. Eine Umfrage der «Volksstimme» zeigt, inwiefern davon nicht nur die Beizen selbst, sondern auch deren Zulieferer betroffen sind.
Anouk Jordi
Seit dem 22. Dezember vergangenen Jahres sind die Restaurants schweizweit geschlossen. Zu Beginn galten Ausnahmen für Kantone mit besonders günstiger epidemiologischer Lage. Seit dem 9. Januar wird jedoch in der ganzen Schweiz nicht mehr auswärts gegessen. Die Gastronomiebetriebe können ihre Waren nur noch per Takeaway anbieten. Daran müssen sich Gastronomen und Konsumenten gewöhnen: Die Massnahme ist bis mindestens Ende Februar verlängert worden.
Die Beizer werden von der Schliessung ihrer Gaststuben hart getroffen. Sie machen grosse Verluste und kommen teilweise in existenzielle Geldnöte (die «Volksstimme» berichtete). Viele sind verärgert darüber, dass sie mit viel Mühe Schutzkonzepte erarbeitet hatten und dann doch nicht offen bleiben durften. Die versprochenen Entschädigungen des Bundes liessen auf sich warten.
Nicht nur Beizer sind betroffen
An den geschlossenen Restaurant-Türen wird die Massnahme sichtbar. Aber die Beizer sind nicht die einzigen Betroffenen. Woher beziehen die Restaurants das Essen, das sie ihren Gästen verkaufen? Leiden die Zulieferer der Beizer gleich stark unter den Massnahmen des Bundes wie die Gastronomen selbst? Wie sah für die Produzenten von Kaffee, Fleischprodukten, Wein, Bier und so weiter die Situation im Frühling aus? Inwiefern wurden sie von Corona generell getroffen? Eine Umfrage der «Volksstimme» bei verschiedenen Getränkesowie Essenszulieferern soll all diese Fragen beantworten.
Die Umfrage zeigt: Einige Betriebe mussten sich plötzlich Alternativen ausdenken, als der Verdienstzweig Gastronomie einfach wegbrach. Meistens waren die Betreiber dabei ziemlich kreativ. Die tatsächlichen Verluste sehen hingegen sehr unterschiedlich aus.
Hoffentlich nicht wieder Essig
ch. «Gastronomie, Hotellerie, Events – alles fällt weg. Es ist schrecklich.» Für Brauereien wie Unser Bier (Basel), die nach Liestal expandieren will, ist die Pandemie ein besonders harter Schlag. Geschäftsführer Luzius Bosshard schätzt den Umsatz, den sein Unternehmen in der Gastronomie macht, auf rund 60 Prozent. Entsprechend stark sind die Verkäufe als Folge der Corona-Massnahmen eingebrochen.
«Bis September dachten wir, wir kämen mit einem hellblauen Auge davon», sagt Bosshard. Aber dann seien ab Oktober die Bankette und Geschäftsanlässe in der Braustube ausgefallen. Im ganzen Jahr 2020 mit Shutdown im Frühling und Absagen zahlloser Events gingen die Verkäufe der Kleinbrauerei im Vergleich zum Vorjahr um 25 Prozent zurück. Mit zusätzlichen Efforts wie Onlineshop, Heimlieferung sowie Rampenverkauf habe der Umsatzverlust nicht annähernd kompensiert werden können, bilanziert Bosshard.
Rigorose Aktionen mit Preisabschlägen von bis zu 50 Prozent wie die der Grossen der Branche lägen für die Kleinbrauerei nicht drin, sagt er. «Ein gutes Bier kostet Geld. Wir können es uns nicht leisten, auf unser hochwertiges, biozertifiziertes Bier derartige Preisabschläge zu gewähren.»
Um die Kosten tief zu halten, befinden sich gegenwärtig bis auf eine Rumpfbesetzung alle Mitarbeitenden der Brauerei in Kurzarbeit. Überbrückungskredite habe «Unser Bier» keine in Anspruch genommen: «Wir wollen keine Schulden anhäufen, sondern mit dem auskommen, was wir haben», kommentiert der Geschäftsführer.
Luzius Bosshard hofft, dass die Restaurants Ende Februar wieder öffnen dürfen. Bis dann müsse auch «Unser Bier» parat sein, damit die Beizen beliefert werden können. Und wenn der Shutdown dann verlängert wird? Dann müsse man eben wieder kreativ sein, und das Bier anderweitig verarbeiten wie schon nach der ins Wasser gefallenen Fasnacht, sagt Bosshard. Damals verarbeitete seine Brauerei retournierte Ware zu Bier-Gin, -muth oder -essig.
«Was Restaurants durchmachen müssen, ist ganz schlimm»
ajo. Nach der landesweiten Schliessung der Restaurants fielen die Umsätze durch die Lieferung an Gastrobetriebe für die Metzgerei Häring in Sissach komplett weg. Doch Trübsal blasen kommt für den Geschäftsführer Rolf Häring trotzdem nicht infrage. «Wenn dieser Zweig wegfällt, müssen wir halt anderswo kompensieren», sagt Häring. «Ich kann nicht einfach herumsitzen und denken, dass das dann schon irgendwann wieder funktioniert.» Also geben er und seine Mitarbeitenden sich im Laden nun besonders Mühe.
Das scheint auch zu fruchten. «Wir sind sehr dankbar, dass unsere Privatkunden uns während dieser schwierigen Zeit im Laden grösstenteils auffangen», sagt Häring. Anders hätte er Mühe gehabt, die Verluste zu kompensieren; so könne der grösste Teil aufgeholt werden.
Mit dem Geschäftsjahr 2020 sei er durchaus zufrieden. Den Umständen entsprechend sei es ziemlich gut gelaufen. Er habe jedoch grösstes Verständnis für die betroffenen Beizer. «Das ist ganz schlimm, was die Restaurants durchmachen müssen», sagt der Metzger. Je länger die Situation jedoch dauere, desto schwieriger werde sie auch für die Metzgerei Häring. «Ich weiss nicht, was die Zukunft bringen wird. Einfacher wird es auf jeden Fall nicht», sagt Häring.
Umsätze wie eine Achterbahnfahrt
ch. Auch die Zulieferer nicht alkoholischer Getränke bekamen und bekommen den teilweisen bis vollständigen Shutdown für die Gastronomie deutlich zu spüren. Der Anteil des Umsatzes, den zum Beispiel die Mineralquelle Eptingen mit der Gastronomie erwirtschaftet, fiel während der Shutdowns auf praktisch null, wie Damaris Buchenhorner von der Geschäftsleitung des Unternehmens mit Sitz in Sissach sagt.
In jenen Phasen habe man alle Aussendienstmitarbeitenden in die Kurzarbeit schicken müssen. Kürzlich habe Eptinger die Kurzarbeit für jene Angestellten bis Ende Februar verlängert, so Buchenhorner. Weitere Hilfen von der öffentlichen Hand habe das Unternehmen nicht in Anspruch genommen.
Eptinger sei bisher während der Pandemie mit einem blauen Auge davongekommen, sagt Buchenhorner: Die Mineralquelle erziele im Bereich Gastronomie lediglich rund 15 Prozent ihres Umsatzes. Andere Mineralquellen, die einen grösseren Anteil ihrer Getränke an Restaurants verkauften, seien entsprechend stärker von den Corona-Shutdowns für die Beizen betroffen.
Den Hauptumsatz macht das Familienunternehmen im Detailhandel. Und der habe in diesem Jahr eine regelrechte Achterbahnfahrt durchgemacht, wie es Buchenhorner beschreibt: Als sich die Kundinnen und Kunden vor dem Shutdown im Detailhandel mit Vorräten eindeckten, seien die Umsätze durch die Decke gegangen. Und da die Kunden im Monat darauf noch versorgt waren, sei der Detailhandelsumsatz entsprechend eingebrochen. Insgesamt könne Eptinger jedoch nicht klagen. Der Jahresumsatz habe gegenüber dem Vorjahr gehalten werden können. Wie es im neuen Jahr aussieht, lässt sich schwer abschätzen, auch wenn der erneute Lockdown verunsichert: «Wir sind schon deutlich besser in ein neues Jahr gestartet, doch es ist erst ein paar Wochen alt und somit wenig aussagekräftig», so Buchenhorner. «Es kann noch viel passieren.»
Mehr selber kochen statt Fertigmenüs
ajo. Bei der Orior-Gruppe, zu der die Le Patron in Böckten gehört, ist der Umsatz durch den Detailhandel laut den Medienmitteilungen der Orior AG während des Lockdowns im ersten Halbjahr 2020 wesentlich gestiegen. Gleichzeitig seien die Umsätze durch die Lieferung an Restaurants merklich eingebrochen. Normalerweise betrage der Food-Service-Anteil, wozu die Belieferung der Gastronomie gehört, aber beispielsweise auch der Grosshandel oder Kantinen, rund ein Viertel des Gesamtumsatzes. Zur zweiten Jahreshälfte und der jetzigen Situation macht Orior derzeit keine Aussage, wie das Unternehmen auf Anfrage mitteilt. Bis und mit August konnte der Rückgang im Food-Service-Bereich durch die stark erhöhte Nachfrage im Detailhandel in der Schweiz überkompensiert werden, wie einer Medienmitteilung zu entnehmen ist.
Besonders gut verkauft hätten sich Markenprodukte, Terroirspezialitäten wie Bündnerfleisch, Frischpasta, Vegi-Produkte und Biotta-Säfte. Im November prognostizierte Orior aufgrund der verschärften behördlichen Massnahmen ähnliche Einflüsse auf den Geschäftsgang wie im ersten Halbjahr.
Durch die erste Schliessung der Gastronomie im vergangenen Frühling musste der Orior-Verbund die Produktion gewisser Sortimente komplett einstellen. Diese Umlagerung habe entsprechende Zusatzkosten verursacht. Obwohl sich der Nettoerlös von Orior im ersten Halbjahr trotzdem steigerte, machte das Segment Convenience, wozu unter anderem die Le Patron gehört, einen Verlust von fast 4 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.
Das hänge auch damit zusammen, dass seit dem Shutdown weniger Fertigmenüs gekauft werden und vermehrt selber gekocht wird. Ausserdem blieben Event-Caterings aus und die Umsätze in Kantinen und Schulen gingen auch aufgrund von Homeoffice-Regelungen zurück. Die Mehrumsätze aus dem Detailhandel konnten den Umsatzeinbruch im Segment Convenience nur teilweise kompensieren.
«Ich bereite mich mental auf schwierigere Zeiten vor»
ajo. Die Kaffeerösterei Barone in Gelterkinden spürte die Schliessung der Restaurants stark. Rund 30 Prozent weniger Umsatz machte die Rösterei laut Geschäftsführer Tobias Konrad im vergangenen Jahr. Obwohl der Verlust zu spüren sei, sei dieser dank einer guten Durchmischung diverser Kundensegmente dennoch vergleichsweise gering. «Unsere Vertriebe leiden je nach Kanton deutlich stärker», sagt Konrad, «da diese fast ausschliesslich die Gastronomie beliefern.»
Heime, Private und Büros dürfen glücklicherweise nach wie vor Kaffee trinken. Das erleichtert Konrads Situation. In Grenzen hält sich hingegen das Verständnis gegenüber den Massnahmen der Politik. Der Umsatzrückgang als Zulieferer für die Gastronomie und Hotellerie bedeute für Konrads Mitarbeitende vor allem weniger Arbeit und dadurch weniger Einkommen. «Wir können nicht verstehen, wieso die Gastronomie die Mutter allen Übels sein soll», sagt Konrad und möchte dabei auf den öffentlichen Verkehr, die Erotikbetriebe oder die Schulen hinweisen.
Worüber Konrad sich ebenfalls ärgert, ist die Situation in dem frisch umgebauten Laden in Gelterkinden. Dieser sei nämlich seit Beginn der Coronakrise durchgehend geschlossen. Der Aufwand, um ihn wie bisher als Begegnungsstätte betreiben zu können, sei zu gross. «Ich bereite mich mental auf schwierigere Zeiten vor», sagt Konrad. Denn: «Es ist ein Witz, zu glauben, dass sich die Ausfälle kurz- bis mittelfristig ausgleichen lassen.»
«Wir haben die Substanz, um so eine Krise zu überstehen»
ch. Für den Wein- und Spirituosenhandel gibt es während eines Gastro-Lockdowns nichts zu lachen: Die Umsätze fallen praktisch auf null. Aktuell sei die Situation für Gastronomen und die Zulieferer noch schwieriger als im Frühling, da es jetzt – anders als beim ersten Mal – schwieriger abzusehen sei, wie sich die Situation weiter entwickeln wird, sagt Nicolas Neuhaus, Geschäftsführer der Liestaler Siebe-Dupf-Kellerei.
Sein Unternehmen macht den grössten Teil seines Umsatzes mit der Gastronomie sowie im Eventbereich («Das Halbeli-Geschäft ist im vergangenen Jahr komplett eingebrochen.»). Zahlen nennt Neuhaus keine, doch sei der Umsatzrückgang, den das Unternehmen im vergangenen Jahr einstecken musste, erheblich.
Um auf der anderen Seite die Ausgaben herunterzufahren, habe die Kellerei ihre Aussendienstmitarbeitenden und einen Teil des Verkaufspersonals und der Logistik in Kurzarbeit geschickt. «Wir arbeiten mit einem Rumpfteam», sagt Neuhaus. Durch ausgefallene Messen und Degustationen hätten aber auch Kosten eingespart werden können.
Immerhin laufe der Direktverkauf von Eigenkeltereien und Handelsware nach wie vor sehr gut. So konnte ein Teil des entfallenen Gastro-Umsatzes in den Läden und im stark wachsenden Onlineshop aufgefangen werden. Dieser Kanal werde durch Social Media, Newsletter und Ähnliches nun verstärkt beworben. «Unser Unternehmen ist gesund», sagt Geschäftsführer Neuhaus, «wir haben die Substanz, um so eine Krise zu überstehen.»
So sehr Corona die Branche auch durchschüttelt, so habe die Pandemie für die Siebe-Dupf-Kellerei wenigstens ein Gutes, sagt Neuhaus: Nach dem Ernteausfall im Jahr 2017 seien die Lager Ende 2018 fast leer gewesen. Durch die schwächeren Verkäufe hätten die Bestände von Eigenkelterungen nun etwas aufgestockt werden können. «So können wir die jungen Weine noch etwas liegen lassen.»