«Wir haben lasche Gesetze gegen Korruption»
22.10.2020 Baselbiet, Parteien, PolitikAdil Koller und Samira Marti über Filz und das Erfolgsrezept der SP
Am Samstag besetzt die SP Baselland ihr Präsidium neu. Die abtretenden Adil Koller und Samira Marti sprechen mit der «Volksstimme» über den Zustand ihrer Partei und die «Filz-Probleme» des ...
Adil Koller und Samira Marti über Filz und das Erfolgsrezept der SP
Am Samstag besetzt die SP Baselland ihr Präsidium neu. Die abtretenden Adil Koller und Samira Marti sprechen mit der «Volksstimme» über den Zustand ihrer Partei und die «Filz-Probleme» des Kantons.
Sebastian Schanzer
Adil Koller, Sie haben wie kein anderer Landrat die Ungereimtheiten um die Zentrale Arbeitsmarktkontrolle (ZAK) mit kritischen Fragen und Vorstössen im Landrat begleitet. Ende September teilte die Baselbieter Staatsanwaltschaft mit, dass sie Anklage gegen Regierungsrat Thomas Weber erhebt. Er soll der ZAK möglicherweise Geld zugeschanzt haben. Haben Sie mit einer Anklage gerechnet?
Adil Koller: Das ist meiner Meinung nach schon happig, wenn für die Staatsanwaltschaft genügend Indizien für ungetreue Geschäftsführung vorhanden sind. In diesem Kanton hat man so etwas jedenfalls noch nie gesehen. Wir müssen nun abwarten, zu welchem Schluss das Gericht kommt. Wird Weber verurteilt, wird das wohl Konsequenzen haben. Es geht um seine Integrität. Für einen Regierungsrat ist es zentral, seine Geschäfte sauber zu erledigen und präzise zu arbeiten. Falls sich bestätigen würde, dass er sich der ungetreuen Geschäftsführung schuldig gemacht hat, müsste Weber selbst entscheiden, ob er im Amt bleibt. Wahlen sind erst wieder 2023.
Mit Rücktrittsforderungen halten Sie sich bisher aber noch zurück.
Koller: Es ist nicht an der SP oder am Parlament, mitten in einem Verfahren Rücktrittsforderungen zu stellen.
Samira Marti: Solche Forderungen sind ohnehin meistens fehl am Platz. Es gilt die Unschuldsvermutung, daran müssen sich auch Politikerinnen und Politiker halten. Wenn allerdings Andreas Glarner im Bundesparlament nicht respektiert, dass seine Kollegin Sibel Arslan Schweizerin ist, nur weil er ein Rassist ist, dann muss man sogar dessen Rücktritt fordern. Denn das ist menschenverachtend und hat keinen Platz in unserer Demokratie. Bei einem laufenden Strafverfahren wie jetzt bei Weber kann man aber auch einmal auf die Bremse stehen.
Werden Sie von Kollegen und Kolleginnen im Bundesparlament auch auf die Filz-Vorwürfe im Baselbiet angesprochen?
Marti: Dass das Baselbiet mit der Wirtschaftskammer ein Filz-Problem hat, weiss man in Bern schon lange. Die ZAK-Affäre ist national bekannt. Solche Auseinandersetzungen kennen andere Regionen auch. In der Schweiz gelten ganz allgemein zu lasche Gesetze gegen Korruption. Der Einfluss, den mächtige Lobbyverbände auf die Politik ausüben, wird in anderen Ländern viel strenger beobachtet. Die Schweiz wird international immer wieder gerügt, weil unsere Gesetze zu wenig greifen und die Parteien keine Transparenz bezüglich Spenden und Abstimmungsfinanzierung schaffen müssen. Dabei ist es offensichtlich, dass politische Entscheide, vor allem Volksabstimmungen, durch millionenschwere Interessenvertreter beeinflusst werden. Bei der Bevölkerung ist das Bedürfnis nach Transparenz entsprechend gross. Das zeigen etwa die Kantone Schwyz oder Fribourg, in denen eine Offenlegungspflicht für Spenden bei den Parteien eingeführt wurde. Auf nationaler Ebene hinken wir nach: Im September ist ein Gegenvorschlag zur Transparenzinitiative gescheitert, weil die bürgerlichen Parteien im Nationalrat die Offenlegungspflicht für Spenden aus der Vorlage gestrichen haben.
Zumindest was die Lohndumping-Kontrollen im Baselbiet anbelangt, soll mit der Revision des Schwarzarbeitsgesetzes nun aber eine Besserung folgen.
Koller: Ja, da sind wir auf gutem Weg. Es ist wichtig, dass sich die Vorkommnisse der Vergangenheit nicht wiederholen können. Dazu müssen wir die schlechten alten Gesetze durch neue ersetzen. Die SP war die treibende Kraft, dass es nun zu solch einer Revision kommt. Wir müssen allerdings schauen, dass wir es nicht auf den letzten Metern verspielen, eine mehrheitsfähige Lösung zu finden.
Gemäss der Grünen/EVP-Fraktion spricht das neue Gesetz den Sozialpartnern zu viel Macht zu. Werden Sie hier gerade links überholt?
Marti: Wir wollen nicht einfach Probleme bewirtschaften. Ich erwarte von allen Mitgliedern des Landrats den Willen, gemeinsam gute Lösungen zu finden. Überparteiliche Gespräche sind dafür zentral. Auch die Grünen/ EVP-Fraktion sollte sich dabei einbringen. Denn die Verantwortung ist gross: Wir brauchen ein Gesetz, das reale Verbesserungen bringt. Es geht um die Arbeitsbedingungen auf dem Bau und damit um die wirtschaftliche Existenzsicherung der untersten Einkommensschicht. Dessen sollten sich alle bewusst sein, wenn Spielereien betrieben werden.
Koller: Ich habe nach der ersten Lesung im Landrat mit den Grünen mehrfach gesprochen und hoffe, dass wir sie noch von den vielen Verbesserungen in den neuen Gesetzen überzeugen können. Wir alle wollen die Schwarzarbeit und Verstösse gegen die Gesamtarbeitsverträge verhindern. Und wir wollen auf der anderen Seite auch, dass die Filz-Geschichten nicht mehr möglich sind. Die neuen Gesetze helfen hier sehr.
Wie wir jüngst mitbekommen haben, ist auch die Linke nicht frei vom Filz-Verdacht. Wie bewerten Sie die Vorwürfe gegen Regierungsrat Isaac Reber und die Grünen-Landräte Klaus Kirchmayr und Balint Csontos?
Marti: Mir ist die Geschichte sauer aufgestossen. Man kann nicht einen politischen Vorstoss einreichen, sich für das entsprechende Projekt die privaten Gewinne via Patent sichern und sich dann von einem engen Parteifreund gleich faktisch den entsprechenden Auftrag geben lassen. Die SP hat diese Konstellation von Beginn weg kritisiert, und ich bin froh, dass die Verantwortlichen nun einsichtig sind. Staatspolitisch wäre so ein Projekt untragbar gewesen. Wichtig bleibt die notwendige Verkehrsoffensive im Kanton. Die Politik muss hier noch einmal über die Bücher und die Strecken im Kanton, die dringend verbesserte Velo-Infrastrukturen benötigen, priorisieren.
Das Projekt hat Reber nun sistiert. Ist es damit getan?
Koller: Im Landrat wurden Isaac Reber diverse Fragen dazu gestellt. Er hat keine davon ausreichend beantwortet. Über die Verbandelungen hatte er jedenfalls nicht von Anfang an informiert. Es hat auch niemand von ihm gefordert, das Projekt ohne Erklärung abzublasen. Reber muss jetzt einen Schlussbericht verfassen und aufzeigen, wie das Projekt durchgesetzt worden wäre, was der Stand der Planung war und was davon für andere Projekte verwendet werden kann. Ich gehe zudem davon aus, dass die Geschäftsprüfungskommission die genauen Abläufe untersuchen will. Das ist ja ihre Aufgabe.
Sie beide geben nach jahrelanger Zusammenarbeit in Kürze das Präsidium und Vizepräsidium bei der SP Baselland ab. Sind Sie zufrieden mit dem derzeitigen Zustand der Partei?
Koller: Als die SP 2015 nach 90 Jahren aus der Regierung flog, hatten wir den Talboden erreicht. Das war brutal und wohl unsere grösste Krise seit Langem. Es brauchte für die Partei dann schon auch Mut, den Aufbruch zu wählen und ein Co-Präsidium mit Regula Meschberger und mir als sehr jungem Politiker zu wählen. Wir haben uns überlegt, wie wir die Partei klarer positionieren können. Anschliessend haben wir jedes Jahr an Mitgliedern zugelegt. Mittlerweile sind wir wieder in der Regierung vertreten und die stärkste Partei im Kanton. Kommt hinzu: Vor fünf Jahren sagte man der SP nach, sie habe ein Generationen-Problem. Es gebe nur «ganz Junge und ganz Alte» und in der Mitte fehlten die Leute. Heute ist klar ersichtlich, dass wir mittlerweile die ganze Breite in der Partei aktivieren konnten. Darauf sind wir besonders stolz.
Marti: Das ist ganz entscheidend, denn wenn man an der Spitze der Partei nur alte, reiche Männer hat wie die SVP, dann werden politisch auch nur deren Interessen vertreten. Es findet schlicht nur diese eine Lebensrealität Einzug in die politischen Entscheide. Unsere Bevölkerung ist aber nicht so eindimensional. Die Vielfalt der Lebensrealitäten muss auch im Programm und der Personalpolitik einer Partei abgebildet sein. Das gilt für Frauen genauso wie für junge Menschen. Wir sind stolz, dass die SP Baselland diese Vielfalt verinnerlicht hat.
Ist das eine Erklärung für den Linksrutsch bei der Bevölkerung, der sich an den vergangenen Abstimmungen zeigte?
Marti: Wir beobachten auf jeden Fall ein steigendes Bedürfnis bei den Menschen, sich aktiv politisch zu betätigen. Viele blicken angesichts der ökologischen und wirtschaftlichen Krisen verunsichert bis pessimistisch in die Zukunft. Mit dem Beitritt in die SP entscheidet man sich, das ändern zu wollen, sich zu engagieren und die Zukunft selbst mitzugestalten. Das schlägt sich auch in den steigenden Mitgliederzahlen nieder. Das ist nicht nur im Baselbiet so, sondern in der ganzen Schweiz.
Linke Stimmen muss sich die SP immer mehr mit den Grünen teilen. Besteht hier ein Konkurrenzverhältnis?
Marti: Das Tolle ist ja: Wir teilen die Stimmen zwar mit den Grünen, aber im Gesamten werden es immer mehr linke Stimmen. Vor 2019 hatte immer entweder die SP gewonnen und die Grünen verloren oder umgekehrt. Nun konnten wir gemeinsam unser Potenzial erweitern. Am Ende sitzen wir zusammen im Parlament und sind uns in den meisten Fragen einig.
Koller: Im Baselbiet haben die Grünen bei den vergangenen Landratswahlen stark zugelegt und wir haben ebenfalls zugelegt. Gemeinsam ist Rot-Grün so stark wie noch nie im Baselbiet. Wir sehen in der konkreten parlamentarischen Arbeit nun aber, dass dies noch nicht reicht. Es gibt im Landrat immer noch eine bürgerliche Mehrheit und wir müssen uns überlegen, wie wir damit umgehen wollen. Gute Kompromisse zu finden, bleibt eine sehr schwierige Aufgabe bei den aktuellen Mehrheitsverhältnissen.
Dabei gilt Ihr Oppositionskurs nach der Wahl von Kathrin Schweizer als beendet. Sind Sie zufrieden mit den Leistungen Ihrer neuen Regierungsrätin?
Koller: Ich glaube, für eine Zwischenbilanz ist es noch zu früh. Sie führt eine grosse Direktion und es braucht eine gewisse Zeit, bis man in allen Bereichen Akzente setzen kann. Sie hat das in einigen wichtigen Bereichen aber bereits getan, etwa indem sie im Frauenhaus beider Basel die Schutzplätze verdoppelt hat. Häusliche Gewalt ist ein grosses Problem.
Marti: Man muss auch festhalten, dass ein grosser Teil ihrer Zeit in der Regierung von der Coronakrise geprägt ist. Das ist nicht vergleichbar mit allem, was wir vorher kannten. In den Bereichen, in denen es ihr möglich war, hat sie schnelle und unbürokratische Lösungen gefunden. Zum Beispiel im Asyl- und Migrationsbereich, wo sie relativ schnell entschieden hat, sich an die nationalen Gesetze zu halten und die Menschen aus der Ausschaffungshaft zu befreien. In vielen anderen Kantonen ist das rechtswidrig abgelaufen. Das sind Dinge, über die nicht viel berichtet wird, aber das ist der ganz konkrete Gestaltungsraum im Alltag einer Regierungsrätin. Den hat sie in diesem Fall sehr gut genutzt.