«Man war nicht bereit»
05.03.2020 Baselbiet, Kultur, Politik, SissachDavid Thommen
Herr Buser, Sie haben die Absage der Sissacher Fasnacht zwar befürwortet, haben sich aber selber unters Fasnachtsvolk gemischt und zuvor eine spontane Fasnacht propagiert. Haben Sie die Situation unterschätzt?
Peter Buser: Ich habe mir ...
David Thommen
Herr Buser, Sie haben die Absage der Sissacher Fasnacht zwar befürwortet, haben sich aber selber unters Fasnachtsvolk gemischt und zuvor eine spontane Fasnacht propagiert. Haben Sie die Situation unterschätzt?
Peter Buser: Ich habe mir am Freitag, als der Bundesrat das Veranstaltungsverbot verfügt hatte, zwar vorgestellt, dass am Sonntag Fasnächtler auftauchen werden. Die Masse an Menschen auf der Strasse hat mich dann aber überrascht. Ich stellte mir vor, dass es in den Beizen eine spontane Fasnacht geben wird, was ja auch erlaubt gewesen wäre. Insofern habe ich wie wir alle die Situation unterschätzt.
Am Sonntagnachmittag strömten die Massen in die Begegnungszone. Wie haben Sie das erlebt?
Es sind nicht nur Fasnächtler gekommen, um der Fasnacht nachzutrauern, sondern vor allem auch erstaunlich viele Passanten, um nicht zu sagen: Gaffer. Man konnte auch fast die ganze Dorfprominenz auf der Strasse antreffen …
War es ein Fehler von Ihnen, öffentlich die Möglichkeit einer spontanen Fasnacht offenzulassen?
Ich hätte mir jedenfalls gewünscht, dass diese Aussage mit der spontanen Fasnacht nicht gleich als Titel über meinem Interview in der «Volksstimme» steht. Wobei ich nicht glaube, dass deswegen auch nur ein einziger Mensch mehr gekommen ist. Tatsächlich habe ich eine spontane Fasnacht in den Beizen für möglich gehalten. Wir haben ja kein Ausgangsverbot. Es wäre trotz der Verordnung des Bundesrats einiges möglich geblieben.
Der ehemalige Sissacher Gemeindepräsident Rudolf Schaffner hat Ihnen vorgeworfen, Sie trügen eine Mitschuld daran, dass Sissach medial nun in einem schlechten Licht dastehe.
Ich habe das zur Kenntnis genommen. Aber schauen Sie nach Liestal: Dort hatten wir mindestens die gleiche Situation, dort wurde wohl fast noch mehr übertrieben. Die Menschen nützen die Fasnacht, um Dampf abzulassen – in diesem Jahr vielleicht gleich doppelt. Die Fasnacht so kurzfristig verhindern zu wollen, war ganz offensichtlich nicht möglich.
Ihr Sissacher Stechpalme-Kollege, Regierungspräsident Isaac Reber, hat wegen der Sissacher Fasnachtsrebellion ziemlich geschäumt. Hat er sich Sie schon zur Brust genommen?
Nein. Aber ich muss den Ball nun halt schon einmal zurückgeben: Es wäre Aufgabe des Kantons gewesen, den Menschenauflauf in Sissach zu verhindern. Wir als Gemeinde haben dazu absolut keine Möglichkeit. Der Kanton hat die Situation tagsüber meiner Meinung nach falsch eingeschätzt, weshalb er am Abend so übereilt ein Ausschankverbot verfügen und umsetzen musste.
Die Polizei war tagsüber also zu nachsichtig mit den Fasnächtlern?
Nachdem man nachträglich nun schlauer ist, würde man bei einer ähnlichen Situation künftig wohl rigorose Einlasskonktrollen in die Begegnungszone durchführen. Aber ich will hier gar nicht zu sehr über die Schuldfrage sprechen: Alle Ebenen waren mit der Situation ganz offensichtlich überfordert – vom Bund bis zu den Gemeinden. Aber ganz klar auch der Kanton.
Haben Sie Verständnis für die Beizer, die sagen, sie hätten nicht gegen die Verordnung des Bundesrats verstossen und daher kein Verständnis für das Ausschankverbot haben?
Das verstehe ich absolut. Bei den Beizern geht es am Schluss ums Leben und Überleben. Die Lokale haben sich meiner Meinung nach an die Verordnung gehalten und haben wie vorgeschrieben nicht mehr als 200 Personen hereingelassen. Sie hatten Ordnung in ihrem Laden. Umgekehrt gab es bei uns auch zwei Lokale, die gewusst hatten, dass die Fasnacht abgesagt und damit ihre Gelegenheitsbewilligung aufgehoben ist. Sie haben trotz unserer Ermahnung wider besseres Wissen geöffnet und gegenüber den Gästen erst noch lautstark behauptet, sie hätten von der Gemeinde eine Bewilligung. Das entsprach nicht der Wahrheit.
Werden Sie gegen diese Lokalbetreiber vorgehen?
Wir müssen das im Gemeinderat anschauen.
Was war der grösste Fehler, der am Sonntag gemacht wurde?
Der grosse Fehler passierte eher im Vorfeld: Man war nicht bereit für diese Situation und hat dann auch nicht konsequent gehandelt. Der Bundesrat hat diese Verordnung erlassen, um die Gesundheit der Menschen zu schützen und eine rasche Weiterverbreitung des Coronavirus zu verhindern. Die grossen Menschenansammlungen in Sissach und Liestal hätten also nicht zugelassen werden dürfen.
Heikel wurde es in Sissach am Sonntagabend. Ein Video zeigt, wie ein Polizeifahrzeug traktiert wurde. Wie kommentieren Sie das?
Das ist natürlich eine absolute Sauerei! Meine Hoffnung ist einfach, dass daran keine echten Fasnächtler beteiligt gewesen sind. Wer den Sinn der Fasnacht verstanden hat, tut solche Dinge nicht. Mittlerweile haben einige das Gefühl, an der Fasnacht sei alles erlaubt. Das ist eine schlechte Entwicklung. Ich pflichte Isaac Rebers Aussage vom Montag bei: Es gibt kein absolutes Recht auf Fasnacht.
Nochmals zum Ausschankverbot: Haben Sie Verständnis dafür?
Wenn ich es aus der Optik der Wirte anschaue, dann nein. Aber vielleicht war es in dieser Situation wirklich die einzige Massnahme, um die öffentliche Sicherheit zu gewährleisten. So gesehen habe ich auch dafür Verständnis.
Herrscht im Oberbaselbiet generell einfach ein etwas aufrührerischer Geist?
Eine rebellische Ader haben die Menschen hier natürlich schon, wie schon die Geschichte zeigt. In diesem Fall denke ich aber, dass insgesamt zu wenig klar kommuniziert worden ist, es zu viele Unklarheiten und Ungereimtheiten gab und Massnahmen zu wenig konsequent durchgesetzt wurden. In der Kürze der Zeit konnte wohl einfach nicht alles perfekt ablaufen.
Kürzlich zog der Sturm Sabine über das Land. Anschliessend wurde die kurzfristige Kommunikation – Schule ja oder nein – ebenfalls kritisiert. Sehen Sie Parallelen?
Man war ebenfalls nicht parat. Alle müssen nun daraus die Lehren ziehen, damit es in einem weiteren Fall, von dem wir verschont bleiben mögen, besser klappt.