«Komm, wir probieren es nochmals»
24.04.2020 Bezirk Liestal, Weitere Sportarten, Porträt, SportKunstturnen | Erinnerungen an Dieter Hofmann, erst Trainer der DDR-Spitze, danach im NKL
Jürg Gohl
Eben liest man in der Zeitung Meldungen, die verheissen, dass sich bei uns die Corona-Situation sachte zu lockern beginnt. Dann folgt beim Umblättern ...
Kunstturnen | Erinnerungen an Dieter Hofmann, erst Trainer der DDR-Spitze, danach im NKL
Jürg Gohl
Eben liest man in der Zeitung Meldungen, die verheissen, dass sich bei uns die Corona-Situation sachte zu lockern beginnt. Dann folgt beim Umblättern der Schock: «DDR-Erfolgstrainer Dieter Hofmann erliegt dem Virus.» Auch wenn wir in den vergangenen Jahren den Kontakt verloren haben, so hat Corona für mich damit doch noch ein Gesicht erhalten. Dieter Hofmann erlag einen Monat nach seinem 79. Geburtstag in einem Spital in Freiburg dem Virus, mit dem er sich in den Skiferien in der Schweiz angesteckt haben soll.
Als es nach dem Berliner Mauerfall plötzlich hiess, Dieter Hofmann komme nach Liestal und werde Cheftrainer des damaligen Nordwestschweizerischen Kunstturnzentrums, konnte ich das schlicht nicht glauben. Dieser Mann kommt hierher? Seinen Namen und sein Gesicht kannte ich bereits aus meinen Jugendjahren – vom Fernsehen. Damals trainierte er die besten Kunstturner der damaligen DDR und damit zugleich die besten der Welt. Mit ihnen gewann er 52 Medaillen an internationalen Grossereignissen.
Seine kleinen Augen noch etwas zugekniffen, stand er neben der Reckstange und beobachtete seinen Schützling im Einsatz mit höchster Aufmerksamkeit. Ich ahnte damals nicht, dass ich später im direkten Kontakt noch oft in diese Augen blicken durfte. Und mir war auch nicht bewusst, dass hier im Fernsehen eigentlich nichts anderes als Kalter Krieg im Turnertenü ausgetragen wurde.
DDR-Natitrainer in die Provinz?
Unvorstellbar, dass sich diese Koryphäe nun in die Baselbieter Provinz verirrt, in der damals das Kunstturnen so gut wie inexistent war. Und ist ein Trainer, der eben noch die besten Sportsoldaten befehligte, überhaupt fähig, mit Anfängern in einem Wohlstandsland pfleglich umzugehen? Zudem erwuchs aus den regionalen Kunstturn-Kreisen selber Widerstand gegen seine Anstellung, verbunden mit dem Vorwurf, Hofmann habe in der DDR ranghoch der sozialistischen Staatssicherheit Stasi gedient.
Mit diesen Erinnerungen und diesem Halbwissen rückte ich bei einem seiner ersten Trainings in der neuen Kunstturn-Halle an, um als Sportjournalist zu schildern, ob das Experiment überhaupt funktioniert und wie der Kasernenton beim Nachwuchs ankam. «Das war nichts. Das kannst du besser», rief er einem jungen Turner zu, der während unseres Gesprächs hinter seinem Rücken in der Schnitzelgrube landete. Hat dieser eher kleine Mann mit der schwarzen Haartolle hinten auch noch zwei kleine Augen? Er erklärt dem Schützling, was zu verbessern ist: «Komm, wir probieren das nochmals.» Damit erteile er auch mir eine Lektion: Nie mehr mit vorgefasster Meinung eine Recherche anpacken. Hofmann blieb tatsächlich bis zu seiner Pensionierung 2005 in Liestal tätig.
Er sprach oft von «wir», obwohl er mit seinen Leistungen allen Grund gehabt hätte, die Ich-Form zu verwenden. Erfolge verbuchte er auch in Liestal: Ein Schützling, Roman Gisi, turnte an Weltmeisterschaften, ein anderer, Fabian Leimlehner, für Österreich an Olympischen Spielen. Nicht minder wichtig war ihm aber, dass seine Sportart unter ihm einen ungeahnten Aufschwung nahm. War die Trainingshalle wieder einmal gerammelt voll mit Nachwuchsturnern, dann strahlte er.
Schlüsselwort Motivation
Viele andere Szenen sind mir haften geblieben: Dieter Hofmann referiert bei einem Medienanlass im Kunstturnzentrum, und noch bevor der Presse- zum Fressetermin übergeht, steht er wieder in der Halle und weist mit seinem ostdeutschen Dialekt, aber ohne preussischen Ton, die Athleten an. An diesem Anlass hatte er über Voraussetzungen, unter anderem die Motivation, gesprochen und gefordert: «Ein Ja mit allen Konsequenzen. Ein bisschen Ja gibt es nicht.» Anderswo sagte er einmal: «Es geht nur mit 100 oder 110 Prozent. Oder man belässt es bei 50 und wählt die Gymnaestrada.»
Als ich 1999 aus Anlass des Jubiläums des Mauerfalls drei damals in der Region wirkende ehemalige DDR-Trainer – neben Hofmann waren das Basels Schwimmtrainer Axel Mitbauer und Fecht-Nationaltrainer Rolf Kalich – zusammenführte, um über ihre Zeit im Ostblock zu reden, sagte Hofmann nur unter der Bedingung zu, dass man sich in seinem Zentrum trifft. Das sei Propaganda für seinen Sport und sein Zentrum. Dass der Artikel nie erschien, lag daran, dass einer dieses Trios hinterher verbot, das gemeinsame Bild zu publizieren und seine Aussagen zu verwenden. Ihm sei das Gespräch zu sehr in Nostalgie abgedriftet. Sein Name bleibt mein Geheimnis. Seine Begründung ist aber 31 Jahre später in mir wörtlich eingebrannt: «Ich kann das Gesülze über damals nicht mehr hören.»
Der Erinnerungen wären noch viele: Hofmanns Auszeichnungen, der von ihm entwickelte und längst weltweit eingesetzte Sprungtisch, sein volles, aber nie verbissenes Engagement oder sein eigenes Lächeln zur Begrüssung. Nun werden sich unsere Wege nie mehr kreuzen.