«Wir haben einen kreativen Weg gewählt»

  02.04.2020 Baselbiet, Wirtschaft, Finanzen

Finanzdirektor Anton Lauber über die Corona-Soforthilfe für KMU

Zwischen 7000 und 10 000 Franken: So viel Soforthilfe zahlt der Kanton Baselland Unternehmen aus, die wegen der Coronakrise in Schwierigkeiten stecken. Finanzdirektor Anton Lauber zeigt sich überzeugt, dass A-fonds-perdu-Beiträge deutlich effizienter sind als rückzahlbare Darlehen.

David Thommen

Herr Lauber, heute kommt das 100 Millionen Franken schwere kantonale Corona-Hilfspaket vor den Landrat. Was sind die Überlegungen?
Anton Lauber:
Es war der Regierung von allem Anfang an klar, dass nicht nur der Bund, sondern auch der Kanton aktiv werden muss. Wir haben eine in ökonomischer Hinsicht sehr spezielle Lage: Die Nachfrage wäre zwar da, aber als Folge der Epidemie ist diese stark ausgebremst. Die Umsätze in mehreren Branchen sind wegen dieser Epidemie und den damit verbundenen politischen Entscheiden von einem auf den anderen Tag weggebrochen. Der Kanton muss daher mithelfen, die Folgen für die unverschuldet in Bedrängnis geratenen Unternehmen und Arbeitnehmenden erträglicher zu gestalten. Es gilt, grössere Schäden zu verhindern und die vorhandene Substanz zu erhalten.

Sind Sie als Finanzdirektor nun auch als Wirtschaftsminister tätig?
Volkswirtschaftsdirektor Thomas Weber ist derzeit vor allem für den Bereich Gesundheit und als Bindeglied der Regierung zum Krisenstab tätig. Da ich sein Stellvertreter bin und die Themen Finanzen und Wirtschaft verwandt sind, betreue ich vorübergehend das Volkswirtschaftsdossier. Wir haben uns in der Regierung leicht neu organisiert.

Der Bund nimmt sagenhafte 42 Milliarden Franken für umfassende Hilfsprogramme in die Hand. Braucht es da ein kantonales Programm noch?
Tatsächlich ist das eine ausgesprochen hohe Summe. Wir schätzen, dass mit dem Bundesgeld alleine im Kanton Baselland ein Volumen von rund 600 Millionen Franken für Notkredite abgesichert werden kann. Bei den Darlehen müssen wir also nicht mehr im grossen Ausmass aktiv werden. Unsere Lagebeurteilung zeigt hingegen, dass es mit Krediten alleine nicht getan ist. Wir leisten daher zusätzlich nicht rückzahlbare Soforthilfe an die Unternehmen.

Sofortige zinsfreie Darlehen an die Unternehmen sind also nicht das Allheilmittel?
Für manche Unternehmen mögen Darlehen der richtige Weg sein. Wir als Regierung sind dennoch recht skeptisch. Auch wenn diese Darlehen nun unbürokratisch und zu einem Vorzugszins von 0 oder 0,5 Prozent vergeben werden: Es bleiben Unternehmenskredite. Sie müssen durch die Firmen amortisiert werden. Ob wirklich jedes KMU einmal in der Lage sein wird, den Gewinn derart zu steigern, dass es für die Rückzahlung reicht? Da haben wir unsere Zweifel, zumal eine Rezession folgen und die Ertragslage sich damit verschlechtern könnte.

KMU können dank Darlehen kurzfristig also überleben, tragen aber langfristig so schwer daran, dass das Aus vielleicht später kommt?
Diese Befürchtung gibt es. Mit der Kurzarbeit und dem Erwerbsersatz ist der Lohnbereich im Moment durch den Bund zu einem guten Teil abgedeckt. Viele KMU, gerade auch sehr kleine, haben hingegen grosse Mühe mit den Fixkosten: Miete, Pacht, Versicherungen, Nebenkosten und so weiter. Mit der nicht rückzahlbaren Soforthilfe durch den Kanton können wir den Unternehmen sehr schnell Liquidität zufliessen lassen. Wir können mit dem Auszahlen beginnen, wenn der Landrat heute in seiner Sondersitzung zustimmt.

Der Kanton «verschenkt» also per sofort Geld an Unternehmen – ein sehr aussergewöhnlicher Vorgang …
Zweifellos, aber es ist unserer Ansicht nach der beste Weg, um grossen Schaden von den Betrieben abzuwenden. Betroffene Unternehmen mit Schliessungen oder Kurzarbeit haben Anspruch auf mindestens 7500 Franken Soforthilfe «à fonds perdu», grössere Betriebe auf maximal 10 000 Franken. Damit sorgen wir für Hilfe ohne Langzeitbelastung. Beispiel: Hat ein Laden oder ein Gastronomieunternehmen beispielsweise Mietkosten von 3000 Franken pro Monat, dann reicht unsere Hilfe für rund drei Monate. Damit sind zwar vielleicht nicht alle Fixkosten gedeckt, aber es handelt sich sicher um einen substanziellen Beitrag, damit eine Betriebsschliessung verhindert werden kann.

Geht Baselland damit einen Sonderweg?
Ich weiss noch nicht im Detail, wie die Hilfspakete in anderen Kantonen ausgestaltet sind. Die meisten dürften andere Massnahmen beschliessen, doch darauf schauen wir nicht. Wir tun das, was uns als notwendig erscheint. Ich meine, dass wir einen kreativen Weg gewählt haben, um eine optimale Wirkung zu erzielen.

Die meisten anderen Kantone dürften ebenfalls vor allem für Darlehen bürgen …
Mag sein. Doch ich gehe davon aus, dass die Ausfallquote bei den Darlehen vermutlich recht hoch sein wird. Kommt hinzu: Wenn wir jetzt Kredite vergeben, müssen wir später die Rückzahlung durchsetzen, was für den Kanton eine äusserst anspruchsvolle Aufgabe wäre. Ich denke, dass sich nach der Laufzeit von fünf oder sieben Jahren auch beim Bund zeigen wird, dass es gehäuft zu Kreditausfällen kommt. Und wie gesagt: Ich habe generell etwas Zweifel an diesem Instrument. Es würde mich nicht wundern, wenn der Bund irgendwann seine Garantie einlösen und viel Geld abschreiben müsste.

Weil man sieht, dass die Ertragslage vieler Firmen die Rückzahlung der Kredite gar nicht zulässt?
Sollten viele KMU später wegen der Rückzahlung der Darlehen an den Rand der Existenz gedrängt werden, rechne ich mit politischem Druck zumindest für einen teilweisen Verzicht auf die Forderungen aus den Corona-Darlehen. Aber das werden wir dann sehen.

Ist es nicht ein wenig erschreckend zu sehen, wie viele KMU nach so kurzer Krisenzeit Schlange für Notkredite stehen müssen?
Nein, das ist nicht erschreckend. Wir sind grundsätzlich froh darüber, dass viele Leute selbstständig oder unternehmerisch tätig sind, auch wenn sie sich damit nur knapp über Wasser halten können. Selbst wenn solche Unternehmen keine grossen Gewinne erzielen und Rückstellungen bilden können, darf man nicht vergessen, dass sie insgesamt viele Arbeitsplätze schaffen, in die Sozialwerke einzahlen und für Wohlstand sorgen.

Man bekommt trotzdem den Eindruck, dass die KMU-Wirtschaft nicht besonders krisenresistent ist.
Die Situation heute ist einfach speziell: Die KMU konnten diese Epidemie nicht kommen sehen und hatten keine Gelegenheit, ihre Kosten zu reduzieren oder Reserven zu bilden, um sich auf die neue Situation einzustellen. Bei einer sich langsam anbahnenden Rezession wäre dies der Fall gewesen.

Es gibt eine Untersuchung aus dem Jahr 2016, die zeigt, dass 56 Prozent der Baselbieter Unternehmen keine Gewinnsteuer abliefern. Wünscht man sich als Finanzdirektor nicht eine bessere Ertragslage bei den Firmen?
Natürlich wäre es schön, mehr Steuern von den juristischen Personen einzunehmen. Doch ich mache den KMU keinen Vorwurf: Hohe Gewinne sind nicht immer einfach zu erzielen, was nicht zuletzt mit dem hohen Wettbewerbsdruck zu tun hat. Man darf aber nicht vergessen: Die Unternehmen bezahlen ja Löhne, die besteuert werden. Baselland ist ein Kanton, der dank des hohen Anteils von Steuereinnahmen von natürlichen Personen recht stabil ist. Wir nehmen rund 1,2 Milliarden Franken von natürlichen und nur rund 180 Millionen Franken von juristischen Personen ein.

Nachdem die Banken gerettet werden mussten, wurden ihnen strenge Eigenkapitalvorschriften auferlegt. Haben die KMU als Folge dieser Krise ebenfalls solche Vorschriften zu erwarten?
Das wäre vermutlich nicht zielführend. Die Ausgangslage unterscheidet sich ja auch fundamental: Es ist ja nicht das eigene Geschäftsverhalten, das die KMU in diese Situation gebracht hat.

Ein anderer Punkt Ihres Pakets betrifft den Verzugszins auf Steuerschulden: Baselland verzichtet darauf – immerhin 13 Millionen
Franken im laufenden Jahr.

Es ist hier der gleiche Ansatz: Wir wollen in der jetzigen Situation keine Liquidität abziehen. Und wir wollen auch nicht, dass die Schuld später abbezahlt werden muss. Wir wollen den Aufschwung nicht abwürgen. Zum gleichen Kapitel gehört, dass wir mit unserem Paket Firmen unterstützen, die Lehrlinge ausbilden. Einerseits wollen wir verhindern, dass Lehrlinge entlassen werden, andererseits motivieren wir KMU, trotz Krise auch in diesem Frühling Lehrverträge abzuschliessen. Das ist enorm wichtig. Das Leben geht ja irgendwann wieder normal weiter.

Besteht nicht die Gefahr, dass Unternehmen, die es vielleicht gar nicht unbedingt nötig haben, bei Ihrem Angebot für nicht rückzahlbare Nothilfe zugreifen?
Ich habe diese Angst nicht. Uns ist es wichtiger, dass die Hilfe sofort kommt. Hätten wir bei allen Unternehmen eine betriebswirtschaftliche Prüfung angeordnet, damit der Anspruch belegt werden kann, dann würde es wohl zu lange dauern, bis die Gelder ausbezahlt werden könnten. Dann wäre es für alle zu spät. Eine gewisse Pauschalisierung nehmen wir zwar in Kauf, doch ich halte unsere Kriterien für ausreichend: KMU müssen Kurzarbeit oder Selbstständige müssen Erwerbsersatz angemeldet haben. Damit können unerwünschte Mitnahmeeffekte zum grössten Teil verhindert werden.

Baselland stellt 100 Millionen Franken bereit. Ist es denkbar, dass der Kanton bald ein zweites Paket nachreichen muss?
Wir rechnen ganz grob geschätzt mit 5000 Anträgen auf Kurzarbeit und Erwerbsersatz von Selbstständigen. Dies würde Soforthilfe des Kantons Baselland in der Höhe von maximal 50 Millionen Franken auslösen. Unser Paket reicht also schon einmal recht weit. Im Übrigen besteht die Möglichkeit, dass die Regierung auch Selbstständigerwerbenden unter die Arme greift, die bisher durch die Maschen des Unterstützungsprogramms des Bundes und des Kantons fallen. Davon profitieren können all jene Betriebe, die nicht behördlich geschlossen wurden und deren Inhaber auch keine kleine Kinder betreuen, sich aber dennoch mit einem starken Nachfrageeinbruch konfrontiert sehen. Aber zurück zur Frage: Ja, wir könnten beim Andauern der Krise ein zweites Paket vorlegen. In dieser Hinsicht ist auch der Bundesrat tätig.

100 Millionen Franken sind für einen Kanton viel Geld. Woher nehmen Sie es?
Der Betrag stammt aus den laufenden Einnahmen. Die Summe war dafür vorgesehen, bestehende Schulden abzubauen. Doch der Schuldenabbau hat in einer solchen Lage eine weniger hohe Priorität.

Der Kanton verschuldet sich also nicht zusätzlich?
Nein, wir haben unsere Hausaufgaben in den vergangenen Jahren zum guten Glück gemacht und stehen gut da. Wir haben diesen Handlungsspielraum.

Die Steuern müssen im nächsten Jahr also nicht erhöht werden?
Das ist kein Thema. Wir werden auch weiterhin viel in die Infrastruktur investieren können. Es ist wichtig, dass auch die Gemeinden ihre Planungen aufgrund der Krise nicht zurückstellen. Die Wirtschaft wird diese Aufträge brauchen.

Sollte die Krise lange dauern und sollte eine Rezession folgen, könnten auch Banken in Schwierigkeiten geraten. Machen Sie sich Sorgen um die Basellandschaftliche Kantonalbank, für die der Kanton Baselland die Staatshaftung trägt?
Die Kantonalbank macht mir überhaupt keine Sorgen. Sie ist ausgesprochen gut kapitalisiert. Bis die Staatsgarantie greifen würde, müssten vorher ganz andere und deutlich gravierendere Dinge passieren. Ich bin sowieso nicht pessimistisch: Diese Krise wird zwar Spuren hinterlassen, doch ich habe grosses Vertrauen in die Schweizer Wirtschaft und das Unternehmertum. Unsere Firmen sind innovativ, sie werden sich erholen.


Das Paket

tho.
Das Corona-Massnahmenpaket des Kantons Baselland sieht Soforthilfe in der Höhe von maximal 100 Millionen Franken zur Unterstützung der Baselbieter Unternehmen in der Coronakrise vor. Das Massnahmenpaket umfasst drei Elemente: Erstens sollen die von der Krise betroffenen Unternehmen rasch und unbürokratisch nicht rückzahlbare Soforthilfe in Anspruch nehmen können. Die Soforthilfe ist vor allem zur Deckung von Fixkosten gedacht (der Lohnbereich wird durch das Hilfspaket des Bundes abgedeckt). In Ergänzung zu den Kreditgarantien des Bundes kann der Kanton zweitens auch zinsfreie Darlehen von maximal 50 000 Franken an KMU absichern. Und drittens sollen Lehrbetriebe, die sich in Kurzarbeit befinden, Pauschalbeträge pro Lehrling erhalten. Über das Paket entscheidet der Landrat heute an seiner ausserordentlichen Sitzung im Congress Center in Basel (die «Volksstimme» berichtete).


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