Zu Besuch bei «Frau Sommelière»
20.02.2020 Bezirk Waldenburg, Gastronomie, Kultur, HölsteinAnita Vietri kennt sich nicht nur mit Kaffee bestens aus
Sie verfügt über eine fast einmalige Vielfalt an Ausbildungen im Genussmittel-Bereich und begeistert Gäste mit ihrem Wissen – und mit ihrem Kaffeemuseum. In Anita Vietri hat Hölstein eine preisgekrönte ...
Anita Vietri kennt sich nicht nur mit Kaffee bestens aus
Sie verfügt über eine fast einmalige Vielfalt an Ausbildungen im Genussmittel-Bereich und begeistert Gäste mit ihrem Wissen – und mit ihrem Kaffeemuseum. In Anita Vietri hat Hölstein eine preisgekrönte Kaffee-Expertin.
Elmar Gächter
«Coffee Culture» – eine eher unerwartete Anschrift an einer Fassade im Hölsteiner Gewerbequartier Bärenmatten. Doch spätestens, wenn das offene Tor einen Einblick in das Innere gewährt, wird jedem Besuchenden klar: Hier öffnet sich eine Welt, die nicht nur passionierten Kaffeetrinkern ein «Oh und Ah» entlockt. Die Welt von Anita Vietri. Sauber geordnet und übersichtlich präsentieren sich Objekte, die teilweise bereits vor mehr als hundert Jahren Menschen auf unserem Globus zum Genuss in Nase und Gaumen verholfen haben.
Man denke nur an jenen aromatischen morgendlichen Duft, dem auch Langschläfer kaum entkommen können. 600 Exponate, von Mühlen über Röster bis zu jener Maschine, die dank ihres eingebauten Weckers vor dem Rasseln das unwiderstehliche Odeur nach Frischgemahlenem verströmt, wetteifern um die Gunst der Betrachtenden. Hier ist das Reich einer Frau, für die der Kaffee mehr ist als ein Genussmittel, mehr als eine Passion, nein, Leidenschaft pur. Mit ihrer breiten Ausund Weiterbildung ist Anita Vietri weitherum eine der besten Kennerinnen des schwarzen Getränks. Doch längst nicht nur des Kaffees.
Alles in der eigenen Hand
Müsste man Anita Vietri ein Prädikat verpassen, wäre es wohl am ehesten «Frau Sommelière». Nicht weniger als fünf solcher Zusatzausbildungen weist die diplomierte Ingenieurin für Lebensmitteltechnologie in der Zwischenzeit auf. Neben Kaffee und Tee betreffen diese Spirituosen, Bier und Sake, den japanischen Reiswein. Zudem kann sie sich Whisky-Fachfrau und Röstmeisterin nennen. Am stolzesten ist sie jedoch auf ihr Diplom als Chef-Kaffeesommelière. «Der Kaffee ist für mich spannend, weil du vom Rohprodukt über das Rösten bis zur Zubereitung alles selber in der Hand hast. Das fasziniert mich ungemein», sagt Vietri.
Ganz von ungefähr kommt diese besondere Liebe zum Kaffee nicht. «Wenn meine Mutter Kaffee in der Mokkapfanne zubereitet hat, tropfte sie mir davon ein wenig auf ein Stück Zucker, dies war so etwas Wohliges», erinnert sich Vietri an ihre Kindheit in Italien. Diese Aromatik hat sie bis heute nicht losgelassen, im Gegenteil. «Je mehr ich mich mit dem Thema Kaffee beschäftigt habe, desto mehr ist für mich eine Tür in eine andere Welt aufgegangen», schwärmt sie. Sie komme sich zuweilen wie eine Komponistin vor, die aus verschiedenen Noten mal einen Klassiker und ein andermal ein Heavy-Metal-Stück kreiere. «Dies ist auch beim Rösten so. Wenn du weisst, an welcher Schraube du drehen musst, erhältst du aus dem gleichen Rohprodukt ganz verschiedene Ergebnisse. Du hinterlässt dabei quasi deinen Fingerabdruck.»
Es wird enger und enger
Anita Vietri bezeichnet sich selber als sehr wissbegierig. «Für mich sind die Hintergründe eines Produktes einfach enorm wichtig. Da treibt mich eine gewisse Rastlosigkeit an, die ich mir selber gar nicht erklären kann.» Dies sei auch ihre Triebfeder, sich detailliert mit anderen Genussmitteln wie Wein, Bier, Whisky oder Spirituosen auseinanderzusetzen. Dabei stelle sie immer wieder fest, dass es zwischen ihnen zahlreiche Verbindungen gebe, wie bei einem Spinnennetz. «Als ich mich zur Teesommelière ausbilden liess, musste ich schmunzeln, weil ein gewisser Tee mich aromatisch an einen bestimmten Whisky erinnerte», so Vietri.
Wesentliche Voraussetzung für die Ausbildung zur Sommelière sei die Sensorik. Auch wenn man dafür veranlagt sei, heisse es üben, üben, üben. «Ich versuche jede Woche, aus verschiedensten Fläschchen die richtigen Aromen zu bestimmen», sagt sie. Diese Aromen seien im Leben viel wichtiger, als man meine, und meist mit emotionalen Erlebnissen verbunden. «Spüre ich im Whisky oder im Tee einen bestimmten rauchigen Geschmack, erinnert mich dies an meine Kindheit, wenn meine Mutter zu Hause ein ganz spezielles Holz verfeuert hat. Das fühlt sich dann richtig heimelig an.»
Für Anita Vietri ist Kaffee unverzichtbare Kultur. Dieser geht sie seit ein einigen Jahren in ihrer Coffee Culture GmbH mit Herzblut nach. In ihrem Kaffeemuseum bietet sie verschiedene Workshops an, vom Rösten über das Degustieren bis zu sensorischen Schulungen. Selbstverständlich gehören auch Führungen durch ihre einmalige Ausstellung dazu. «Mit der Nachfrage nach meinen Kursen bin ich sehr zufrieden, es kommen jedes Jahr mehr Gäste», hält sie mit Freude fest. Obwohl sie sich an ihrem Standort grundsätzlich wohl fühlt, träumt sie von einem etwas grösseren Raum. «Weil ich nach wie vor richtig süchtig bin nach neuen Gegenständen im Kaffeebereich, wird es hier enger und enger. Zudem würde ich neben dem Kaffeeschwerpunkt gerne auch eine Whisky- und Sake-Ecke einrichten.»
Und wie steht es eigentlich mit ihrem ganz persönlichen Kaffeegenuss? «Ich trinke rund sieben Tassen Kaffee pro Tag und liebe komplexe Kompositionen mit besonders fruchtigem Charakter, die beispielsweise nach schwarzen Johannisbeeren schmecken.»
Zur Person
emg. Anita Vietri ist in Italien geboren und wohnt seit ihrem sechsten Lebensjahr im Baselbiet. Nach ihren Lehren als Laboristin und Chemielaborantin hat sie sich zur diplomierten Ingenieurin in Lebensmitteltechnologie weitergebildet und ihren Master in «Food and Beverage Innovation» gemacht. Sie hat ein Diplom als Chef-Kaffeesommelière und weist daneben weitere Ausbildungen als Tee-, Spirituosen-, Bierund Sake-Sommelière sowie als Whisky-Fachfrau aus. Sie ist selbstständige Unternehmerin und führt neben ihrer Coffee Culture GmbH ein weiteres KMU im mechanischen Bereich.
Eine ganz besondere Auszeichnung
emg. Anita Vietri hat am vergangenen Wochenende in Stuttgart einen «Kaldi-Award» entgegennehmen dürfen. Damit zeichnet eine internationale unabhängige Jury Personen aus, die einen wesentlichen Beitrag zum besseren Kaffeeverständnis oder zur Verbesserung des Kaffees durch wissenschaftliche Arbeit geleistet haben. Anita Vietri hat dabei die Auszeichnung für ihr Lebenswerk erhalten: für ihren Einsatz für den Erhalt von kaffeegeschichtlichen Exponaten. «Dies ist für mich eine grosse Ehre. Dabei wusste ich nicht mal, dass ich nominiert war», so die Preisträgerin.