Veloparking zurückgewiesen
11.09.2020 Bauprojekte, Verkehr, Bezirk Sissach, SissachGemeindeversammlung verwirft Erweiterung – Chaos am Bahnhof bleibt
Am Sissacher Bahnhof wird auf unabsehbare Zeit hinaus weiterhin ein Velochaos herrschen. Die Gemeindeversammlung hat ein Projekt von Gemeinde und SBB, das die Zahl der Abstellplätze verdreifacht hätte, klar verworfen. Es ...
Gemeindeversammlung verwirft Erweiterung – Chaos am Bahnhof bleibt
Am Sissacher Bahnhof wird auf unabsehbare Zeit hinaus weiterhin ein Velochaos herrschen. Die Gemeindeversammlung hat ein Projekt von Gemeinde und SBB, das die Zahl der Abstellplätze verdreifacht hätte, klar verworfen. Es sollen keine Bäume geopfert werden.
Christian Horisberger
Die Bau- und Planungskommission und die Gemeindekommission vermochte Jonas Epple (Stechpalme) zuvor nicht zu überzeugen. Die Gemeindeversammlung vom Mittwoch hingegen schon: Die Sissacherinnen und Sissacher schlossen sich Epples Widerstand gegen das Veloparking-Projekt von Gemeinderat und SBB an, dem zehn Feldahornbäume hätten geopfert werden sollen. Mit 60 gegen 12 Stimmen lehnte der Souverän den Kredit für die Erweiterung der Bike+ Rail-Anlage am Bahnhof über 570 000 Franken wuchtig ab.
Das Projekt sah vor, die Zahl der gedeckten Abstellplätze für Velos mithilfe eines doppelstöckigen Systems fast zu verdreifachen: südlich der Gleise sollte die Zahl der Parkplätze von 108 auf 334 und nördlich von 221 auf 583 Plätze erhöht werden. Zudem war geplant, neu 28 ungedeckte Parkplätze für Roller und Töffs zur Verfügung zu stellen. Damit hätte der akute Parkplatznotstand für Zweiräder am Bahnhof langfristig beseitigt werden können.
Die Erweiterung sollte keine zusätzliche Fläche in Anspruch nehmen, doch hätten zehn Bäume gefällt werden müssen. Im Gegenzug war eine Begrünung der Dächer der Parkieranlagen vorgesehen.
Der für das Geschäft zuständige neue Gemeinderat Stephan Marti (Pro Sissach) warb für das «sorgfältig geprüfte und zukunftsträchtige» Projekt, das eine «massive Kapazitätserweiterung» bringe. Dies zu günstigen Konditionen: Die Hälfte der Gesamtkosten von 1,133 Millionen Franken trügen die SBB, weitere 250 000 Franken würde der basel-städtische Pendlerfonds beisteuern. An der Gemeinde wären lediglich 320 000 Franken «hängen» geblieben.
«Von minderer Qualität»
Gemeindekommissionsmitglied Jonas Epple kritisierte das Vorhaben in seinem Plädoyer als «teure Parkplätze von minderer Qualität». Angesichts steigender Temperaturen stehe die Fällung von zehn Bäumen, die das Klima positiv beeinflussen, «schräg in der Landschaft» (die «Volksstimme» berichtete). Überdies stellte er die in Aussicht gestellte Kapazitätserweiterung infrage. Vergleichbare Anlagen zeigten, dass die obere Parketage schlecht genutzt werde, sodass effektiv deutlich weniger Abstellplätze gewonnen würden als angekündigt. Zudem warnte er vor Staus in den engen Gassen zwischen den Veloständern. Dies wirke sich negativ auf die Attraktivität der Parkplätze aus.
Um den Veloparkplatzmangel auf der Südseite des Bahnhofs zu entschärfen, schlug Epple vor, auf vorhandenen Freiflächen weitere einstöckige Veloständer zu installieren und probehalber auf dem kleinen Veloabstellplatz beim Kino Palace einen zweistöckigen Ständer aufzustellen. Mittelfristig empfahl er, auf dem «schlecht genutzten» Parkplatz beim Güterschopf gegenüber der Migros ein Parkdeck für Autos und darunter – ebenerdig – ein Veloparking zu bauen.
Als «Utopie» schlug er ein unterirdisches Veloparking unter der Bahnhofstrasse vor – im Stile jenes unter dem Basler Centralbahnplatz. Das sei «vielleicht gesponnen», so Epple, doch mit Blick auf das Bevölkerungswachstum sei es bereits heute eine Überlegung wert, wie die künftigen Verkehrsströme entflochten werden können. Er bat die Versammlung, das Geschäft abzulehnen. Der Gemeinderat solle einen neuen Vorschlag ausarbeiten.
Mehr Aufenthaltsqualität
Mit einer Ausnahme schlossen sich alle Versammlungsteilnehmerinnen und -teilnehmer, die das Wort ergriffen, Epple an. Gemeindekommissionsmitglied Laura Grazioli (Stechpalme) sprach sich für eine Extrarunde zugunsten einer «kreativeren, dem fortschrittlichen Sissach angemessenen Lösung» aus. Landschaftsarchitekt Pascal Gysin vermisste eine Grundlage für die massive Kapazitätserweiterung und votierte für weniger Abstellplätze und für mehr Aufenthaltsqualität mit Bäumen und Freiraum am Bahnhof.
Seine Bedenken zu Auslastung und Benutzerfreundlichkeit meldete Peter Gabathuler an: Wer es heute nicht schaffe, sein Velo vernünftig zu parkieren, der schaffe dies auf einer zweiten Parketage erst recht nicht. Karin Monetti doppelte nach: Nach ihrer Erfahrung werde bei doppelstöckigen Abstellplätzen die obere Reihe wenig genutzt. Am allerwenigsten von Leuten mit schweren Velos wie E-Bikes.
Kritik vor allem an den Methoden der SBB übten Daniel Schmutz, Präsident der Arbeitsgemeinschaft für Natur- und Heimatschutz Sissach und alt Landrat Stefan Zemp (SP). Schmutz erinnerte daran, dass die SBB entgegen einer Zusicherung des Bundesamts für Verkehr «in einer Nacht-und-Nebel-Aktion» die frühere Kastanienbaumalle zugunsten von Veloparkplätzen habe fällen lassen. Zemp prangerte das kurzfristige Denken der SBB an – das zeige sich nicht nur bei den Veloparkplätzen, sondern ebenso bei der einst stillgelegten Toilette am Bahnhof und aktuell auch bei ihrem Lokführermangel.
Für Jahre keine Lösung
Mehr Vertrauen in die Bahn hat Urs Zürcher, bis Mitte Jahr Mitglied der Gemeindekommission (Stechpalme). «Die überlegen sich kein schlechtes Projekt», sage er. Die Kapazität der Anlage sei nicht überdimensioniert, sondern auf die Zukunft mit mehr Bahnpendlern mit E-Bikes aus dem Einzugsgebiet Sissachs ausgerichtet. Zürcher blieb der einzige Votant, der dem Gemeinderat die Stange hielt.
Nach der verlorenen Abstimmung erklärte Gemeindepräsident Peter Buser (Stechpalme) zerknirscht, dass sich in den kommenden Jahren am Bahnhof nun sicher nichts tun werde. Als daraufhin ein Raunen durch die Menge ging, ergänzte Buser, dass am vorgelegten Projekt drei Jahre gearbeitet worden sei. Mindestens gleich lang werde die Vorbereitung einer neuen Variante nun wieder dauern. Wie weit die SBB bereit sind, auf die Wünsche Sissachs einzgehen, werde sich in den folgenden Verhandlungen weisen.
Rabatt auf Wasserrechnung wird gewährt
ch. Die weiteren Geschäfte an der Gemeindeversammlung vom Mittwoch in der coronakonform locker bestuhlten Primarturnhalle warfen kaum Wellen und wurden einstimmig oder mit grossem Mehr durchgewunken.
Die Wasser- und die Abwasserkasse, die mit einem Eigenkapital von 8 und 9 Millionen Franken aus den Nähten platzen (die «Volksstimme» berichtete), werden um 200 000 beziehungsweise um 475 000 Franken erleichtert. Die Versammlung sagte Ja zu einem einmaligen Rabatt von 50 Prozent auf die Wassergebühren des laufenden Jahres. Ein Antrag aus der Mitte der Versammlung, das Eigenkapital mit einer Auszahlung von 2000 Franken an jeden Einwohner Sissachs abzubauen, wurde zurückgezogen. Finanzchef Lars Mazzucchelli hatte darauf hingewiesen, dass dies nicht rechtens sei, da die Mittel zweckgebunden einzusetzen wären. Pascal Gysin regte an, die Mittel sollten doch nachhaltiger, für in die Zukunft gerichtete Projekte eingesetzt werden. Mazzucchelli erklärte, dass der Gemeinderat genau dies vorgehabt hätte, jedoch vom Kanton zurückgepfiffen worden sei: nicht zweckgebunden sei nicht erlaubt.
Die Rechnung 2019 weist bei Ausgaben von 30 Millionen einen Gewinn von 2,1 Millionen Franken aus – dies nach der Zuweisung von 1 Million an die «finanzpolitische Reserve». Der Finanzchef begründete das grosse Plus vorab mit der Aufwertung von Gemeindegrundstücken und -liegenschaften im Finanzvermögen um 1,6 Millionen Franken. Die Steuererträge blieben leicht unter den Erwartungen.
Der zuletzt im Jahr 2003 revidierte Zonenplan Siedlung kann überarbeitet werden. Die Versammlung gab mit ihrem Ja zum Kredit über 300 000 Franken grünes Licht. Gemäss Gemeindepräsident Peter Buser dürfte die Revision zwei Jahre dauern. Ferner bewilligten die Sissacher den Ersatz einer Sauberwasserleitung im Auweg für 315 000 Franken.