«Man sollte beim Medienkonsum zurückhaltend sein»
03.04.2020 Baselbiet, Gesundheit«Man sollte beim Medienkonsum zurückhaltend sein»
Seit einer Woche ist die Corona-Hotline der Psychiatrie Baselland (PBL) in Liestal in Betrieb. Rund 50 Anrufe wurden bisher entgegengenommen. Manche Anrufer scheinen depressiv, andere nur ängstlich zu sein – viele sind ...
«Man sollte beim Medienkonsum zurückhaltend sein»
Seit einer Woche ist die Corona-Hotline der Psychiatrie Baselland (PBL) in Liestal in Betrieb. Rund 50 Anrufe wurden bisher entgegengenommen. Manche Anrufer scheinen depressiv, andere nur ängstlich zu sein – viele sind einfach nur verunsichert, sagt die Leitende Psychologin Daniela Heimberg.
Michèle Degen
Frau Heimberg, mit welchen Ängsten und Sorgen treten die Anrufer an die Beraterinnen und Berater heran?
Daniela Heimberg: Es gibt Leute, die sich einsam fühlen, weil sie isoliert sind. Andere haben wirtschaftliche Ängste. Auch die Kurzarbeit ist ein Thema. Es gibt Menschen, die massive Ansteckungsängste haben. Teilweise muten diese Ängste etwas irrational an, wie zum Beispiel die Frage, ob man sich übers Telefon anstecken kann. Manchmal plagen Ratsuchende Sorgen um Angehörige, die sich verändern und immer ängstlicher oder depressiver werden. Es sind nicht nur Ängste, sondern oft auch auch Depressionen, die in dieser Zeit zutage treten.
Was sind das für Personen am anderen Ende der Leitung?
Es gibt Personen, die bereits psychisch krank sind, bei denen sich die Krankheit verschlimmert. Dann gibt es solche, die immer schon ängstlich gewesen sind, und nun massive Ängste entwickeln. Andere Anrufenden haben vielleicht früher bestens «funktioniert», sind nun aber total verunsichert.
Was denken Sie, woran liegt das?
Ich glaube, das hat auch mit der Informationsflut zu tun, der wir in diesen Zeiten ausgeliefert sind. Ich hatte heute einen Anrufer der Corona-Hotline, der mir gesagt hat, er schaue ständig Fernsehen. Das ist natürlich wenig ratsam: Wäre ich immer vor dem TV-Apparat, wäre ich wahrscheinlich auch sehr verunsichert und vielleicht überängstlich.
Wie können Sie den Anrufern helfen?
Einige Leute möchten einfach über ihre Sorgen sprechen. Da reichen teilweise schon Tipps. Einige verweisen wir an andere Infostellen wie jene des Bundesamts für Gesundheit oder des Kantons. Oder jemand will mit einem Seelsorger sprechen: Diese Person verweisen wir an ihre Kirchgemeinde. Wir haben eine Liste mit Adressen von Kooperationspartnern, an die sich Ratsuchende wenden können. Aber manchmal müssen wir auch eine echte Krisenintervention machen.
Das heisst?
Dass man zum Beispiel wirklich jemanden stark beruhigen und weitergehende Hilfe anbieten muss. Wir sprechen mit diesen Personen und raten ihnen unter Umständen, dass es gut wäre, wenn sie psychotherapeutische Hilfe in Anspruch nehmen beziehungsweise regelmässige Gespräche mit einer Fachperson führen würden. Wir können solchen Menschen auch Termine in einem unserer Ambulatorien anbieten.
Ist es ein Nachteil für Sie, dass Sie die Personen beim Gespräch nicht sehen können?
Ja, es fehlt ein Informations-Kanal, über den wir mit unserem Gegenüber kommunizieren können. Daran muss man sich schon gewöhnen.
Hat die Distanz zum Gesprächspartner auch Vorteile?
Durchaus. Ich kann mich teilweise besser konzentrieren, weil ich ganz aufs Hören fokussiert bin. Auch für unser Gegenüber ist die Distanz vielleicht ein Vorteil, weil die Person eine gewisse Anonymität wahren kann. Die Anruferinnen und Anrufer müssen nicht zwingend ihren Namen nennen. So trauen sich einige vielleicht eher, uns zu kontaktieren, als wenn sie einen Termin abmachen und persönlich vorbeikommen müssten.
Nutzen auch Personen aus dem Gesundheitsfachbereich die Hotline?
Bisher waren es noch wenige. Die Spitäler haben intern eigene Stellen, bei denen sich die Mitarbeitenden melden können. Je länger die Situation aber andauert, desto mehr Anrufe werden wir vermutlich bekommen. Es ist aber schon so: Wer in einem helfenden Beruf arbeitet, denkt oft nicht zuerst an sich selbst, sondern will arbeiten, arbeiten, arbeiten. Gut möglich, dass solche Personen dabei die eigene Psychohygiene vernachlässigen. Ich hoffe, dass diejenigen, die Hilfe benötigen, sie auch bekommen. Sich Hilfe holen ist kein Zeichen von Schwäche, sondern im Gegenteil eine Fähigkeit.
Könnte die derzeitige Situation die Entwicklung von Phobien wie der Angst vor Bargeld oder Zwangsstörungen begünstigen?
Wer in dieser Hinsicht vorher schon verletzlich gewesen ist, könnte jetzt vielleicht eine solche Störung entwickeln. Ich glaube aber nicht, dass sich bei Personen, die bisher völlig stabil gewesen sind, aufgrund der Coronakrise zwingend solche Störungen entwickeln.
Wie wirkt sich die Situation auf die PBL aus?
Es ist eine erschwerte Situation zum Arbeiten. Es gibt nicht nur Patientinnen und Patienten, die Ängste haben, sondern auch Mitarbeitende, die verunsichert sind. Wir tun alles, um den geforderten Abstand zwischen den Personen einzuhalten, auch wenn das vieles komplizierter macht. Bis jetzt stemmen wir die Krise aber gut. Gerade für die Pflegenden ist die Situation belastend, weil sie immer wieder tendenziell nahe an die Patienten herankommen.
Welche Tipps geben Sie den Leuten zu Hause, um die psychische Gesundheit zu schützen und die Ruhe zu bewahren?
Es ist wichtig, den Tagesrhythmus zu halten, auch wenn man zu Hause arbeitet: Regelmässig Mahlzeiten einnehmen, nicht den ganzen Tag im Pyjama verbringen und Pausen machen, wie man es auch am Arbeitsplatz tun würde. Wichtig ist auch, Kontakte aufrechtzuerhalten. Und ein letzter Tipp: Wählerisch mit dem Medienkonsum sein. Heute bekommt jede und jeder auf dem Handy jederzeit die neusten Nachrichten, aber meistens sind es schlechte News. In dieser Hinsicht sollte man sich schützen. Alles spricht nur noch über Corona. Da muss man sich Mühe geben, einmal etwas anderes zu machen und sich auf etwas anderes zu konzentrieren.
Haben Sie die Push-Meldungen abgeschaltet?
Ja, ich schaue mir nur noch die Nachrichten des Bundesamts für Gesundheit an. Ich denke, dass einen die ständige Flut von Meldungen mit der Zeit auch abstumpfen könnte und dann die Gefahr besteht, dass sich die Menschen aus einer Vermeidung heraus vielleicht nicht mehr an die Massnahmen zur Eindämmung des Virus halten. Deshalb ist es wichtig, beim Medienkonsum zurückhaltend zu sein.
Zur Person
md. Dr. phil. Daniela Heimberg ist Leitende Psychologin in der Psychiatrie Baselland in Liestal. Die 57-Jährige arbeitet seit 20 Jahren bei der Institution und lebt in Basel. Seit einer Woche betreut sie zusammen mit rund 20 weiteren Gesundheitsfachpersonen die Corona-Hotline der Psychiatrie Baselland.
Corona-Hotline
md. Die Hotline wird an sieben Tagen die Woche von 9 bis 16 Uhr unter der Nummer 061 553 54 54 betrieben. Ausserhalb dieser Zeiten werden die telefonisch Ratsuchenden über das Notfallangebot der Psychiatrie Baselland informiert und an die zentrale Aufnahmestelle verwiesen.