Alles ist Bakelit – und Bakelit ist alles
04.08.2020 Baselbiet, Kultur, PorträtEin – fast unbekanntes – Museum sucht eine neue Bleibe
Da er als gelernter Dekorateur und früherer Standbauer begeistert war von der Schlichtheit und der Funktionalität von Bakelit-Objekten, begann Jörg Josef Zimmermann vor vier Jahrzehnten damit, diese zu sammeln. Das von ihm ...
Ein – fast unbekanntes – Museum sucht eine neue Bleibe
Da er als gelernter Dekorateur und früherer Standbauer begeistert war von der Schlichtheit und der Funktionalität von Bakelit-Objekten, begann Jörg Josef Zimmermann vor vier Jahrzehnten damit, diese zu sammeln. Das von ihm aufgebaute «Bakelit-Museum» in Arlesheim sucht nun aber dringend eine neue Bleibe.
Robert Bösiger
Im Untergeschoss eines ehemaligen Swisscom-Industriekomplexes in Arlesheim wirbelt ein flinker älterer Herr mit Dreitagebart und charakteristischer runder Hornbrille umher. Denn wie beim Zügeln sind es am Schluss immer noch unzählige Dinge, die verstaut oder entsorgt werden müssen.
Jörg Josef Zimmermann (73), von Freunden «JJ» gerufen, ist tatsächlich am Aufbrechen. Einmal mehr – aber dieses Mal ist es ein erzwungener Aufbruch. Denn hier in diesem gesichtslosen Untergeschoss, wo bis vor kurzem die wohl umfangreichste Sammlung an Bakelit-Objekten der Welt zu bewundern war, wird demnächst etwas Neues entstehen. So waren er, seine Frau Manon und die paar Helferinnen und Helfer gezwungen, das seit sieben Jahren bestehende «Bakelit-Museum» in viele Palettenkisten zu verpacken. Noch ein Jahr lang darf er seinen Schatz – sein Lebenswerk – hier am Schorenweg in Arlesheim auf 50 Quadratmetern Fläche zwischenlagern.
Bis dahin möchte «JJ» eine neue Bleibe gefunden haben, um das Bakelit-Museum wieder auferstehen zu lassen. Leider haben bisher weder die reiche Gemeinde Arlesheim noch die Museums- und Mäzenenstadt Basel Interesse angemeldet, dieses Kulturerbgut zu übernehmen. Ein Kulturerbe, welches das Ehepaar Zimmermann demjenigen schenken möchte, der eine Fläche von mindestens 500 Quadratmetern anbieten kann.
Durch Zufall zum Bakelit-Sammler
Jörg Josef Zimmermann, 1947 in Zug geboren und dort aufgewachsen, ist eher zufällig zum Bakelit gekommen, jenem Kunststoffmaterial der ersten Stunde (siehe Kasten). «JJ» erzählt: Schon immer Jäger und Sammler, habe er früher als gelernter Dekorateur vor allem Glasobjekte wie Aschenbecher und schöne Jugendstil-Utensilien gesammelt. «Ab 1974 wohnte ich in Sissach im Gebäude der alten Säge vis-à-vis der Sägerei Horand. Ein altes Philips-Röhrenradio im Bakelitgehäuse, das ich am Flohmarkt von Belfort erstanden hatte, brachte über Nacht mein Gestell zum Einstürzen.»
Während die meisten Glasobjekte den Sturz nicht überlebten, bleiben das Radio und zwei weitere Bakelitobjekte heil. So begründet dieser Einsturz die Bakelit-Sammelleidenschaft von Zimmermann. Und wie! «Während zwei Jahrzehnten haben meine Frau Manon und ich fast kein Brockenhaus, keinen Antikshop und keinen Flohmarkt ausgelassen.» Für die Objekte der Begierde reisen sie um die Welt und geben ein Vermögen aus, das in die Millionen gehen dürfte.
Was ist es, das «JJ» am Material Bakelit so fasziniert? «Das mattglänzende Material mit seiner strukturierten Oberfläche, das je nach Lichteinfall an Sanddünen erinnert, hat mich angezogen.» Zusätzlich angetan hat es ihm als visuellem Menschen das Design – besonders Art Deco.
Suche nach neuem Standort
Die in Kisten verpackte Sammlung umfasst mittlerweile gut 10 000 Objekte, vom Fingerhut über den Haarföhn und den Ventilator bis hin zu Spielsachen, Dosen, Radios, Lautsprechern, Telefonen, Lampen, Elektround Fotoapparaten, Schreibtisch- und Raucher-Utensilien, Thermoskrügen, Camping-Geschirr, Mixer. Und, und, und. Kaum einen Alltagsgegenstand, der im 20. Jahrhundert bis Mitte der 1960er-Jahre nicht aus Bakelit gefertigt werden konnte. Liebhaber behaupten, dass Bakelit im Gegensatz zu modernen Kunststoffen ein besseres Griffgefühl vermittle. Heute haben andere Kunststoffe das Bakelit weitgehend verdrängt.
Manon und Jörg Josef Zimmermann haben also noch ein Jahr Galgenfrist, um eine neue Besitzerschaft zu suchen. Was, wenn es nicht klappt, «JJ»? Daran möchte er gar nicht denken. «Die Sache sterben zu lassen ist keine Option – das wäre fast ein Verbrechen an der Menschheit.» Am liebsten wäre ihm, wenn die Sammlung in der Region bleiben könnte, so hätte er am ehesten Gelegenheit, weiterhin Führungen anzubieten.
Bliebe noch die Frage, ob er alle wesentlichen Teile und Objekte aus Bakelit in seiner Sammlung hat oder ob es doch etwas gibt, das ihm noch fehlt. Es gäbe da schon zwei, drei Gegenstände, sagt er. «Objekte meiner Begierde wären unter anderem ein frühes Babyfon (‹Nurse-Radio›) aus den USA oder ein spezielles Bakelit-Radio aus Australien.»
Ein Stoff für den Alltag
rob. Weil er nach einem Ersatzstoff für Schellack suchte, entwickelte der belgische Chemiker Leo Hendrik Baekeland (1863–1944) zwischen 1905 und 1907 den ersten vollsynthetischen Kunststoff der Welt. Er nannte ihn «Bakelit(e)». Als Erstes gelang es ihm, Phenol und Formaldehyd so zu kombinieren, dass ein beliebig formbarer Werkstoff entstand. Bakelit wies eine hervorragende elektrische Isolation auf, ermöglichte hohe Stückzahlen und war aufgrund der Ausgangsmaterialien in grossen Mengen verfügbar. Viele Produkte wurden so für die breite Masse von Konsumenten erschwinglich. Von 1906 bis etwa 1966 wurden unzählige Alltagsgegenstände aus Bakelit gefertigt.