Im Netz der «Schwarzen Spinne»
01.09.2020 Bezirk Sissach, Kultur, SissachDie Theatercompany Texte und Töne bietet eine eindrückliche Inszenierung
Am Samstag hat die «Schwarze Spinne» auf dem Cheesmeyer-Areal ihr Netz gesponnen. Die Produktion der Theatercompany Texte und Töne zog das Publikum in ihren Bann und stimmte nachdenklich.
Martin ...
Die Theatercompany Texte und Töne bietet eine eindrückliche Inszenierung
Am Samstag hat die «Schwarze Spinne» auf dem Cheesmeyer-Areal ihr Netz gesponnen. Die Produktion der Theatercompany Texte und Töne zog das Publikum in ihren Bann und stimmte nachdenklich.
Martin Stohler
Die Pest bringt Furcht und Verderben ins Emmental. Erst als eine junge Mutter die Spinne, welche die Krankheit verbreitet, in ein Loch in einem Balken sperrt, ist der Albtraum fürs Erste vorbei. Man kann Jeremias Gotthelfs 1842 verfasste Novelle «Die schwarze Spinne» wie einen Schauerroman lesen, in dem die Welt aus den Fugen gerät, weil die göttliche Ordnung verletzt wird. Verletzt wird sie durch einen hartherzigen fremdstämmigen Burgherrn und «ein grausam handlich Weib, eine Lindauerin».
Diese ging einen Pakt mit dem Teufel ein, der es den Bauern möglich machte, die vom Burgherrn geforderte Leistung zu erbringen. Als die Bauern anschliessend den Teufel um den verlangten Lohn – ein ungetauftes Kind – betrogen, schickte er ihnen die Pest an den Hals. Für einmal liess sich der Teufel nicht ungestraft an der Nase herumführen.
Als die Pest schliesslich gebannt ist, kommt es zu einer «zweiten Welle», weil hochmütige Frauen das Zepter schwingen und der Hausvater seine Pflichten vernachlässigt. Gotthelf schildert die Ereignisse mit grosser Wortgewalt und gehörigem Theaterdonner.
Seine Novelle lässt sich allerdings auch als Psychogramm einer Gesellschaft lesen, die unter enormem Stress steht. Man hofft auf einfache Lösungen, schiebt die Schuld anderen zu und will es im Nachhinein immer schon besser gewusst haben.
Unterschiedliche Frauenbilder
Mit ihrer «szenisch-musikalischen Lesung zu Corona» arbeiteten die Sissacher Theatercopany Texte und Töne und ihr Regisseur Kaspar Geiger die verschiedenen Seiten von Gotthelfs Novelle gekonnt heraus. Die Lesung beschränkte sich nicht auf einen Vortrag des Textes. Vielmehr vertieften ihn die zwei Schauspielerinnen und vier Schauspieler mit überlegt eingesetztem, sparsamem Spiel. Dabei boten sie sowohl als Einzelne wie als Ensemble eine überzeugende Leistung. Unterstützt wurden sie von zwei Musikerinnen, die mit ihren Tönen die Intensität einzelner Momente noch intensiver werden liessen.
Gotthelfs Erzählung bildete zwar den roten Faden, der durch den Abend führte. Daneben gab es aber auch ein paar kurze Einschübe aus Jürg Federspiels «Ballade von der Typhoid Mary» von 1982. Federspiels «Ballade» ist eine recht freie literarische Bearbeitung des Lebens von Mary Mallon (1869–1938). Die Irländerin, die als Köchin in den USA arbeitete, steckte, ohne dass die Krankheit je bei ihr ausgebrochen wäre, unwissentlich zahlreiche Menschen an.
Für Federspiel ist Mary Opfer und unschuldige Täterin in einem. Mary kommt als Mädchen auf einem typhusverseuchten Einwanderungsschiff nach Amerika. Die blutjunge Frau weckt das Interesse eines Arztes mit Hang zu Kindfrauen und jenes lüsterner alter Männer. Einmal wird sie auch als Betreuerin eines behinderten Mädchens angestellt – dabei hofft ihr Arbeitgeber insgeheim, dass Mary das Kind ansteckt und es stirbt. Als dies nicht eintritt, wird Mary entlassen. Sie arbeitet wieder als Köchin und verbreitet die Krankheit weiter. Schliesslich wird sie aufgegriffen und in einer Krankenanstalt isoliert.
Mit den Auszügen aus Federspiels «Ballade» stellt «Texte und Töne»- Regisseur Kaspar Geiger Gotthelfs Lindauerin eine Frau zur Seite, die ein anderes Frauen-Bild zeigt, als es uns in der «Schwarzen Spinne» entgegentritt. Die Verzahnung der beiden Texte ist inszenatorisch gut gelöst – wenn Mary spricht, tragen ihre Mitspieler jeweils schwarze Masken und das Licht ändert sich. Von «Typoid Marys» Geschichte bekommen wir in der Inszenierung nur wenige Fragmente zu hören.
Ob das reicht, damit in den Köpfen des Publikums die erhellende Reibung zwischen Gotthelf und Federspiel in Gang kommt, lässt sich schwer sagen. Den Zuschauerinnen und Zuschauern haben die Inszenierung und die überzeugende Leistung jedenfalls gut gefallen, wie der warme Applaus am Ende der Vorstellung zeigte.
Leider blieb es in Sissach bei der Aufführung am Samstagabend. Die Sonntagsvorstellung musste aufgrund der schlechten Witterung abgesagt werden. Es besteht immerhin die Hoffnung, dass es im Frühling 2021 zu einer Wiederaufnahme des Stückes kommt.