«Warum lassen Sie uns im Stich?»
08.01.2021 Baselbiet, Finanzen, Diegten, Gastronomie, Politik, GesellschaftDas «Weinburg»-Wirtepaar wehrt sich beim Bundesrat
Die Diegter «Weinburg» ist wie alle Schweizer Restaurants geschlossen. Auf Geld von Bund oder Kanton wartet das Wirtepaar bisher vergeblich. Nun mussten Sonja und Pascal Ammann Sozialhilfe bei der Gemeinde beantragen. «Warum lassen Sie ...
Das «Weinburg»-Wirtepaar wehrt sich beim Bundesrat
Die Diegter «Weinburg» ist wie alle Schweizer Restaurants geschlossen. Auf Geld von Bund oder Kanton wartet das Wirtepaar bisher vergeblich. Nun mussten Sonja und Pascal Ammann Sozialhilfe bei der Gemeinde beantragen. «Warum lassen Sie uns im Stich?», schreiben sie in einem Brief an den Bundesrat.
David Thommen
Sonja (44) und Pascal Ammann (42) sitzen am Stammtisch; es ist trist bei unserem Besuch am gestrigen Donnerstagmorgen in der «Weinburg» in Diegten. Die Deckenbeleuchtung ist ausgeschaltet, die Stühle stehen auf den Tischen. Dabei hatten sich dies die Pächter einst ganz anders vorgestellt: Ein Lokal voller Leben.
Erst im Juli hat das Paar die Beiz übernommen. «Der Sommer lief überraschend gut», sagt Pascal Ammann. Die Diegter freuten sich darüber, wieder eine Dorfbeiz zu haben. 30 bis 40 Essen durfte man den Gästen pro Tag auftischen und abends kamen die Vereine. Doch mit der Einführung der Maskenpflicht und schärferen Schutzbestimmungen am 16. Oktober brach das Geschäft brutal ein, wie die beiden sagen. Es gab Tage, an denen nur noch drei Mittagsmenüs verkauft werden konnten, am Abend lief gar nichts mehr. Und seit dem Gastro-Lockdown im Dezember kommt sowieso kein Franken mehr in die Kasse. Den Umsatzverlust seit Oktober beziffern sie auf mehr als 40 000 Franken. Absehbar ist, dass der Bundesrat in knapp einer Woche die Beizenschliessung bis Ende Februar verlängern wird. Besserung ist also nicht in Sicht.
Ammanns fallen bei Bund und Kanton durch alle Maschen. Keinen Franken habe man bisher von der EO gesehen, sagen die beiden Selbstständigen. Zwar haben sie ein Anrecht auf diese Erwerbsersatzgelder, doch die Mühlen in der Verwaltung mahlten sehr langsam: «Eine unglaubliche Bürokratie», sagt Sonja Ammann. Hilfskredit und Soforthilfe haben sie bereits während des Frühlings-Lockdowns in ihrem früheren Lokal in Anspruch genommen; der Kredit lastet nun auf ihnen. Und Anspruch auf Härtefallgelder haben die Wirtsleute wegen der erst kurzen Betriebsdauer nicht.
Der Gang zur Sozialhilfe
Geld kommt also keines herein. Die Kosten hingegen laufen davon. Bereits die Dezemberlöhne der drei Teilzeitangestellten, die nun immerhin Kurzarbeitsgeld beanspruchen dürfen, konnten nicht mehr ausbezahlt werden. Die Miete für das Restaurant läuft derweil weiter, auch wenn der Vermieter ihnen keinen Druck für die sofortige Zahlung mache. Auch privat werde es nun sehr eng: Für Wohnungsmiete, Krankenkasse und so weiter reicht das Ersparte nicht mehr: «Wir mussten deshalb Anfang dieser Woche den Gang aufs Sozialamt der Gemeinde antreten.» Eine tränenreiche, demütigende Sache, wie Sonja Ammann sagt.
Ammanns sind frustriert: «Der Bund hat uns ein Berufsverbot auferlegt.» Zwar hätten sie als Wirte Verständnis für die Massnahmen gegen Covid-19, nicht aber dafür, dass sie deswegen nun so gut wie pleitegehen. In anderen Ländern wie Deutschland wird der von der Politik verordnete Umsatzeinbruch zu 70 oder mehr Prozent ausgeglichen, in der Schweiz hingegen nicht. Sonja und Pascal Ammann haben daher am Dienstag mit einem längeren Brief bei Bundespräsident Guy Parmelin protestiert – der Wirteverband hatte dazu aufgefordert. Sie schildern darin ihre missliche Situation und fragen: «Warum lassen Sie uns im Stich?» Sie hoffen, dass andere Wirte ihrem Beispiel folgen und ebenfalls Briefe schreiben. Andere Branchen hätten sich deutlich erfolgreicher für ihre Interessen gewehrt, sagen Ammanns, der Schweizer Gastroverband hingegen sei viel zu wenig schlagkräftig, da werde vor allem viel geschwatzt. Dass die Mitgliederrechnung der Gastrosuisse ausgerechnet zwei Tage vor Weihnachten in ihrem Briefkasten landete, empfanden sie als Affront: «Als ob der Verband nicht wüsste, in welchen Schwierigkeiten seine Mitglieder stecken.»
Immerhin hat der Bundesrat für kommenden Mittwoch ein neues Hilfspaket angekündigt, von dem wohl auch die Beizer profitieren können. Die Hoffnungen der Ammanns sind allerdings gedämpft: «Ja, vielleicht gibt es dann auch für uns Geld. Aber bis zur Auszahlung wird es bestimmt viele Monate gehen. Es dauert immer alles viel zu lange.» Dies werde vermutlich dazu führen, dass über kurz oder lang auch anderen Wirten der Gang aufs Sozialamt nicht erspart bleiben werde.
Den Brief an Bundespräsident Guy Parmelin hat das «Weinburg»-Wirtepaar auf Facebook veröffentlicht.