Budgetversammlung ist geplatzt
01.12.2020 Baselbiet, Finanzen, GemeindenChristian Horisberger
Bereits die Affiche suchte ihresgleichen: Um ein gröberes Budgetdefizit zu vermeiden, hatte der Gemeinderat von Seltisberg eine rekordverdächtige Steuererhöhung um 7 auf 59 Prozent der Staatssteuer beantragt (die «Volksstimme» berichtete). Auf die ...
Christian Horisberger
Bereits die Affiche suchte ihresgleichen: Um ein gröberes Budgetdefizit zu vermeiden, hatte der Gemeinderat von Seltisberg eine rekordverdächtige Steuererhöhung um 7 auf 59 Prozent der Staatssteuer beantragt (die «Volksstimme» berichtete). Auf die Gemeindeversammlung durfte man gespannt sein.
Und auf den Zulauf: In den meisten anderen Dörfern sind die Gemeindeversammlungen unter Corona-Auflagen mässig bis schwach besucht. Selbst als es in Arisdorf um Fusionsverhandlungen mit Hersberg ging, blieben etliche Plätze in der Turnhalle frei. Anders in Seltisberg am vergangenen Donnerstagabend. Für 115 Personen standen in der Mehrzweckhalle Stühle bereit. Gemessen an den üblichen 30 bis 40 Teilnehmenden an Gemeindeversammlungen wäre das sehr optimistisch gewesen. Aufgrund des gewichtigen Traktandums wiederum war fraglich, ob die Plätze reichen.
Vorsorglich hatte der Gemeinderat die Bevölkerung in einem Flugblatt darauf hingewiesen, dass die Versammlung an Ort und Stelle abgesagt werden müsste, falls mehr Stimmberechtigte erscheinen würden, als gemäss Covid-19-Konzept in der Halle Platz finden.
Als Gemeindepräsidentin Michaela Schmidlin etwa eine Viertelstunde nach dem auf 19.30 Uhr angesetzten Versammlungsbeginn das Wort ergriff und sagte, «Sie ahnen es …», war klar, dass der Worst Case eingetroffen war. Draussen stünden noch 30 bis 40 Personen und in der Halle seien noch zwei freie Plätze, verkündete Schmidlin, daher müsse sie die Versammlung absagen. «Ich freue mich auf die nächste Gemeindeversammlung und wünsche Ihnen einen schönen Abend.» Vereinzelt war verhaltener Applaus zu vernehmen, die Seltisberger nahmen den Entscheid ohne Emotionen zu zeigen zur Kenntnis, standen auf und verliessen die Halle.
Die Präsidentin wirkte nach ihrer missratenen Gemeindeversammlungspremiere etwas ratlos. Es sei ihr bewusst gewesen, dass viele Leute kommen würden. Als positiver Mensch habe sie aber gehofft, dass die Plätze in der Halle reichen würden. Sie bedauere, dass die Steuererhöhung und das Budget nicht habe diskutiert werden können, sagte sie zur «Volksstimme». Der Steuerfuss müsse aus Sicht des Gemeinderats nach oben – die Zahlen sprächen klar dafür: «Mehr Ausgaben streichen, als wir das bereits getan haben, können wir nicht.»
An der Urne oder auswärts
Seltisberg werde nun ohne Budget ins neue Jahr starten und deswegen lediglich Ausgaben tätigen dürfen, die für die Verwaltungstätigkeit unerlässlich sind. Nun stünden zwei Möglichkeiten im Raum: Entweder wird im neuen Jahr so rasch wie möglich eine ausserordentliche Budget-Versammlung einberufen oder – abhängig vom entsprechenden Entscheid des Landrats – oder es wird an der Urne abgestimmt.
Im ersten Fall müsste Seltisberg auswärts nach einem grösseren Veranstaltungsort Ausschau halten. Dies habe man im Hinblick auf den Termin am vergangenen Donnerstag bereits getan, erklärte Schmidlin. Erfolglos. Mit längerer Vorlaufzeit würden sich die Chancen darauf allenfalls erhöhen.
Bei einer Urnenabstimmung könnte am Steuerfuss und am Budget nicht «geschraubt» werden. Somit müssten die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger, die nicht mit der 7-prozentigen Steuerfusserhöhung einverstanden sind, das Budget zurückweisen. Was denkbar wäre: Die Rechnungs- und Geschäftsprüfungskommission beantragt eine Steuererhöhung um lediglich 6 Prozentpunkte.
Von einer für die ganze Schweiz wohl einmaligen Situation spricht Miriam Bucher, Leiterin der kantonalen Stabsstelle Gemeinden. Dabei habe der Gemeinderat vorbildlich gehandelt, indem er das Schutzkonzept konsequent umgesetzt habe. «Man darf in dieser Situation niemanden heimschicken oder die Leute in die Halle ‹mosten›.»
Seltisberg ist gesetzlich verpflichtet, so rasch als möglich über das Budget befinden zu lassen. Eine Abstimmung an der Urne, sollte der Landrat das Gesetz annehmen, hielte Bucher für unzweckmässig, da bei einer Ablehnung des Steuerfusses automatisch das Budget blockiert wäre. In diesem Fall wäre man keinen Schritt weiter.
Bucher erachtet die Durchführung der Budget-Versammlung auswärts, beispielsweise in einer Dreifachturnhalle in einer Nachbargemeinde, als pragmatischsten Weg. «Es gibt keine Vorschrift, die besagt, dass eine Gemeindeversammlung auf eigenem Boden stattfinden muss.» In diesem Fall müsste die Gemeinde, beispielsweise mit einem Schuttle-Service, sicherstellen, «dass die Leute hinkommen, damit ihr Stimmrecht nicht verletzt wird».