«Ich sehe noch nicht alles in Scherben liegen»
20.03.2020 Baselbiet, Gesundheit, Wirtschaft, Politik, GesellschaftWirtschaftskammer-Direktor Christoph Buser über die Coronakrise
Seit Montag sind im Baselbiet viele Betriebe geschlossen. Wirtschaftskammer-Direktor Christoph Buser schätzt, dass im Kanton 4000 Betriebe unmittelbar betroffen sind. Er verlangt nach Nothilfe, um die KMU zu ...
Wirtschaftskammer-Direktor Christoph Buser über die Coronakrise
Seit Montag sind im Baselbiet viele Betriebe geschlossen. Wirtschaftskammer-Direktor Christoph Buser schätzt, dass im Kanton 4000 Betriebe unmittelbar betroffen sind. Er verlangt nach Nothilfe, um die KMU zu retten.
David Thommen
Herr Buser, der Stillstand durch das Coronavirus dürfte eine Katastrophe für die Wirtschaft werden. Können Sie das Ausmass auch nur annähernd schon erfassen?
Christoph Buser: Wir haben versucht abzuschätzen, wie die Welle der Erstbetroffenen im Baselbiet in etwa aussehen könnte: Gemäss unserer groben Schätzung sind es rund 4000 Firmen, die seit Montag keinen oder nur noch einen stark reduzierten Umsatz machen können. Häufig handelt es sich dabei um kleine und kleinste Unternehmen – Restaurants, Läden, Coiffeursalons, Therapeuten und viele andere mehr.
Wie ist die Stimmung im Gewerbe? Hat man Verständnis für die stark eingreifenden Massnahmen?
Wir haben hier im Haus der Wirtschaft am Montag um 7.30 Uhr sofort eine Hotline eröffnet. Im ersten Moment haben die Gewerbetreibenden mit Schock reagiert, viele konnten kaum glauben, was da nun los ist. In einer zweiten Welle wurde Kritik an den Massnahmen geübt. Viele haben gesagt, dass der Engpass bei den Spitälern bestehe – man solle also sofort dort aufstocken, wie das die Niederlande etwa tun. In einer dritten Phase, und das beeindruckt mich, wird den Massnahmen nun aber viel Verständnis entgegengebracht – selbst von Menschen, die es sehr hart trifft. Wohl auch, weil man gesehen hat, was im Ausland alles passiert und dass die Lage wirklich ernst ist.
Und wie empfinden Sie als Chef der Wirtschaftskammer diesen verordneten «Lockdown»?
Unsere Haltung war von allem Anfang an: In der Krise kann nur einer die Führung übernehmen, und das war am Sonntag der Kantonale Krisenstab und nun ist es der Bundesrat. In dieser Situation muss man befolgen, was beschlossen wurde, es ist nicht die Zeit für Vielstimmigkeit. Allerdings kann es gar keinen Zweifel daran geben, dass nun sehr rasch Hilfe kommen muss, damit die Folgen für die Wirtschaft abgeschwächt werden. Dafür werde ich mich stark einsetzen.
Wer ist kurzfristig am schlimmsten betroffen?
Am härtesten trifft es im Moment die ganz Kleinen, die mehr oder weniger von der Hand in den Mund leben und Ausfälle nicht oder kaum verkraften können. Davon gibt es viele und darunter sind auch zahllose Selbstständigerwerbende ohne Anspruch auf Kurzarbeitsentschädigung.Viele haben vielleicht den Schnauf für einen halben oder einen ganzen Monat, danach ist die Substanz aber aufgebraucht. Ich schätze, dass dies bei bis zu 2000 Betrieben der Fall sein könnte. Das Problem dürfte sodann der Dominoeffekt sein: Sobald die ersten Firmen ihre Rechnungen nicht mehr zahlen können, trifft es die nächsten, die davor noch nicht unmittelbar von Schliessungsentscheiden betroffen waren. Es muss sofort gehandelt werden. Wir haben diese Forderung mit Nachdruck bei der Regierung platziert.
Und langfristig?
Ich habe die starke Hoffnung, dass die Medizin rasch Antworten findet. In dieser Zeit muss es gelingen, nicht alles zusammenbrechen zu lassen. Dann kommen wir vielleicht mit einer leichten Rezession davon. Ich sehe noch längst nicht alles in Scherben liegen. Mit einem Kraftakt zugunsten der Wirtschaft könnte dann viel Schaden abgewendet werden. Es ist besser, nun die ganze Struktur nicht zusammenbrechen zu lassen, als sie danach mühsam wieder aufbauen zu müssen.
Mit dem «Kraftakt» meinen Sie das Hilfspaket von Bund und Kanton?
Ja. Es muss richtig viel Geld in die Hand genommen werden. Die USA haben eine Billion Dollar beschlossen, auch viele weitere Länder wie Frankreich oder Deutschland haben sehr umfangreiche Hilfspakete bereitgestellt. Wenn man das auf die Einwohnerzahl herunterbricht, wird mit 2500 bis 3000 Franken pro Kopf gerechnet. ETH-Professoren haben ermittelt, dass es in der Schweiz bis zu 100 Milliarden Franken brauchen könnte. Das dünkt mich auf den ersten Blick sehr viel, doch die 10 Milliarden, die der Bund in Aussicht gestellt hat, dürften auf keinen Fall ausreichend sein. Auch die Kantone müssen Pakete beschliessen. Nicht zuletzt, weil man weiss, dass beim Bund immer alles lange dauert. So viel Zeit haben wir nicht.
Wie viel bräuchte es Ihrer Meinung nach vom Kanton Baselland?
Wir haben erste Berechnungen, doch die Unschärfen sind gross. Die Summe könnte sich in der Grössenordnung zwischen einer halben und einer Milliarde Franken bewegen.
Wofür soll dieses Geld eingesetzt werden? Vor allem für die Kurzarbeitsentschädigung?
Darum geht es auch, aber längst nicht nur. Kurzarbeit ist vor allem für grössere Betriebe mit Angestellten sinnvoll. Viele kleine Firmen profitieren hingegen nicht davon: Selbstständigerwerbende – inklusive vielleicht der Ehefrau, die in der Firma mithilft – oder Geschäftsführer haben keinen Anspruch darauf. Viele fallen durch das Raster. Restaurants, das Pilatesstudio, aber auch Arztpraxen, die Therapien anbieten, die nun untersagt sind, und ganz, ganz viele weitere müssen befürchten, dass es sie bald nicht mehr gibt. Hier stehen Existenzen auf dem Spiel. Den Leuten muss unbedingt geholfen werden.
Wie soll das rein praktisch funktionieren? Da kommt eine Coiffeuse oder ein Beizer auf das Amt und sagt, sie oder er brauche 3000 Franken? Schwer vorstellbar …
Praktisch könnte es aber in etwa so laufen. Der Unternehmer wird Abrechnungen, Verträge und Belege präsentieren müssen und ausweisen, was seine Mietkosten, Lohn- und weitere Verpflichtungen sind. Dann muss es ein Darlehen geben und später muss entschieden werden, was davon zurückzuzahlen ist. Da müssen wir uns nichts vormachen: Auch die Nachbereitung der Krise wird mit immens viel Aufwand verbunden sein.
Die Bestimmungen für die Kurzarbeit wurden gelockert. Das dürfte immerhin vielen entgegenkommen.
Richtig. Aber es besteht das Problem, dass es viel zu lange dauert, bis diese Entschädigung tatsächlich beim Arbeitgeber eintrifft. Die Firmen müssen die Löhne während dieser Zeit vorschiessen, dafür fehlt vielen die Liquidität. Vor allem dann, wenn alle Umsätze auf einen Schlag wegbrechen.
Das Kurzarbeitsgeld kommt also erst, wenn die Firma wegen Liquiditätsmangels schlimmstenfalls schon schliessen musste?
Diese Gefahr besteht. Idealerweise sollte hier der Kanton mit Sofort-Darlehen helfen, die Durststrecke zu überbrücken. Alle Firmen, die unverschuldet in Not geraten, müssen unkompliziert mit genügend Liquidität versorgt werden. Welcher Teil davon zurückbezahlt werden muss und was à fonds perdu den Firmen überlassen wird, kann später immer noch entschieden werden.
Sie erwarten also, dass Firmen Geld von Bund und Kanton bekommen, das danach nicht mehr zurückbezahlt werden muss?
Ohne das wird es nicht gehen. Die Ausfälle wegen Zwangsschliessungen müssen vom Staat kompensiert werden. Die Schweiz hat eine gewisse Erfahrung im Retten von Firmen: Swissair, Banken ... Dort hat es geheissen «too big to fail». Wenn die KMU-Wirtschaft nicht «too big to fail» ist, dann weiss ich auch nicht mehr. Auch unsere ganze Exportindustrie wurde zuletzt gerettet, indem man mit allen Mitteln die Aufwertung des Frankens verhindert hat.
Bei allem Verständnis für Ihre Forderung nach A-fonds-perdu-Beiträgen vom Staat: Am Schluss muss das trotzdem jemand bezahlen.
Das wird so sein. Es gilt aber, eine Abwägung zu machen: Was ist das schlimmere Szenario? Wenn man eine grosse Konkurswelle zulässt, dann wird früher oder später die ganze Schweizer Wirtschaft mitgerissen, was zu einer massiven Arbeitslosigkeit führen würde. Das wäre ein Horrorszenario und käme letztlich teurer.
Alleine die soeben beschlossene Ausweitung der Kurzarbeit auf 18 Monate ist finanziell gesehen ganz schweres Geschütz …
Das ist so. Aber man muss sehen, dass es hier auch um die Standortqualität der Schweiz geht. In Europa werden die Geldschleusen geöffnet. Die international tätigen Firmen schauen ganz genau hin, wo die Bedingungen auch während einer Krise gut sind. Man muss schliesslich befürchten, dass sich ein solcher Fall wiederholen wird. Die Firmen siedeln sich dort an, wo ihnen und den Mitarbeitenden Sicherheit geboten wird. Die Schweiz kann da nicht hinten anstehen.
Wie steht es um den Zusammenhalt im Gewerbe?
Ich stelle eine grosse Solidarität fest. Viele, die nun keine Beschäftigung mehr haben, weil ihre Firma geschlossen ist, bieten sich an, anderen zu helfen, die wegen der Ausnahmesituation fast in Arbeit ertrinken. Auch die Konsumenten sind solidarisch: Es gibt Beizen, die Gutscheine für 100-Franken-Stangen anbieten, um rasch zu etwas Geld zu kommen. Ich selber werde in meiner Lieblingspizzeria solche Gutscheine kaufen und die Stange genussvoll trinken, sobald die Krise vorbei ist. Solche Aktionen werden wir viele erleben. Ich habe generell die Hoffnung, dass man sich wieder mehr auf die Menschen besinnt, die in der unmittelbaren Umgebung tätig sind. Die Anfälligkeit des globalen Systems wurde jetzt schonungslos offengelegt. Es wird eine Rückbesinnung auf das Lokale und Regionale folgen.
Schlittern wir in eine Rezession?
Das ist zu befürchten. Doch zuerst müssen wir aus der Krise finden.
Wird Arbeitslosigkeit ein Thema? Zuvor war immer von einem Fachkräftemangel die Rede.
Arbeitslosigkeit wird kaum zu verhindern sein. Da die Kurzarbeit auf 18 Monate ausgedehnt wurde, besteht aber die Chance, dass es nicht allzu schlimm wird. Dann sind wir hoffentlich wieder auf dem aufsteigenden Ast.
Die Börsen sind weltweit massiv eingebrochen. Ganz viele Vorsorgegelder sind in Wertpapieren angelegt. Was bedeutet das für unser Alterskapital?
Leider ist Stand heute davon auszugehen, dass wir Ende Jahr ganz schlechte Pensionskassenabschlüsse sehen werden. Die Pensionskasse des Kantons Baselland (BLPK) beispielsweise hat die Vorschrift, zu 90 Prozent ausfinanziert sein zu müssen, sonst braucht es eine Sanierung. Der Landrat wird sich überlegen müssen, wie diese Vorschrift erfüllt werden kann. Bevor die Pensionskasse neuerlich saniert werden muss, müssen die Folgen der Krise bewältigt sein.
Die Wirtschaftskammer hat eine Informationsoffensive gestartet, um den Unternehmen zu helfen. Was tun Sie sonst noch?
Wir bieten weiterhin Auskünfte darüber an, was möglich ist und was nicht – unter anderem mit unserer Hotline. Bisher waren einige Informationen der Behörden nicht vollständig. Hier springen wir ein. Ansonsten entwickeln wir viele andere Aktivitäten: So geben wir Desinfektionsmittel ab oder beraten Firmen, wie die Arbeitsumgebung angepasst werden kann, damit die Bundesvorgaben eingehalten werden. Wir bekommen ungeheuer viele Anfragen zu solchen Themen, auch Fragen zum Arbeitsrecht gibt es viele. Wir haben ein Netz von Juristen angezapft, damit wir korrekte Auskünfte erteilen können. Im Moment sind wir aber auch daran, auf die Zollbehörden einzuwirken, damit Grenzgänger nicht stundenlang im Stau stehen müssen. Wir haben eine Art Vignette vorgeschlagen, damit es rascher geht.
Sie haben sich am Dienstag am runden Tisch der Wirtschaft mit Finanzdirektor Anton Lauber beteiligt. Wie ist die Stimmung in der Politik?
Das Verständnis für die Situation der Wirtschaft ist da. Allerdings bestand beim Kanton anfänglich die Meinung, dass die Krise vor allem mit Bundesmitteln bewältigt werden könne. Hoffentlich ist es uns Wirtschaftsvertretern gelungen, den Kanton davon zu überzeugen, dass es auch ein Hilfspaket vom Kanton brauchen wird. Und zwar sofort.