Sie rückt den Hintergrund in den Vordergrund
06.03.2020 Bezirk Sissach, BöcktenJürg Gohl
Nach der Premiere des Schauspiels «Tod eines Handlungsreisenden» am 15. Februar am Stadttheater Bern erlebt die Bühnenbildnerin Lilot Hegi aus Böckten etwas, das ihr in ihrer bisherigen Laufbahn selten widerfahren ist: In ihrer Besprechung des ...
Jürg Gohl
Nach der Premiere des Schauspiels «Tod eines Handlungsreisenden» am 15. Februar am Stadttheater Bern erlebt die Bühnenbildnerin Lilot Hegi aus Böckten etwas, das ihr in ihrer bisherigen Laufbahn selten widerfahren ist: In ihrer Besprechung des Miller-Klassikers widmet die Zeitung «der Bund» dem Bühnenbild mehr als den handelsüblichen Nebensatz.
«Bei Miller fliessen die Szenen nahtlos ineinander über; dasselbe ermöglicht die Drehbühne, die Lilot Hegi auf der Bühne des Stadttheaters eingebaut hat: Der Handlungsstrom bricht nie ab, und während sich im Hintergrund ein Erinnerungsmoment abspielt, rollt mit bedrohlicher Langsamkeit der nächste Konflikt heran.» So ist es bereits im ersten Teil der Besprechung zu lesen. Und ein paar Absätze später kommt die Kritikerin nochmals lobend auf Lilot Hegis Arbeit zu sprechen.
Abseits der Scheinwerfer
Normalerweise steht das Bühnenbild in Zeitungsrezensionen dort, wo es auch auf der Bühne steht: im Hintergrund. Im Vordergrund ranken sich das Schauspiel und die Schauspieler. Doch daran hat sich Lilot Hegi in den über 40 Jahren, in denen sie als Bühnenbildnerin arbeitet, längst gewöhnt. Vielleicht habe sie sich damals auch für ihren Beruf entschieden, weil ihr die Theaterarbeit abseits der Scheinwerfer mehr behagt. «Ich bin ehrgeizlos», sagt sie von sich.
So überrascht es auch nicht, dass das künstlerische Palmarès der Ostschweizerin, die bereits seit 33 Jahren in Böckten lebt, nur in Theaterkreisen be- und vor allem anerkannt ist: Für zahlreiche Bühnen im deutschen Sprachraum und grosse Stücke hat sie das Bühnenbild entworfen, auch in Basel. Für ihr Bühnenbild für «Warten auf Godot», einen anderen modernen Klassiker, erhielt sie vor zehn Jahren in Hamburg den Rolf-Mares-Preis. Oft gestaltet sie für die Stücke nicht nur die Kulisse, sondern auch die Kostüme. Denn: «Beides muss zusammenpassen», sagt sie. Als Zeugnis ihres Renommees kann auch die Gastprofessur an der Kunsthochschule in Berlin angeführt werden.
Gleichwohl taucht bei ihr das Wort «Hintergrund» immer wieder auf. Sie ist mit dem inzwischen bald 85-jährigen Theater- und Filmschauspieler Charles Brauer verheiratet. Er ist vor allem bekannt als einstiger «Tatort»-Kommissar «Brocki» und ist heute vor allem als Vorleser begehrt. Als Hegi sich neben ihren Bildern, die sie gegenwärtig im «Palazzo» in Liestal ausstellt, für ein Foto in Szene setzen soll, reagiert sie eher unsicher: Wohin blicken? Wohin die Arme? «Mein Mann würde sich sofort professionell in Pose werfen. Aber das bin nicht ich», sagt sie – nicht entschuldigend, sondern nüchtern feststellend. Bewusst hat sie ihren Mädchennamen behalten und auf «Brauer» als Türöffner in der Theaterwelt verzichtet.
Eine umfassende Aufgabe
Sie fühlt sich wohl in dieser Rolle. Es kommt auch wie zuletzt im Zweipersonenstück «Heisenberg» vor, dass ihr Mann auf der Bühne steht und seine Frau dazu die Kulisse hinter ihm gestaltet und die dazu passenden Kostüme ausgewählt hat. Im Programm des Stücks werden ihre Erfolge als Bühnenbildnerin aufgelistet, und am Schluss heisst es knapp, sie wohne «mit Familie in Böckten bei Basel in der Schweiz». Ein Bezug zum Hauptdarsteller des Stücks fehlt. Ärgern kann sie dann höchstens, wenn im Zusammenhang mit ihrem berühmten Ehemann geschrieben oder gesagt wird: «Und seine Frau Lilot Hegi durfte das Bühnenbild zum Stück gestalten.» Das wird ihr nicht gerecht, und es wird ihrer umfassenden Aufgabe nicht gerecht.
Bis erstmals der Vorhang vor einem Bühnenbild geöffnet werden kann, muss sie diverse Arbeitsschritte bewältigt haben. Das beginnt mit der genauen Lektüre des Stücks sowie von Büchern über den Autor und über die Zeitgeschichte. «Zum Glück bin ich eine Leseratte», sagt sie, «sonst ginge das nicht.» Es folgen Diskussionen mit dem Regisseur. Erst dann können die ersten Entwürfe gezeichnet und anschliessend die Bühne im Modell entworfen werden.
Darauf folgt erst das Bauen. Dabei steht sie jeweils bereits am frühen Morgen im Austausch mit den Theater-Handwerkern. Sie sagt: «Ich übe einen wunderbaren Beruf aus. Denn jedes Stück bewegt sich in einer eigenen Welt.» So lastet es sie heute vollkommen aus, pro Jahr maximal drei Bühnenbilder zu schaffen. Aber sie räumt offen ein, dass die Nachfrage auch nicht mehr so gross sei: «Die Jungen drücken und rücken nach – wie wir einst. Und das ist gut so.»
Durch ihre Arbeit als Bühnenbildnerin, ihren «Brotberuf», hat sie zu ihrer zweiten Leidenschaft gefunden oder, wenn man will, zurückgefunden: zum Zeichnen, Malen und Formen. Als Tochter eines Kunstmalers war ihr das Aquarellieren schon früh vertraut, sie verlor dann aber vorübergehend den Bezug dazu. Dass sie sich inzwischen in der Baselbieter Kunstszene einen Namen schaffen konnte, belegen verschiedene Ausstellungen und «Auftritte». Erstmals sind ihre Arbeiten auch im Liestaler Palazzo zu sehen.
Dort zählt sie zu den elf Künstlerinnen und Künstlern, die noch bis zum 29. März unter dem Titel «Intense Impressions – Figurative Malerei» Werke ausstellen. Neben zwölf Kohlezeichnungen von Menschen in Bewegung hat sie, dies eigens für diese Ausstellung, ein 3,3 Meter breites, mannshohes Bild mit dem Titel «Weggehen» gezeichnet. Eine kauernde und eine liegende Person, beide nur schemenhaft auf schwarzem Hintergrund, stellen wohl das Sterben dar. Der Tod einer nahen Freundin habe sie inspiriert. Auch bei diesem Bild und den ausgestellten Zeichnungen nimmt der Hintergrund, genauer der leere Raum, viel Platz ein. Das ist auch allgemein ein Merkmal ihrer Malereien.
Vier Tage bevor die Ausstellung schliesst, wird am Mittwoch, dem 25. März, um 19 Uhr, im Hauptsaal noch eine Lesung abgehalten. Es liest: Charles Brauer.
Ausstellung «Intense Impressions – Figurative Malerei». Bis 29. März, Dienstag bis Freitag 14 bis 18 Uhr, Samstag und Sonntag 13 bis 17 Uhr. Mittwoch, 25. März, 19 Uhr mit Lesung von Charles Brauer.
Der Wert des Dorfs
jg. Wer ihr mit ihrem deutschen Akzent zuhört, würde nie darauf kommen, dass die Schweizerin Lilot Hegi den weitaus grössten Teil ihres Lebens in der Schweiz verbracht hat. Sie wuchs als Tochter eines Kunstlehrers in St.Gallen auf und zog mit 24 Jahren für ihr Bühnenbild-Studium nach Berlin. Später arbeitete sie als Bühnen- und Kostümbildnerin am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg. 1987 zog sie zu ihrem Ehemann Charles Brauer nach Böckten, im gleichen Jahr kam ihr Sohn zur Welt. «33 Jahre sind das her. Nirgends habe ich länger gelebt», sagt sie. Böckten bedeutet für sie weit mehr als bloss eine Wohngemeinde. «Das Dorf ist nach der Familie schliesslich das wichtigste soziale Gefüge», sagt sie und wirkt deshalb auch im öffentlichen Leben mit. Sie gehörte der Schulpflege an und führt den örtlichen Kulturverein. Zudem wird sie in der Böcktner Heimatkunde mit mehreren Beiträgen aus ihrer Feder vertreten sein.