Tafeljura tektonisch bewegt
15.10.2020 Bezirk Sissach, SissachFluh und Bischofstein aus geologischer Sicht – ein Exkursionsbericht
Eine Schar von 12 Geologie-Interessierten machte sich kürzlich auf zu einer Exkursion von der Sissacher Fluh zum Bischofstein unter der Leitung des Geologen Urs Pfirter. Pfirter hat auf Bitten der «Volksstimme» seine ...
Fluh und Bischofstein aus geologischer Sicht – ein Exkursionsbericht
Eine Schar von 12 Geologie-Interessierten machte sich kürzlich auf zu einer Exkursion von der Sissacher Fluh zum Bischofstein unter der Leitung des Geologen Urs Pfirter. Pfirter hat auf Bitten der «Volksstimme» seine Exkursion verschriftlicht. Zur Exkursion eingeladen hatte die Arbeitsgemeinschaft für Natur- und Heimatschutz Sissach (AGNHS).
Urs Pfirter
Die Gegend um die Sissacher Fluh wurde gewählt, weil die Ausbildung des Gebirgsbaus des Tafeljuras hier beispielhaft angeschaut werden kann und der Abtrag der Juraschichten gerade hier mit den Schuttbildungen typisch zu sehen ist.
Mit der Absenkung des Oberrheingrabens ab Eozän und vor allem im Oligozän (etwa 40 bis 28 Millionen Jahre vor heute) ist der Schichtstapel der Juraschichten in mehrere Hundert Meter breite Schollen zerbrochen, die von Nord-Nord-Ost nach Süd-Süd-West verlaufen. Die Schollen sind mehrere hundert Meter breite Schichtpakete (sozusagen Tortenstücke), deren Bruchgrenzen in derselben Richtung verlaufen und die an diesen Verwerfungen (Brüchen) gegeneinander versetzt sind. Diese Zerbrechung erfolgte im Gefolge der Oberrheingrabeneinsenkung, die eine grosse Trennfuge der europäischen Platte darstellt.
Die Oberrheingrabeneinsenkung hatte ein Gleiten der Schichten auf dem plastischen Salzlager des Mittleren Muschelkalks zum Graben hin zur Folge. Die Schichtpakete sind in Hochschollen (Horste) und abgesunkene Schollen (Gräben) zu unterteilen. Über diese Schollenlandschaft legte sich im Miozän das marine Tenniker Muschelagglomerat (Gisibergstein) sowie rote Mergel und die Juranagelfluh-Konglomerate, welche die Kappe des Hügels Hard westlich der Sissacher Fluh und den Untergrund in der Zunzger Hard bilden. Auf der Höhe dieser Erhebungen lag die damalige Geländeoberfläche.
Ältere Untersuchungen aus dem Beginn des 20. Jahrhunderts liessen schon erkennen, dass die Juranagelfluh östlich von Ramlinsburg gegen ältere Schichten vertikal um mehrere zehn Meter versetzt ist, was die damaligen Geologen erahnen liess, dass auch im Tafeljura – wie bekannterweise auch im Faltenjura – nach der Ablagerung der Juranagelfluh Bewegungen stattgefunden haben. So schrieb der Geologe und spätere Professor August Buxtorf in seiner Dissertation, dass man sich die Aufgabe zu stellen habe, den Einfluss des Faltenjuras auf den Tafeljura nachzuweisen.
Tafeljura nach Norden geschoben
Vor den Aufnahmen für das Blatt Sissach (siehe Kasten) wurde davon ausgegangen, dass der Schichtstapel des Tafeljuras nur von vertikalen Versetzungen an den Verwerfungen betroffen war. Aufnahmen nördlich von Nusshof ergaben aber eine deutliche Verfaltung der Schichten (Nord- und Südschenkel messbar) auf zwei benachbarten Schollen. Dies war der Auftakt, auf weitere Kompressionsbewegungen im Tafeljura zu achten. Und siehe da, es wimmelt, wenn man die tektonische Karte (Karte des Gebirgsbaus) betrachtet, nur so von Überschiebungen: Im Westen zwischen Münchenstein und Magden war das Adlerhofgewölbe als Falte/Überschiebung bekannt. Bei Frick zeigt die Mandacher-Überschiebung den Zusammenschub an. So musste eigentlich auch im Zwischengebiet zwischen den beiden Strukturen ein Zusammenschub von den Alpen her, von wo die Schichten über dem sehr plastischen Steinsalz geschoben wurden, zumindest erwartet werden – und so war es auch.
Direkt aufgeschlossen findet man die Überschiebungen kaum, ausser bei der Kläranlage von Wenslingen. So waren Unregelmässigkeiten des Schichtverlaufs in den Schollen das Hauptindiz für kompressive Bewegungen.
Der Faltenjura und nun auch Teile des Tafeljuras wurden im Gefolge der Alpenfaltung, bei welcher der afrikanische Kontinent gegen Norden driftete, ebenso nach Norden geschoben. Da das Salzlager flächenhaft vorkommt, kann der Schichstapel auf dieser plastischen Schwächezone (Gleitschicht) leicht bewegt werden.
Weg um die Sissacher Fluh
Der Exkursionsweg führte uns über den Hof Hinteregg ins Gebiet unter die Sissacher Fluh. Da der Exkursionsleiter nicht müde wurde, den Gebirgsbau mit Schubbewegungen über dem Salzlager des Mittleren Muschelkalks zu preisen, mahnte ein Exkursionsteilnehmer dazu, endlich auch etwas zu den Schichten des Juras und deren Entstehung zu sagen. Der Blick schweifte demzufolge auf die Ablagerung der Juraschichten in einem Schelfmeer mit Tiefen von null bis mehreren Hundert Metern.
Das abgelagerte Material (Tone und Mergel) besteht aus Abtragungsprodukten von Landgebieten mit älteren Schichten im nördlichen und nordöstlichen Europa, von wo es durch Meeresströmungen bis zu uns gelangte. Die Kalkablagerungen sind im Meer selbst entstanden und bestehen zum grossen Teil aus Organismenschalenbruchstücken von Muscheln, Schnecken, und Stachelhäutern (Seeigel, Seelilien, Seesterne). Die Organismen bauen ihre Schalen aus dem gelösten Kalk im Meerwasser auf. Wie der Aufschluss von Passwang-Formation unter der Fluh zeigte, kommen in den rostfarbigen Kalken und Mergelkalken durchaus Ammoniten vor (zwei Funde auf der Exkursion). Der Aufschluss ist auf der geologischen Karte denn auch als Fossilfundstelle bezeichnet. Die Passwang-Formation besteht aus einer Wechsellagerung von kalkigen und tonig-mergeligen Schichten und bekam ihren Namen nach dem Aufschluss am Passwang. Schichten sollen neu nicht nach Versteinerungen benannt werden, sondern nach dem Ort, wo sie gut zu sehen sind. Eine Ausnahme ist der Opalinuston, den man wegen weitläufigem und bekanntem Gebrauch in der Nordschweiz beibehalten hat.
Hauptrogenstein der Fluh
Unter der Sissacher Fluh liegt im Wald ein Paket aus Hauptrogenstein. Dieses ist in grauer Vorzeit von der Fluh abgestürzt und konnte nun als verkipptes Sackungspaket mit mitgebrachten Hämmern angeschlagen werden. Der Hauptrogenstein ist ein sogenannter Oolith, ein Gestein aus einer riesigen Anhäufung von Kalkkügelchen (Ooide), die in einem seichten Meer (ähnlich heute auf den Bahamas zu sehen) entstanden sind. Vermutlich half ein Bakterienüberzug rund um die Kügelchen mit, den Kalk aus dem Wasser abzuscheiden und die Kügelchen, meist mit einem Organismenbruchstück als Kern, schalig wachsen zu lassen. Bis ins 19. Jahrhundert wurde angenommen, es handle sich bei den Kalkkügelchen im Gestein um versteinerten Fischrogen (Fischeier), was dem Gestein den Namen eintrug. Heute weiss man aus aktuellen, tropischen Ablagerungsräumen, dass die Kügelchen als lockerer Sand von Meeresströmungen dünenartig vorwärts bewegt werden.
Die erkennbare Schrägschichtung bildet diese schichtweisen Schüttungen über jeweils einen kleinen Abhang ab. Nach der Ablagerung wurde der Sand durch Calzit-Zement zu einem Gestein verfestigt. Der Hauptrogenstein ist rund 95 Meter mächtig und bildet zahlreiche Flühe im Baselbiet (Sissacher, Thürner, Böckter Fluh, bei Grellingen die Felswand über dem Ostportal des Eggfluhtunnels). Die rostige Farbe des Kalks (Eisengehalt) führte zu den Namen «Roti Flue» in Liestal und «Roti Flue» in Rothenfluh. Der Hauptrogenstein ist meist nicht frostfest (eine Ausnahme bildet der Buckter Hauptrogenstein, verbaut im Bahnviadukt von Rümlingen). Der Hauptrogenstein ist ein verbreitet gebrochener Baustein und wurde im Bruchsteinmauerwerk der älteren Bauten in der Region verwendet. Geschützt unter einem Dach ist auch nicht frostfestes Steinmaterial tauglich.
Lockergesteine
Auf Trampelpfaden und Wildwechseln ging es weiter zur gewaltigen Schutthalde direkt unter der Sissacher Fluh. Die Schutthalde, wie sie im Jura selten so offen wie hier zutage tritt, ist an den Hängen unter dem Hauptrogenstein verbreitet vorhanden, jedoch von der Vegetation meist verhüllt. Exkursionsteilnehmer berichteten jedoch von hier erfolgten Freilegungsarbeiten mit dem Schreitbagger. Auf diese Weise ist ein Geotop entstanden, welches an den Zustand unbewachsener, alpiner Schutthalden erinnert. In den Eiszeiten muss es im Baselbiet verbreitet so ausgesehen haben.
Der Aufschluss zeigt ein Gemisch von Blöcken und Steinmaterial neben dem feinen, kiesigen Gehängeschutt. Letzterer wird im Volksmund als Mergel oder Marchel bezeichnet und ist als Strassenbelag für Waldstrassen und Kiesplätze gut geeignet. Er wurde hier früher in grossem Stil, aktuell noch in Kleinmengen, abgebaut. Die weite Verbreitung dieses «Mergels» hatte zur Folge, dass im Baselbiet eine Fülle von zumeist aufgelassenen Gruben vorhanden ist, die von früherer, verbreiteter Abbautätigkeit zeugen. Der Gehängeschutt ist vielerorts über tonigmergeligen Gesteinen der Passwang-Formation nach talwärts abgeglitten und durch schüsselförmige Gleitbewegungen rotiert worden.
Die Isleten-Verwerfung
Auf dem weiteren Pfad durchs Unterholz an ausgetrockneten Wildsausuhlen vorbei erreicht man die Isletenstrasse, die zum nächsten, spektakulären Aufschluss führt. Hier ist der Ostrand des Sissacher-Fluh-Grabens direkt aufgeschlossen. Im Westen steht Hauptrogenstein an und im Osten der Störung stehen die mergelig-kalkigen Gesteine der mittleren Passwang-Formation an («Brüggli-Member»).Der Hauptrogenstein ist in einer schmalen Zone an der Störung durch die Beanspruchung bei der Grabenabsenkung um rund 50 Meter stark zerbrochen. Die Passwang-Formation gehört zum sogenannten Risseholden-Horst. Östlich angrenzend an den Sissacher-Fluh-Graben – dieser als eingesunkene Scholle – folgt wiederum eine Hochscholle, die nach der Risseholde benannt ist.
Bischofstein auf Grabenscholle
Ein ebener Fusspfad führt ab Isletenstrasse zur Ruine Bischofstein, die wiederum auf einer eingesunkenen Scholle mit Hauptrogenstein liegt (Tenniken-Graben). Der Schollenabschnitt mit der Ruine Bischofstein liegt gegenüber dem Hauptrogenstein des Burgenrains (im Süden, auf der gleichen Scholle) eigentlich zu hoch, muss also gegen Süden rücküberschoben sein. Rücküberschiebung bedeutet eine nach Süden gerichtete Überschiebung. Im Schollenfeld des Tafeljuras kommen nach Norden und nach Süden gerichtete Verwerfungen vor, was wahrscheinlich durch Unregelmässigkeiten im tieferen Untergrund bedingt ist. Diese können mit dem von der Nagra festgestellten Permokarbontrog unter der Nordschweiz zusammenhängen.
Ausgedehnte Rutschung
Sehr mächtiger Gehängeschutt liegt im Gebiet Chienberg. Hier haben Sondierbohrungen für den Chienbergtunnel bis 63 Meter Lockergestein in Form von Gehängeschutt und versackten Felspaketen ergeben. Die Hütte Tännligarten/Chienberg liegt auf einer Terrasse, die von verrutschtem Gehängeschuttmaterial gebildet wird. Verebnungen im Gehängeschuttbereich sind immer ein Zeichen von abgeglittenen Massen, die jedoch heute stabil sind und keine Rutschgefahr mehr darstellen (wie z.B. beim Altersheim Gritt in Niederdorf).
Böckter Rüteli rutschte
Östlich des Hofes Wisler bildete sich 1856 nach Starkniederschlägen ein grosses «Gerütsche», das einen Bereich bis zum Ergolztal-Schotter hinunter umfasste. Das Gebiet ist heute stabil und überbaut. Eventuell ist die auffällige, unnatürliche Führung der Bachrinne des Hinterdorfbächlis über einen Geländerücken in Böckten als Sanierungsmassnahme nach diesen Rutschbewegungen zu sehen.
Die Geologie, die auf der Exkursion angetroffen wurde, ist für den Tafeljura typisch. Es sind wenige Aufschlüsse vorhanden. Das heisst: Viel Schutt verdeckt die Gesteine des Felsuntergrunds. Ein spezieller Höhepunkt ist jedoch der Aufschluss einer Verwerfung (oder eines Bruchs) an der Isletenstrasse, da sonst Brüche (an Schollengrenzen) im Tafeljura eher selten sichtbar sind. Einen guten Überblick erhielten die Teilnehmer auch auf die Täler des Tafeljuras, die ja einst mit Felsgestein ausgefüllt waren. Dieses Material wurde im Lauf der Jahrmillionen ausgeräumt und liegt im Oberrheingraben oder ist bis zur Nordsee verlagert worden und bildet dort wieder neue Gesteine. Der Kreislauf ist geschlossen.
Urs Pfirter
vs. Die Leitung der Exkursion lag in den Händen von Urs Pfirter (72), praktischer Geologe und mit der Region aus langjähriger Tätigkeit in einem praktischgeologischen Büro in Muttenz vertraut.
Die Tätigkeit des praktischen Geologen umfasst die Baugrunduntersuchung für Baugruben von Gebäuden und Tunnels, die Untersuchung und Sanierungsbegleitung von Rutschungen, die Untersuchung von Quellen sowie Grund- und Mineralwasservorkommen und die auch immer wieder notwendige Untersuchung und Sanierung von Altlasten.
In den vergangenen Jahren beschäftigte sich Pfirter mit den geologischen Aufnahmen für das Blatt Sissach des Geologischen Atlasblatts Sissach-Rheinfelden. Das Blatt mit bebildertem Erläuterungstext und geologischen Profilen ist im vergangen Jahr publiziert worden und ist bei Swisstopo in Wabern/BE erhältlich.