Neues Bildungsgesetz soll vors Volk
03.07.2020 Baselbiet, Bildung«Elternlobby» will Mitspracherecht bei sonderpädagogischen Massnahmen
Eltern dürfen nichts entscheiden, Privatschulen werden benachteiligt: Fredi Jaberg und die «Elternlobby» wollen, dass das Volk über die neue Regelung der Sonderpädagogik abstimmt, und ergreifen das Referendum ...
«Elternlobby» will Mitspracherecht bei sonderpädagogischen Massnahmen
Eltern dürfen nichts entscheiden, Privatschulen werden benachteiligt: Fredi Jaberg und die «Elternlobby» wollen, dass das Volk über die neue Regelung der Sonderpädagogik abstimmt, und ergreifen das Referendum gegen die Revision des Bildungsgesetzes.
Sebastian Schanzer
Möglicherweise haben sich die Amtsträger in der Baselbieter Bildungsdirektion zu früh gefreut, als der Landrat vor drei Wochen fast einstimmig die Änderungen des Bildungsgesetzes zu den Angeboten der Speziellen Förderung und der Sonderschulung guthiess. Denn längst nicht alle Ansprechgruppen sind mit der Vorlage so zufrieden, wie es offensichtlich das Parlament war: Fredi Jaberg, Präsident des Vereins Elternlobby Schweiz, findet es skandalös, was das Parlament Anfang Juni entschieden hat: «Erziehungsberechtigte werden einfach zu Zuschauern degradiert, wenn es darum geht, das richtige Förderangebot für ein Kind mit besonderen Bedürfnissen zu finden», sagt er. «Eltern dürfen mitdenken, sich einbringen; aber die Schule entscheidet.»
Mit rund 250 Freunden und Vereinsmitgliedern sammelt Jaberg deshalb Unterschriften. Sein Ziel: Die Baselbieter Bevölkerung soll über die Gesetzesvorlage abstimmen. Bis zum 13. August muss der Bubendörfer 1500 Unterschriften für das Referendum beisammen haben. «Das schaffen wir locker, da bin ich zuversichtlich.»
Erfolg erst im zweiten Versuch
Im Jahr 2010 hatte das Baselbieter Stimmvolk mit fast 60 Prozent Ja-Stimmen dem Beitritt zum Sonderpädagogik-Konkordat zugestimmt und sich somit zur integrativen Ausrichtung der Volksschule bekannt. Diese wird an den Schulen auch seit Jahren praktiziert, eine erste Gesetzesvorlage für die Umsetzung im Baselbiet wurde 2014 aber an die Regierung zurückgewiesen. Die Integration von Kindern mit besonderem Förderungsbedarf in die Regelklassen bedrohe das Bildungsniveau der ganzen Klasse, befürchteten Kritiker damals.
Der zweite Versuch aber glückte: Mehr als ein Jahr lang hatte die Bildungs-, Kultur- und Sportkommission (BKSK) an der Vorlage gefeilt, bevor sie nun im Parlament beraten und verabschiedet wurde (siehe Kasten). Jaberg ist überzeugt: «Die Landräte und Landrätinnen hatten einfach keine Lust mehr, über dieses Gesetz noch lange zu diskutieren.»
Er kritisiert insbesondere, dass künftig nicht die Eltern über die Aufnahme von Angeboten der Speziellen Förderung entscheiden, sondern die jeweilige Schulleitung. Eine Zuweisung und die entsprechende Abklärung muss laut Gesetz nur «in der Regel» im Einverständnis mit den Erziehungsberechtigten erfolgen. Auch bei der Sonderschulung ist es eine vom Kanton bestimmte Fachstelle, die beurteilt, ob die Angebote der Speziellen Förderung ausreichen oder nicht. Über die Inanspruchnahme einer Sonderschulung entscheiden muss dann die Bildungs-, Kultur- und Sportdirektion (BKSD). Eltern dürfen lediglich Stellung dazu nehmen.
Privat- statt Sonderschule
Unverständlich ist für Jaberg auch der durch das Gesetz vorgesehene Vorrang der öffentlichen gegenüber den Privatschulen. Dem Schulpsychologischen Dienst steht für Privatschulzuweisungen nur noch ein Kontingent von 30 Plätzen zur Verfügung. Früher waren es 150. «Hunderte von Kindern im Baselbiet leiden unter unserem Schulsystem und könnten sich mit einem anderen pädagogischen Modell besser entfalten. Nach der vorgesehenen Regelung ist dies aber hauptsächlich jenen Familien vorbehalten, die sich eine Privatschule auch leisten können», moniert Jaberg.
Bereits Ende vergangenen Jahres reichte eine den Privatschulen nahestehende Gruppe – Jaberg ist Mitglied – eine Petition mit 1100 Unterschriften bei der Landeskanzlei ein, unter anderem mit der Forderung, Kindern mit besonderen Bedürfnissen den Besuch einer Privatschule zu ermöglichen, anstatt sie in einer separativen Sonderschulung unterzubringen. Die Bildungs-, Kultur- und Sportkommission und in der Folge auch der Landrat zeigten nur wenig Gehör für die Petenten. Das mögliche Referendum ist die Rechnung dafür.
Den Regelunterricht stärken
sda. Mit den Änderungen des Bildungsgesetzes will die Baselbieter Regierung unter anderem die Kosten der Speziellen Förderung und der Sonderschulung stabilisieren, administrativen Abläufe vereinfachen und den Regelunterricht stärken. So soll die Spezielle Förderung an den Schulen gezielter und flexibler eingesetzt werden. Schulen entscheiden künftig selber, ob die finanziellen Mittel primär für integrative oder separative Spezielle Förderung eingesetzt werden. An den Kleinklassen wird festgehalten. Künftig werden den Schulen Lektionen-Pools zugewiesen, die im Verhältnis zur Anzahl Schülerinnen und Schüler stehen. Dabei werden Förderangebote für Fremdsprachige separat in einem Pool ausgewiesen. Die vorgesehenen Lektionen-Pools müssen nicht ausgeschöpft werden. Die Pools sollen alle 5 Jahre überprüft und bei Bedarf angepasst werden. Für die Spezielle Förderung auf Sekundarstufe sowie die Sonderschulung rechnet der Kanton mit Kosten von rund 70 Millionen Franken pro Jahr. Für die Finanzierung der Speziellen Förderung auf Primarstufe sind die Gemeinden zuständig.