«Logistikketten kamen aus dem Gleichgewicht»
07.04.2020 Baselbiet, SchweizWie steht es aktuell um die Landesversorgung? Der Verantwortliche gibt Auskunft
Werner Meier, Delegierter des Bundesrats für wirtschaftliche Landesversorgung, über die momentane Lage bei Lebensmitteln, Medikamenten und Schutzmasken.
Paul ...
Wie steht es aktuell um die Landesversorgung? Der Verantwortliche gibt Auskunft
Werner Meier, Delegierter des Bundesrats für wirtschaftliche Landesversorgung, über die momentane Lage bei Lebensmitteln, Medikamenten und Schutzmasken.
Paul Aenishänslin
Herr Meier, es gibt Berichte, wonach in der aktuellen Coronavirus-Krise in der Schweiz gewisse importierte Medikamente wie starke Schmerz- und Narkosemittel ausgehen könnten. Wie beurteilen Sie diese Versorgungsengpässe?
Werner Meier: Bisher hatte Europa immer Glück und wurde von Pandemien verschont. Das Spezielle an dieser Pandemie ist, dass Covid-19-Patienten und -Patientinnen häufig beatmet werden müssen. Dafür braucht es nun ausserordentlich viele Schmerz- und Narkosemittel. Wir haben Pflichtlager an starken Analgetika und Opiaten, die den normalen Verbrauch während dreier Monate decken. Diese Pflichtlager werden wir freigeben. Die Pharmaunternehmen müssen aber in nächster Zeit weiterhin gewisse spezifische Schmerz- und Narkosemittel für Covid-19-Patienten importieren, um den Bedarf zu decken.
Wie sieht es bei den Schutzmasken aus?
Die Nachfrage nach Masken ist global sprunghaft angestiegen und die Beschaffung entsprechend schwierig. Zu Beginn der Krise wurden die Reserven der Institutionen des Gesundheitswesens, die Lager des Bundes und die Pflichtlager zur Deckung des Bedarfs eingesetzt. Zwischenzeitlich hat der Bund zudem mehrere 100 000 FFP-Masken und mehr als 10 Millionen Hygienemasken für das Gesundheitswesen beschafft. Etwa Mitte April sollte zudem die inländische Produktion von Atemschutzmasken anlaufen.
Es ist zu hören, dass die Vorschriften im Pandemieplan nicht so umgesetzt wurden, wie das eigentlich vorgesehen war. Pflichtlager wurden beispielsweise an die Kantonsspitäler delegiert, die aber ihre Lager zu wenig gefüllt haben. Was sagen Sie zu dieser Problematik?
Der Pandemieplan Schweiz empfiehlt den Institutionen des Gesundheitswesens, einen Vorrat an Hygienemasken für eine Pandemiedauer von 12 Wochen zu halten. Es ist jetzt noch zu früh, um zu beurteilen, inwieweit diese Vorgaben künftig anzupassen sind.
Was umfasst der Notvorrat für private Haushalte heute noch auf Basis der Empfehlung des BWL?
Dazu gehören in erster Linie lagerfähige Lebensmittel für rund eine Woche und 9 Liter Wasser pro Person. Der persönliche Vorrat sollte den eigenen Ernährungsgewohnheiten entsprechen. Das erleichtert es auch, die Waren regelmässig umzuschlagen und den Notvorrat somit genügend frisch zu erhalten. Nicht zu vergessen sind Hygieneartikel und Medikamente für den persönlichen Bedarf.
Wäre es angesichts der Coronavirus-Krise opportun, diesen wieder obligatorisch zu erklären?
Der Notvorrat war nie obligatorisch. Jede und jeder Einzelne entscheidet eigenverantwortlich darüber, welche Waren und Mengen im privaten Notvorrat liegen sollen. Dieser soll ja immer auch die ganz persönlichen Bedürfnisse decken. Zudem hat es keinen Sinn, etwas für obligatorisch zu erklären, was nur mit völlig unverhältnismässigem Aufwand kontrolliert werden könnte.
Was unterscheidet den Notvorrat vom Hamstern von Lebensmitteln oder WC-Papier, wie es jetzt wieder in der Zeit der Coronavirus-Krise in der Schweiz und anderswo zu beobachten ist?
Das Halten von privaten Notvorräten ist erwünscht. Das Hamstern von Lebensmitteln hingegen ist grundsätzlich unerwünscht. Gerade in einer Mangellage ist es für die Stabilität einer Gesellschaft sinnvoll, Lebensmittel gleichmässig untereinander aufzuteilen. Hamstern ist nicht solidarisch. Gegenwärtig zeichnet sich aber in keiner Art und Weise ein Mangel an Gütern des täglichen Verbrauchs ab. Das übertriebene Kaufverhalten der vergangenen Wochen brachte die normalen Logistikketten aus dem Gleichgewicht, wodurch unnötige Schwierigkeiten bei den Detailhändlern und deren Zulieferern entstanden.
Gibt es aktuell Grund zur Beunruhigung, dass es infolge der geschlossenen Grenzen, Covid-19erkrankten Chauffeuren und Lokomotivführern sowie eingestelltem Flugverkehr zu Mangelsituationen bei anderen wichtigen Importprodukten wie Erdölprodukte, Nahrungs- und Futtermittel kommen könnte?
Die Grenzen sind nicht geschlossen: Güter und Waren können nach wie vor transportiert werden. Deshalb bestehen im Moment auch keine Probleme in der Versorgung mit Lebens- und Futtermitteln sowie Energieträgern. Es ist jedoch nicht auszuschliessen, dass bei vielen krankheitsbedingten Absenzen von Arbeitnehmern punktuell Probleme auftreten. Die wirtschaftliche Landesversorgung behält die Situation im Auge und bietet falls notwendig und möglich Unterstützung. Bisher haben wir beispielsweise zusammen mit anderen Bundesstellen vorsorglich das Sonntags- und Nachtfahrverbot für die Beförderung von lebenswichtigen Gütern gelockert und die Abgabe von Medikamenten beschränkt.
Welches Anliegen haben Sie ganz besonders in der aktuellen Coronavirus-Krisensituation an die Bevölkerung in Ihrer Funktion als Delegierter für wirtschaftliche Landesversorgung?
Ich empfehle der Bevölkerung, laufend ihren Notvorrat zu prüfen und gegebenenfalls einen solchen aufzubauen. Dieser soll auf die persönlichen Bedürfnisse ausgerichtet sein. Eine gute Hilfestellung leistet dabei die Broschüre zum Notvorrat unseres Bundesamts. Zudem appelliere ich an die Bevölkerung, solidarisch zu handeln.
Das gehört in den Notvorrat
Getränke: 9 Liter (Mineral-)Wasser (1 Sixpack) pro Person, weitere Getränke
Lebensmittel für rund eine Woche: Zum Beispiel Reis, Teigwaren, Öl, Fertiggerichte, Salz, Zucker, Kaffee, Tee, Dörrfrüchte, Müesli, Zwieback, Schokolade, UHT-Milch, Hartkäse, Trockenfleisch, Konserven
Verbrauchsgüter: Batteriebetriebenes Radio, Taschenlampe, Ersatzbatterien, Kerzen, Streichhölzer/Feuerzeug, Gaskocher
Und ausserdem: Regelmässig benötigte Hygieneartikel und Arzneimittel, etwas Bargeld, Futter für Haustiere.