«Schiers tat mir gut»
29.05.2020 Baselbiet, BildungZwei Altschierser erinnern sich an ihre Zeit im Lehrerseminar (Teil II)
Das Lehrerseminar von Schiers im Prättigau war während Jahrzehnten die Baselbieter Primarlehrer-Schmiede. Wir haben kürzlich in der «Volksstimme» daran erinnert. Heute blicken zwei Altschierser auf ihre ...
Zwei Altschierser erinnern sich an ihre Zeit im Lehrerseminar (Teil II)
Das Lehrerseminar von Schiers im Prättigau war während Jahrzehnten die Baselbieter Primarlehrer-Schmiede. Wir haben kürzlich in der «Volksstimme» daran erinnert. Heute blicken zwei Altschierser auf ihre Ausbildungszeit zurück.
Paul Aenishänslin
Der Ormalinger Hanspeter Klaus war in den Jahren von 1953 bis 1957 zur Ausbildung als Primarlehrer in Schiers. Dann hat er 40 Jahre als Lehrer in Ormalingen gewirkt. Er hat gute Erinnerungen an seine Ausbildungszeit weit weg von daheim. Der Liestaler Donatus Strub war 1958 bis 1961 im Lehrerseminar Schiers, nach 11 Jahren im Lehrberuf hat er sich weitergebildet. Sein Bericht über seine Schierser Jahre ergibt ein gemischtes Bild: Vieles hat ihm in Schiers gefallen, anderes nicht. Klaus und Strub haben sich spontan zur Verfügung gestellt, um über ihre Schierser Zeit zu berichten.
Hanspeter Klaus erinnert sich:
«Wir wurden in Schiers gut auf unseren Lehrerberuf vorbereitet. Der Übergang in die Praxis bot, abgesehen von den üblichen Anfangsschwierigkeiten, keine weiteren Probleme. Das Seminar Schiers war für den Grossteil der reformierten Baselbieter Lehrer der übliche Ausbildungsort. Wir wurden von unserem Kanton finanziell unterstützt, denn Baselland verfügte damals über kein eigenes Seminar. In unserer Klasse waren wir 5 Baselbieter. Mir gefiel es in Schiers sehr gut. Heimweh kam nie auf.
Schiers bot viele Möglichkeiten zu freizeitlichen Aktivitäten wie Wandern, Bergtouren oder Skifahren. Auch konnte man sich Organisationen wie den Pfadis, dem Seminarturnverein (wo ich 2 Jahre als Oberturner wirkte) oder einer Verbindung anschliessen. Der Internatsbetrieb förderte die Eigenverantwortung und die Kameradschaft.
Ich erinnere mich noch ganz besonders an die Skitour auf den Vorab bei Flims, auf der wir uns im Schneesturm verirrten. Wir kämpften uns durch unwirtliches Gelände, abseits der Pisten, und landeten schliesslich nach unzähligen Stürzen anstatt in Flims unten in Valendas im Rheintal. Im Gedächtnis haften blieb mir auch unsere Seminar-Abschlussreise nach Verona, wo wir auf einer nächtlichen Beizentour dem Asti zu sehr zusprachen – und dafür entsprechend gerügt wurden. Weitere Konsequenzen blieben aber aus.
Die meisten unserer damaligen Lehrer konnte man als Originale bezeichnen: Dr. Saurer, Chemielehrer («Topf»), Dr. Jenny («Genie»), Dr. Erb («Graber»), Dr. Jucker («Jugé»), Turnlehrer Bänziger, Zeichnungslehrer Börlin, Biologielehrer Hersberger («Hersboy»), und so weiter. Trotz zum Teil grotesken Unterrichtsstils wurden sie allesamt auf fachlichem Gebiet geschätzt.
Es ist schade, dass es das Seminar Schiers mit seinem Internat nicht mehr gibt. Die Distanz von zu Hause im Baselbiet hat uns geholfen, selbstständiger zu werden, und unsere Freizeit in einem geschützten Rahmen eigenständig auszuleben.
Nach 40 Jahren als Primarlehrer in Ormalingen (davon 5 an der Unterstufe, dann 10 an der Mittelstufe und zuletzt 25 Jahre an der Oberstufe) und vielen anderen Aktivitäten im Dienst des Sports und der Gemeinde geniesse ich jetzt meinen Ruhestand. Unter anderem widme ich mich noch gerne dem Holzschnitt. Leider ist meine liebe Frau vor zwei Jahren gestorben. Wir hatten zusammen 3 Kinder und 6 Grosskinder. Das erste Urgrosskind konnte sie leider nicht mehr erleben.
Ich bin mit meinem Leben zufrieden. Am meine Schierser Zeit denke ich gerne zurück – sie hat eine gute Grundlage für mein weiteres Leben gelegt. Noch heute verkehre ich gerne mit Kollegen meiner damaligen Seminarklasse, so mit Andy Tarnutzer aus Schiers, mit dem ich etliche Skiwochen mit Senioren verbracht habe.»
Donatus Strub erinnert sich:
«Das Seminar Schiers bot mir einige gewichtige theoretische Grundlagen, jedoch zu wenig an praxisnahen Lern-Möglichkeiten. Die Lehrerstelle in Münchenstein war dann ein teils zähes, jedoch sehr befriedigendes ‹Learning by doing›.
Für mich waren die Jahre 1958 bis 1961, also der Aufenthalt in Schiers, gewissermassen die «Rettung» (in der grauen Vorzeit hiess die Schule ja «Evangelische Lehrerbildungs- und Rettungsanstalt»). Ich befand mich damals, bevor ich nach Schiers kam, in einer veritablen Pubertäts- und Ausbildungskrise. Die in Schiers herrschende puritanische Wertehaltung gab mir wieder einen gewissen Halt. In meiner Klasse sassen eine Baselbieterin und neun Baselbieter, von denen zwei bereits gestorben sind.
In Schiers hat mir insbesondere das gesellige Zusammensein mit den Kameraden gefallen. Wir pflegen die Freundschaften bis heute; zum Beispiel Wanderungen jeden Freitag meist im Baselbiet, einmal im Jahr wandern wir während einer Woche in der weiteren Schweiz und mehrere, längere Reisen haben uns in verschiedene Länder geführt.
Ich schätzte das Leben im traumhaften Bündnerland und die Möglichkeiten zur sportlichen Betätigung: Schwimmbad, Mitgliedschaft im Seminarturnverein (STV), Volleyball, die Sporttage in Schiers sowie die Skitage. Ferner die Reisen, also Schulreisen und Abschlussreise.
Vor allem die Pflege der Musik hatte es mir angetan: Neben Klavierund Orgelspiel (Aushilfs-Organist in Malans) pflegten wir den Chor-Gesang. Ein Highlight war die Aufführung der «Matthäus-Passion» im Grossmünster Zürich.
Missfallen hat mir die puritanische, teils nicht wertschätzende Haltung gegenüber uns Jugendlichen. Weiter beschäftigte mich die zu Teilen spürbare Illoyalität unter der Lehrerschaft, sowie der nie ändernde und sehr autoritär gehandhabte Unterrichtsstil des einen Lehrers – bei dem ich immerhin gelernt habe, nie so mit den mir anvertrauten Kindern umzugehen.
Ich habe aber auch lustig-verrückte Erinnerungen an Schiers, als zum Beispiel unsere Klasse anlässlich eines Sporttags in Mönchsgewändern und als «Sense schwingende Skelette» auftrat. Gerne erinnere ich mich an die Aufgabe, an einem Samstagnachmittag zusammen mit meinem Klassenkameraden Albert Schär nach Valzeina zu pilgern, um uns dort von einer noch elektrizitätslosen Gemeinde ein Bild zu machen.
Mein Musiklehrer Willy Lüthi war ein hilfreiches Vorbild: Er erteilte mir einen unterstützenden Orgel-Unterricht. Oft durfte ich als Fortgeschrittener in der Dorfkirche Schiers üben. Das war Therapie pur! Weiter fand ich in Pfarrer Fulda im Religionsunterricht einen vorbildlichen Menschen, der mir mit seiner religiösen Haltung aus dem Puritanismus heraushalf – ohne dass er es wusste.
Ich bedaure nicht, dass es heute das Lehrerseminar Schiers nicht mehr gibt. Das ist jedoch kein Nein gegenüber Internaten – sie sind durchaus sinnvolle Einrichtungen, die jungen Menschen eine gute Alternative zu ihren derzeitigen Lebensumständen bieten können.
Die seminaristische Ausbildung in einem solch engen Rahmen, wie damals in Schiers, empfinde ich nicht als optimal. Eine hilfreiche Möglichkeit im heute komplexen Erziehungsumfeld wäre: Die angehenden Primar-Lehrkräfte absolvieren zum Beispiel während dreier Tage pro Woche in einer Primarklasse eine vier- bis fünfjährige Lehre. Dies bei einer erfahrenen, gut ausgebildeten Lehrkraft. Im Sinne einer Berufs-Maturität würde während zweier Tage pro Woche eine Art «Gewerbeschule» stattfinden. Dort würde theoretisch aufgearbeitet und vorbereitet, was zum Pädagogen-Dasein unbedingt notwendig ist.
Ich halte die heutige Ausbildung und alles, was im Umfeld von «Pisa», «Bologna-Reform» und «Lehrplan 21» geschieht, für zu kopflastig. Nicht primär Kopfwissen – belegt durch «Credits» – ist gefragt, sondern «integriertes Wissen». Das heisst: Mir Erkenntnisse aneignen, die meine Haltungen, Wertvorstellungen, mein Wahrnehmen und Handeln nachhaltig steuern. Pestalozzi lässt grüssen: ‹Kopf, Herz und Hand!›»
Teil I «Schiers – unsere einstige Lehrerschmiede» ist am 23. Mai erschienen. Da sich weitere Altschierser gemeldet haben, die ihre Erinnerungen erzählen wollen, dürfte gelegentlich auch noch ein Teil III erscheinen.