«Der Mensch muss im Zentrum stehen»
14.01.2021 Bezirk Liestal, Bubendorf, Sport, FussballFCB-Talentmanager Marcel Herzog über Nachwuchshoffnungen und die Gefahren im Profibereich
Vor vier Jahren hat Marcel Herzog seine Karriere beim FC St. Gallen beendet. Mittlerweile gibt der 40-Jährige sein Wissen als Talentmanager beim FC Basel weiter. Im Interview spricht der Bubendörfer ...
FCB-Talentmanager Marcel Herzog über Nachwuchshoffnungen und die Gefahren im Profibereich
Vor vier Jahren hat Marcel Herzog seine Karriere beim FC St. Gallen beendet. Mittlerweile gibt der 40-Jährige sein Wissen als Talentmanager beim FC Basel weiter. Im Interview spricht der Bubendörfer über Herausforderungen im Profifussball – und seine Lehrer-Qualitäten im Lockdown.
Thomas Ditzler
Herr Herzog, was zeichnet einen talentierten Fussballer aus?
Marcel Herzog: Der eigene Antrieb, besser zu werden, ist sehr entscheidend. Der Spieler muss zudem gewisse technische und körperliche Grundvoraussetzungen mitbringen. Der Lernwille und die Lernfähigkeit sind für mich zentrale Elemente.
Wie muss man sich Ihre Arbeit als Talentmanager vorstellen?
Ich bin verantwortlich für den operativen Austausch der Top-Talente zwischen Nachwuchs- und Profimannschaft. Bei mir laufen alle Fäden zusammen, die mit einem Nachwuchsspieler zusammenhängen. Jedes Talent besitzt einen Zukunftsplan, darin werden die nächsten Schritte vermerkt, die wir mit ihm gemeinsam in Angriff nehmen möchten. Es ist meine Aufgabe, zu überwachen, ob die Schwerpunkte realisiert wurden. So bin ich im engen Austausch mit den verschiedenen Trainern. Bei der Betreuung sind die regelmässigen Gespräche mit den Talenten sehr wichtig. Wir möchten die Spieler auch in ihrer Persönlichkeit und mental weiterbringen.
Wo brauchen die Stars von morgen am meisten Unterstützung?
Die Spieler müssen schon in jungen Jahren mit vielen Einflüssen von aussen zurechtkommen. Es ist wichtig, dass sie die Geduld nicht verlieren. Aus diesem Grund ist ein Karriereplan essenziell, der sie Schritt für Schritt weiterbringen soll. Ich möchte dem Spieler in meiner täglichen Arbeit vermitteln, dass er akzeptieren muss, dass es manchmal länger geht, wir ihm aber dennoch das nötige Vertrauen entgegenbringen. Bereits in jungen Jahren werden die Spieler gegenseitig verglichen. Mir geht es darum, dem Spieler klarzumachen, dass er sein eigenes Unternehmen ist, das er selber weiterentwickeln muss. In dieser Phase zu oft auf andere zu schauen, hilft nicht zwingend. Dass die Spieler, die oft zwischen 16 und 18 Jahre alt sind, eng begleitet werden, ist für ihre Entwicklung gerade im mentalen Bereich wichtig.
Gilt nicht einfach die Leistung in der Nachwuchsabteilung?
Wichtig ist, dass wir dem Spieler gegenüber ehrlich sind und keine leeren Versprechungen machen. Fehler zu machen ist normal. Dessen müssen sich die Spieler bewusst sein. Fehler müssen wir zulassen. Schliesslich lernt man aus eigenen Erfahrungen am meisten. Trotz des herrschenden Leistungsdrucks muss genügend Raum vorhanden sein, um zu akzeptieren, dass in der Entwicklung noch nicht alles funktioniert. Wir verlangen zwar von den Spielern das Streben nach Perfektion, andererseits müssen wir ihnen aufzeigen, dass sie in ihrer Entwicklung noch nicht alles perfekt beherrschen können. Diesen beiden Aspekten gerecht zu werden, ist eine Gratwanderung.
Sie und der Klub stehen auf der einen Seite des Spielers. Auf der anderen sind Spielerberater und die Eltern. Welchen Einfluss haben sie?
Dieser Einfluss besteht durchaus, und er ist ein Teil unseres Jobs. Ich bin dagegen, dass man sie ausschliesst. Es ist wichtig, dass alle Leute, die um einen Spieler herum wirken, in unsere Gedanken eingeschlossen werden. Sprechen alle betroffenen Parteien vom selben Thema, fällt es dem Spieler leichter, Dinge zu akzeptieren. Deshalb ist es wichtig, dass Eltern und Berater ins Boot geholt werden. Einerseits möchten wir die Spieler so gut wie möglich auf ihrem Weg begleiten. Zugleich ist es für ihre spätere Karriere wichtig, dass sie mit Rückschlägen selber zurechtkommen.
Wie gross ist die Gefahr, dass sie früh «abheben»?
Sie ist ganz klar vorhanden. Uns geht es nicht nur darum, Fussballer auszubilden. Die Spieler sollen in ihrer Persönlichkeit später auch Vorbilder sein. Gerade weil in jungen Jahren um die Spieler bereits ein grosser Rummel herrscht, ist es für sie schwieriger geworden, nicht den Boden unter den Füssen zu verlieren.
Worin besteht die grösste Herausforderung für junge Talente im Profifussball?
Letztendlich geht es darum, dass der junge Spieler bereits früh Erfahrungen sammelt, mit denen er später konfrontiert werden kann. Drucksituationen können künstlich hervorgerufen werden, um zu sehen, wie er diese meistert. Später ist es wichtig, dass wir im Verein ein Klima schaffen, in dem sich alle der Verpflichtung bewusst sind, junge Spieler in die erste Mannschaft zu integrieren. Hier sind auch jetzige Führungsspieler wie Fabian Frei oder Valentin Stocker in der Verantwortung, sich der Jungen anzunehmen und sie in der Integration zu unterstützen.
Dortmunds Moukoko, Barcelonas Ansu Fati – der Trend, immer jünger in den Profizirkus einzusteigen, hat in den vergangenen Jahren zugenommen. Wie beobachten Sie diese Entwicklung?
Man muss jedes Beispiel separat betrachten. Gewisse Spieler kommen sehr jung in den Kontakt mit der ersten Mannschaft, weil sie mental und körperlich für diesen Schritt bereit sind. Sobald ein Spieler auf diesem Niveau bestehen kann, gibt es wenige Gründe, dies zu verhindern. Es ist doch schön, wenn er in seiner Entwicklung schon früh so weit ist. Wichtig ist, dass die Talente auf ihrem Weg begleitet werden. Das Ziel eines jeden Nachwuchsspielers beim FC Basel ist es, Profi zu werden. Eine Gefahr sehe ich vor allem im internationalen Bereich, abseits vom Spielfeld, bei den teilweise horrenden Transfersummen, die für junge Spieler bereits geboten werden.
Wann ist ein Nachwuchsfussballer bereit für den Wechsel zum Profi?
Es hängt von Eindrücken vieler verschiedener Personen wie etwa dem Trainer oder dem Talentmanager ab, ob ein Spieler bereit ist. Entscheidend ist, dass ein Plan vorhanden ist, wie ein Spieler an die erste Mannschaft herangeführt wird. Hat man sich für einen Spieler entschieden, soll dieser im Fanionteam gefördert werden. Ein ständiges Hin und Her zwischen Nachwuchs- und Profimannschaft bringt ihn in seiner Entwicklung nicht weiter. Bestehen Zweifel, muss man dem Spieler die nötige Zeit geben, sich in Ruhe zu entwickeln, ehe der Wechsel in die erste Mannschaft vollzogen wird.
Der FC Basel hat die Strategie vorgegeben, mehr eigene Junioren bei den Profis einzubauen. Wo steht der Verein in dieser Entwicklung?
Als Talentmanager bin ich über diese Strategie sehr froh. Ich spüre sowohl im Gesamtverein als auch im Trainerstaff der ersten Mannschaft eine grosse Offenheit, über junge Spieler zu sprechen. Wir haben gute junge Fussballer und sind sicher auf einem guten Weg mit unserer Strategie. Zugleich ist sie ausbaufähig. Wie wir die Talente noch besser entwickeln können, um ihnen das nötige Rüstzeug mitzugeben, daran arbeiten wir täglich.
Sie haben den Bachelor in Psychologie. Wie sehr profitieren Sie von dieser Ausbildung in Ihrer täglichen Arbeit?
Die Ausbildung hilft mir, Probleme zu erkennen und diese einzuordnen. Mir selber hilft es, dass ich in gewissen Situationen die Gelassenheit nicht verliere. In den Gesprächen mit den Spielern profitiere ich davon, wenn es darum geht, die Probleme der Jugendlichen richtig einzuordnen. Ich sehe mich aber nicht als Psychologen. Hierfür steht den Spielern ein Mentaltrainer zur Verfügung.
Inwiefern hat sich das Fussballbusiness im Vergleich zu Ihrer Aktivzeit verändert?
Ein Spieler muss heutzutage in jungen Jahren mehr Aufwand betreiben, um an die Spitze zu gelangen. Meine Generation gehörte wohl zu der letzten, die aus dem Breitensport erst mit 18 Jahren den Wechsel in ein Nachwuchszentrum vollzogen und dennoch den Durchbruch geschafft hat. Dieser Weg ist heute nur in Ausnahmefällen vorstellbar. Heute werden die jungen Fussballer schon früh mit dem Leistungsgedanken konfrontiert und haben viel mehr Trainingseinheiten.
Wie sehr profitieren Sie heute als Talentmanager von Ihren eigenen Erfahrungen als Torhüter?
Es hilft mir insofern, als dass ich mich in den Spieler hineinversetzen kann. Ich kenne viele Situationen aus meiner eigenen Karriere. Die Erlebnisse helfen enorm, um den Spieler zu verstehen und zu wissen, was in ihm vorgeht. Andererseits kann ich ihm Dinge mitgeben, die ich in meiner 15-jährigen Karriere im Nachhinein anders hätte machen können.
Nach Ihrer Profikarriere waren Sie bereits beim FC St. Gallen Talentmanager. Wie unterscheidet sich Ihre Arbeit beim FCSG von jener beim FCB?
Die Dichte an Fussballtalenten ist in Basel sicher etwas grösser. Die tägliche Arbeit ist aber sehr ähnlich. Die Rahmenbedingungen, sprich die Unterstützung an Personal in Basel, bieten mehr Möglichkeiten.
Vor rund zwei Jahren sind Sie in Ihre Heimat zurückgekehrt. Wie wichtig war die Rückkehr ins und zum FC Basel?
Es war immer mein Wunsch, irgendwann wieder für den FC Basel tätig zu sein. Schliesslich ist er meine Heimat.
Seit ich denken kann, war ich Fan des FC Basel. Dass ich nun den Verein aus einer anderen Sichtweise erleben und junge Spieler in ihrer Entwicklung begleiten darf, ehrt mich sehr. Meine Vision ist es, dass wir in Basel künftig viele Nachwuchsspieler aufbauen können, die auch international auf dem Feld den Unterschied machen. Dank des Wechsels bin ich auch wieder näher bei meiner Familie und meinen langjährigen Freunden.
Wie haben Sie persönlich das Jahr 2020 erlebt – mit Corona und den Unruhen um den FC Basel muss es auch für Sie speziell gewesen sein?
Ich spreche wahrscheinlich für viele, wenn ich sage, dass das Jahr 2020 ein sehr kompliziertes mit manchen Herausforderungen war. Die Unsicherheit darüber, wie es weitergeht, hat alle sehr beeinflusst. Es hat uns aber auch aufgezeigt, was wichtig oder weniger wichtig im sonst so hektischen Alltag ist. Sich zu erden und mehr Zeit zu haben, hat wohl jedem gutgetan – auch mir persönlich. Sportlich gesehen erlebten wir beim FCB zahlreiche Herausforderungen. Es sind viele Dinge passiert, die ich selber nicht beeinflussen und somit auch nicht ändern kann.
Sie haben zwei Kinder. Ihre ältere Tochter ist schulpflichtig. Wie gut hat sich der Talentmanager Herzog als Lehrer im Homeoffice gemacht?
Diese Momente gab es durchaus. Obwohl ich selten im Homeoffice war. Mein Vorteil war, dass meine Frau Lehrerin ist und sie somit zu Hause diesen Part übernommen hat. Ich habe die zusätzliche Zeit mit der Familie genossen. Es war eine Herausforderung, den Alltag mit den Kindern zu koordinieren, damit sie weiterhin eine gewisse Tagesstruktur haben.
Welches ist der wichtigste Tipp, den Sie jungen Fussballern mit auf den Weg geben?
Der Spieler muss sich so entwickeln, dass er sich vom Rest abhebt. Er muss in seinem Spiel eine Eigenschaft erarbeiten, die ihn einzigartig macht. Gelingt es ihm, muss er diese «Waffe» immer wieder anwenden, auch in schwierigen Situationen. Die Gewissheit darüber, was man als Spieler gut kann, führt automatisch zu einer inneren Überzeugung. Wenn du es als Fussballer ganz nach oben schaffen willst, musst du etwas an dir haben, das dich besonders macht.
Welche Wünsche und Ziele haben Sie für das Jahr 2021?
In der aktuellen Situation ist Gesundheit wichtiger denn je. Alle anderen Fähigkeiten bringen dich nicht weiter, wenn du nicht gesund bist. Und der Mensch muss wieder vermehrt im Zentrum stehen, dies gilt es auch im Fussballbusiness zu beherzigen.
Zur Person
vs. Marcel Herzog ist fussballerisch beim FC Bubendorf gross geworden. Als Profi hütete er beim FC Schaffhausen, beim MSV Duisburg, dem FC Basel und dem FC St. Gallen das Tor, ehe er 2017 seine Karriere beim FCSG beendete und Talentmanager bei den Ostschweizern wurde. Seit 2018 ist er beim FCB in derselben Position tätig. Herzog (40) ist verheiratet und hat zwei Töchter.