Als sich die Bally aus dem Oberbaselbiet verabschiedete
04.08.2020 Bezirk Sissach, Gelterkinden, WirtschaftVor 30 Jahren schloss der Schuhhersteller die grosse Fabrik auf dem Eifeld
Im Jahr 1990 gingen am Bally-Standort in Gelterkinden die Lichter für immer aus. Die Fabrik war 1925 eröffnet worden. In den besten Zeiten fertigten dort 280 Angestellte 1400 Paar Schuhe pro Tag. Ein Rückblick auf ...
Vor 30 Jahren schloss der Schuhhersteller die grosse Fabrik auf dem Eifeld
Im Jahr 1990 gingen am Bally-Standort in Gelterkinden die Lichter für immer aus. Die Fabrik war 1925 eröffnet worden. In den besten Zeiten fertigten dort 280 Angestellte 1400 Paar Schuhe pro Tag. Ein Rückblick auf ein Stück Gelterkinder Industriegeschichte.
Heinz Spinnler
Die Jahre nach dem Ersten Weltkrieg waren geprägt durch Krisen, die auch die Arbeitswelt im Baselbiet nachhaltig veränderten. Die grossen Arbeitgeber in Gelterkinden und Sissach waren die Seidenbandwebereien. Die Aufträge brachen ein, Fabriken mussten schliessen, auch die Heimindustrie erlebte einen starken Rückgang. Doch im Jahr 1926 gab es in der Region Gelterkinden einen neuen Arbeitgeber: Die Schuhfabrik Bally eröffnete ein Zweiggeschäft.
Die Fabrik sollte sich zu einer eigenständigen Schuhfabrik entwickeln, unabhängig vom Stammhaus der Bally in Schönenwerd und ganz speziell: Es sollten preisgünstige Schuhe hergestellt werden. Viele Oberbaselbieter hatten in der «Baali» über Jahre eine Verdienstmöglichkeit gefunden.
Schuhe Marke «Gelkin»
Eingemietet in der ehemaligen Kartonagenfabrik Carta, die im «Eifeld» hinter dem Bahnhof Gelterkinden ihre Aktivitäten einstellte, begann Bally mit der Produktion von Schuhschäften, also den Oberteilen von Schuhen. Die «Volksstimme» kommentierte den Entscheid der Bally: «Mit grosser Freude begrüssen wir es, dass die neueingeführte Industrie, die Bally’sche Schuhfabrik, die Zahl der Angestellten immer mehr steigern kann.»
Bis Ende 1926 wurden 75 Arbeiter beschäftigt. Im Folgejahr konnten die Gebäude erworben werden und ein Anbau westseitig wurde realisiert. Jetzt fanden mehr als 100 Angestellte eine Beschäftigung. Die Produktion wurde ausgeweitet und nun fertigte man Schuhe von A bis Z.
Hergestellt wurden anfänglich ausschliesslich Frauenschuhe unter der Marke «Gelkin». Das Geschäft lief gut und es konnten genügend Arbeiter, vorwiegend Arbeiterinnen, gefunden werden. Bereits 1932 baute man weiter an, diesmal auf der Ostseite der Gebäude. 1938 fanden wiederum Umbauarbeiten statt. Nun fanden fast 400 Leute eine Verdienstmöglichkeit. Als die Kriegswolken 1939 aufzogen, rutschte auch die Schuhindustrie in eine Krise.
Zweck der Fabrik Gelterkinden
Der damalige Leiter der Bally-Zweigfabrik Gelterkinden, Paul Hofer, schrieb 1944 zur Situation im Schuhgewerbe Folgendes:
«Bis zu diesem Zeitpunkt (1926) bestanden in der Firma für Zuschneiderei und Näherei ganz getrennte Fabrikationsgruppen. Beide standen unter besonderer Leitung, zugeschnitten wurde nur in Schönenwerd. Gelterkinden hatte nun das Problem zu lösen, die Fabrikation von Schäften in einer einheitlichen, zusammengefassten Fabrikation zu organisieren. Da die bisherige Schönenwerder-Organisation auch gewisse unverkennbare Vorteile in sich barg, galt es abzuklären, bei welchem der beiden Wege die grösseren Erfolge sich erzeigen würden. Die Vereinigung der Verantwortung in eine Hand und die Zusammenfassung bisher getrennter Abteilungen in ein Fabrikationsaggregat musste sich bewähren. Das war dann auch der Grund, warum schon nach einem Jahr – die Schäftefabrikation war in dieser Zeit gut in Schwung gekommen – der Gedanke der Herstellung einer ganzen Schuhfabrik auf gleicher Basis, der Verwirklichung entgegengeführt wurde. Der Schäftefabrik sollte also auch die Schusterei, Finissage und Schachtelmacherei angegliedert werden. Auch hier bestanden zu dieser Zeit getrennte Fabrikationsabteilungen.
Während der Inbetriebsetzung der Gelterkinder-Fabrik vollzogen sich in der Schweiz tiefgehende Wandlungen im Schuhhandel, wie auch in der Fabrikation. Die Preise sanken auf einen Tiefstand, wie er wohl noch nie zu verzeichnen war. Die Gründe hierzu waren verschiedener Art. Für unsere Firma zeigten sich damals besondere Schwierigkeiten infolge der immer drückender werdenden Zoll- und Kontingentierungsmassnahmen unserer bisherigen hauptsächlichsten Ausfuhrländer. Hierzu kam in vermehrtem Masse die Währungsschwierigkeit und die wachsende Lähmung der Kaufkraft des gesamten Auslandes. Zur Zeit der Blüte im Exportgeschäft hatte unsere Firma darauf verzichtet, das Inlandgeschäft in allen Preislagen zu forcieren. Immer mehr verlangte aber die Kundschaft auch von Bally Schuhe in tieferen Preislagen, wie sich diese damals auf dem Markt herausgebildet hatten. Die Firma konnte sich diesen Begehren nicht entziehen und war auch durch die unerfreulichen Exportverhältnisse gezwungen, in vermehrtem Masse sich bis anhin nicht bearbeiteten Absatzgebieten zuzuwenden. Die Stärke von Bally, das Allerneueste im Gebiet der Mode, grösste Auswahl in Modellen, Materialien, dazu die Erfüllung jedes Kundenwunsches, hatte natürlich auch eine Preisbildung zur Folge, die wesentlich verschieden von derjenigen serienmässig arbeitender Unternehmen sein musste. Bestimmte volkstümliche, das heisst billige Preislagen, auf den Markt bringen zu können, hatte darum die Umstellung eines Betriebes auf den Serienartikel zur Voraussetzung. Hierzu wurde die neuerstandene Gelterkinder-Fabrik ausersehen. Nach den anfänglichen Misserfolgen und Schwierigkeiten konnte diese Aufgabe auch erfüllt werden, und weit über fünf Millionen Paar Schuhe haben bis heute den Weg von der Fabrik zur Kundschaft gefunden. Die Erreichung einer Tagesproduktion von 1700 Paaren bedeutete für Fabrik und Belegschaft eine anerkennenswerte Leistung.»
Veränderungen nach 1945
Nach 1945 besserte sich die Situation wieder und man entschied, in Reigoldswil eine Schaftnäherei einzurichten. Die Näherei belieferte ausschliesslich die Zweigfabrik Gelterkinden. Im Jahr 1949 hielt die geklebte Machart bei den Schuhen Einzug, ab 1957 wurden in Gelterkinden keine rahmengenähten Schuhe mehr fabriziert. Dies bedingte die Anschaffung von neuen Maschinen und Gerätschaften, auch die Räumlichkeiten waren nicht mehr zeitgemäss, sodass 1956 wieder gebaut wurde.
Im Jahr 1958 konnten die neuen, hellen Fabrikationsräume bezogen werden. Es waren 350 Arbeitsplätze vorhanden. Nun gab es in der Zwickerei eine Schiebebahn und in der Näherei eine Dürkopp-Transportanlage, um die Produktion zu rationalisieren. Die Produktion betrug nach Abschluss der Bauarbeiten 1300 Paar im Tag. Von der gesamten Herstellung waren 30 bis 40 Prozent Frauenschuhe und der Rest verteilte sich auf Baby-, Kinder- und Töchter-Artikel.
Kosthaus und Personaltransporte
Um die Arbeitskräfte in die Fabrik zu bekommen, betrieb Bally ab 1947 zwei Werkbusse. Ein kleiner Renault-Bus holte und brachte die Angestellten bis nach Anwil, aber auch Wenslingen wurde bedient, der andere fuhr bis nach Läufelfingen. Ebenfalls 1947 wurde eine als «Kosthaus» bezeichnete Kantine eröffnet. Das Gebäude steht direkt am hinteren Ausgang des Bahnhofs Gelterkinden am Eiweg und wird demnächst abgebrochen.
Gelterkinder Leder für Schuhe
Eine Bezugsquelle der Bally-Schuhfabriken für Leder war die Gerberei Baader in Gelterkinden, die auch im Auftrag von Bally Häute verarbeitete. Die verarbeitungsfähigen Produkte wurden aber nicht direkt an die Zweigfabrik geliefert, da die Bereitstellung des zu verarbeitenden Materials wohl von Schönenwerd aus geschah. Überliefert hat sich, dass die Gerberei speziell Ziegenleder aufbereitete, das für hochwertige Schuhe benötigt wurde. Der grosse Teil der Häute wurde von den zwei von der Bally betriebenen Gerbereien in Südamerika geliefert. Die beiden betriebseigenen Gerbereien lieferten im Jahr 1951 täglich bis 4000 Häute und bis zu 6000 Ziegenfelle – das war das Doppelte des gesamten Anfalls an Häuten in der ganzen Schweiz! Die Häute wurden dann in der Schweiz durch Gerbereien verarbeitet. Die Gerberei Baader stellte 1989 den Betrieb ein.
Firmensport für Gelterkinden
Die Firma Bally mass dem Firmensport eine grosse Bedeutung zu. Neben den Tischtennisklubs gab es auch Fussball- und Tennisklubs und eine Skigruppe. Am 5. Januar 1959 fand die Gründungsversammlung des Tischtennisclubs Gelterkinden statt, zu der 15 Personen willkommen geheissen werden konnten. Vorläufig wurde ein Trainingsabend in der Woche, und zwar der Donnerstag, bestimmt. Gespielt wurde im Kosthaus Gelterkinden, dessen Benutzung dazu erlaubt wurde.
Bis zum bitteren Ende
In einem Interview, das in der «bz Basel» 2015 erschien, erinnerte sich der 2019 verstorbene Otto Heinzelmann aus Rothenfluh an seine Bally-Zeit: «Bally hat zu lange hochwertige ‹Aristokratenschuhe› produziert.» Seit den frühen 1950er-Jahren bis in die 1990er hat er fast sein ganzes Berufsleben bei Bally gearbeitet, darunter die letzten Jahre vor der Schliessung als Betriebsleiter in Gelterkinden. «Als Schuhe zum billigen Allerwelts-Artikel wurden und dem raschen Modewechsel unterlagen, war langlebige Qualität weniger gefragt.»
In Gelterkinden war man Handfesterem verpflichtet: Kinder- und Winterschuhe machten zuletzt den Hauptteil des Sortiments aus. «Unsere Spezialität war das Vulkanisieren bei 127 Grad Hitze», erinnerte sich Heinzelmann. Damit dichtete man mit Gummi und Spezialleim die Winterschuhe gegen Nässe ab. Jeden Tag sei ein Lastwagen gekommen, habe Leder gebracht und fertige Schuhe mitgenommen. «In den 60er- und 70er-Jahren produzierten wir mit 280 Personen 1400 Paar Schuhe pro Tag.» Dies entsprach einer Tagesproduktion von 5 Paar pro Kopf. Heinzelmann betonte: «Der Standort Gelterkinden hat bis zuletzt immer rentiert.»
Allerdings waren zum Schluss nur noch 70 Personen im «Eifeld» beschäftigt. 1990 wurde der Betrieb in Gelterkinden geschlossen. Die Näherei in Reigoldswil wurde bereits im Jahr 1973 aufgehoben. In Gelterkinden gingen die Bally-Gebäude in der Folge an die Ikea über, die dort ein Büro- und Verwaltungszentrum betrieb und 2008 nach Pratteln wegzog. Das Gelände wurde seither von verschiedenen Betrieben genutzt. 2017 wurden Fabrik und Gelände dann an die Immobilienfirma Nerinvest aus Murten verkauft. Mittlerweile ist bekannt, dass auf dem Areal eine grosse Überbauung für Wohnen und Gewerbe geplant ist. Die Fabrik soll abgerissen werden. Der Quartierplan wird der Gemeindeversammlung von Gelterkinden im besten Fall im Dezember vorgelegt, sonst im Verlauf des Jahres 2021.
Wofür der Name Bally steht
spi. 1851 wurde von Carl Franz Bally (1822–1899) und seinem Bruder Fritz Bally die Schuhfabrik Bally & Co. im solothurnischen Schönenwerd gegründet. Diese Fabrik ging aus dem vom Vater übernommenen Betrieb hervor, einer Gummiband- und Hosenträger-Manufaktur. 1860 beschäftigte Bally bereits mehr als 500 Arbeiter. Nach einem weiteren Jahrzehnt expandierte das Unternehmen auch ausserhalb der Schweiz mit Niederlassungen in Buenos Aires, Montevideo und Paris. Bally-Schuhe wurden dank hervorragender Materialien, Qualität und Verarbeitung zu Luxusprodukten.
Carl Franz Bally starb 1899 und das Unternehmen wurde von seinen Söhnen Eduard und Arthur weitergeführt. Zu diesem Zeitpunkt wurden jährlich rund 2 Millionen Paar Schuhe produziert und in zahlreichen europäischen Ländern sowie in Nord- und Südamerika verkauft. Das Unternehmen beschäftigte 3200 Mitarbeiter.
1907 erfolgte der Gang an die Börse, die Familie Bally behielt jedoch die Stimmenmehrheit. Das zusätzliche Kapital erlaubte eine massive Expansion. 1908 wurde erstmals das Bally-Firmenlogo vorgestellt, das von verschiedenen Künstlern kreierte Werbeplakatkampagnen zierte. 1916 beschäftigte das Unternehmen mehr als 7000 Personen und produzierte 3,9 Millionen Paar Schuhe. Bally überstand die Weltwirtschaftskrise und den Zweiten Weltkrieg, indem man das Portfolio auf sportliche Schuhe und Militärstiefel ausweitete.
In der Nachkriegszeit expandierte das Unternehmen und etablierte sich erfolgreich im weltweiten Markt. Ab 1976 wurde das Unternehmen mehrmals verkauft, die Bally-Familie zog sich aus dem Unternehmen zurück. Die Liste der Verkäufe wäre lang – heute ist das Unternehmen in chinesischer Hand und beschäftigt weltweit 1600 Mitarbeiter, davon 430 in der Schweiz.
Das historische Erbe von Bally wird durch die Stifung Ballyana in Schönenwerd verwaltet. Informationen unter www.ballyana.ch. Quellen: Bally-Mitteilungen (Archiv Ballyana-Stiftung); «Volksstimme»-Archiv; «Basellandschaftliche Zeitung», 9. Dezember 2015; Wikipedia.