Urteil zwingt Kanton in die Knie
14.05.2020 Baselbiet, Bildung, Bezirk WaldenburgRegierung will sich künftig an Kosten für Schülertransporte beteiligen
Was mehreren Landräten nicht gelang, hat ein Eptinger Elternpaar mithilfe des Gerichts nun erzwungen. Die Baselbieter Regierung will sich künftig an den Kosten beteiligen, wenn Sekschüler auf den öV angewiesen ...
Regierung will sich künftig an Kosten für Schülertransporte beteiligen
Was mehreren Landräten nicht gelang, hat ein Eptinger Elternpaar mithilfe des Gerichts nun erzwungen. Die Baselbieter Regierung will sich künftig an den Kosten beteiligen, wenn Sekschüler auf den öV angewiesen sind. Eine entsprechende Regelung ist in Arbeit und soll bereits im kommenden Schuljahr gelten.
Sebastian Schanzer
Jedes Jahr aufs Neue streiten sich das Amt für Volksschulen (AVS) und einzelne Eltern von Sekschülerinnen und -schülern über weite Schulwege und die dadurch entstehenden Transportkosten. Um die Klassengrössen möglichst nah an den gesetzlichen Richt- und Höchstzahlen zu halten, teilt das AVS nämlich einzelne Kinder beim Übertritt an die Sekundarschule einem Standort innerhalb des Schulkreises zu, der nicht dem nächstgelegenen entspricht. Eine Schülerin aus Oberdorf kann beispielsweise gezwungen werden, die Sek in Reigoldswil zu besuchen, obwohl sich auch in ihrer Wohngemeinde eine Schule befindet.
Mit jeder zusätzlichen Klasse, die so verhindert werden kann, spart der Kanton nach eigenen Angaben eine Viertelmillion Franken – allerdings tut er dies auf Kosten der Erziehungsberechtigten, ist SP-Landrat Jan Kirchmayr aus Aesch überzeugt. Denn an den erforderlichen ÖV-Billets der Schüler beteiligt sich der Kanton nicht.
Vor zwei Jahren forderte Kirchmayr die Baselbieter Regierung per Motion auf, sich an den Fahrkosten zu beteiligen und dafür eine gesetzliche Grundlage zu schaffen. Sein Vorschlag: Der Kanton soll den betroffenen Eltern auf Antrag 50 Prozent ans U-Abo bezahlen. Eine Mehrheit im Parlament wollte den Vorstoss allerdings nicht einmal als Postulat überweisen, wie es die Regierung vorgeschlagen hatte.
«Klarer Handlungsbedarf»
Damit war die Problematik freilich nicht aus der Welt geschafft. Was Kirchmayr und vor ihm bereits anderen Landräten auf politischem Weg nicht gelungen ist, hat nun aber ein Elternpaar aus Eptingen über den rechtlichen Weg erzwungen. Mitte Februar verbrummte das Kantonsgericht das AVS dazu, die Transportkosten für zwei Schülerinnen von einem Aussenhof in Eptingen an die Sekundarschule Sissach zu übernehmen. Das Gericht begründete sein Urteil mit der von der Verfassung garantierten Unentgeltlichkeit des Grundschulunterrichts und dem damit verbundenen Anspruch auf Unterstützung bei einem unzumutbaren Schulweg (die «Volksstimme» berichtete). Das schriftliche Urteil ist seit Anfang Woche öffentlich einsehbar.
«Das Urteil hat dem AVS einen klaren Handlungsbedarf aufgezeigt», sagt Christa Sonderegger, Leiterin des Stabs Recht der Bildungs-, Kultur- und Sportdirektion (BKSD) auf Anfrage. Jetzt sollen einheitliche Regeln her. Die Regierung hat die BKSD beauftragt, ihr einen Verordnungsentwurf für die Transportkostenentschädigung zu unterbreiten, wie Sonderegger bestätigt. Ziel ist, dass die neue Regelung bereits im kommenden Schuljahr zum Tragen kommt.
Kosten im sechsstelligen Bereich
Noch zu regeln ist, wer genau Anspruch auf Entschädigung haben soll und wie hoch die Beiträge des Kantons ausfallen werden. «Das Urteil lässt uns hier einen gewissen Ermessensspielraum», sagt Sonderegger. Sollte das U-Abo – für Junioren kostet es derzeit 530 Franken im Jahr – die günstigste Variante sein, könnte beispielsweise eine Beteiligung der Eltern gerechtfertigt sein, zumal das Abo auch in der Freizeit benutzt werden kann.
Klar ist aber: Die neue Verordnung wird für den Kanton erhebliche finanzielle Auswirkungen haben. Zu erwarten sind jährliche Kosten im sechsstelligen Bereich. Denn wie das Urteil deutlich gemacht hat, betrifft die Neuregelung keineswegs nur die «versetzten» Schüler. «Anknüpfungspunkt ist die Unzumutbarkeit des Schulwegs», sagt Sonderegger. Und gerade im Oberbaselbiet sei das Einzugsgebiet einer Sekundarschule gross – die Wege weit. «Etlichen Kindern kann der Schulweg nur dank öffentlichem Verkehr zugemutet werden.»
Vor Gericht argumentierte die Regierung denn auch, das Zurücklegen längerer Schulwege sei aufgrund der Zusammenlegung der Sekundarschulkreise im Baselbiet zum Regelfall geworden. Einen Anspruch auf Entschädigung wollte die Regierung daraus aber nicht folgern.
Sandor Horvath, der als Anwalt die Eptinger Familie vertrat und sich auf Schulweg-Fragen spezialisiert hat, sagt aber: «Da der Primar- und Sekundarschulunterricht unentgeltlich ist, müssen die Schulträger grundsätzlich sämtliche notwendigen Transportkosten übernehmen. In den meisten Fällen beinhaltet dies den Ersatz der Kosten für ein Abonnement.» Eine 50-Prozent-Entschädigung, wie sie Jan Kirchmayr vorgeschlagen hatte, dürfte laut Horvath kaum verfassungskonform sein.