Mit der Lizenz zum Intrigieren
28.02.2020 Bezirk Sissach, SissachDie Fasnacht ist zur Materialschlacht verkommen, ihr ursprünglicher Geist ging verloren. Das kritisieren Hans Eglin, André Vuille und Walter Hartl. Die Alt-Fasnächtler ziehen nun alle Register und machen sich auf zum Intrigieren.
Sebastian Schanzer
Es war ...
Die Fasnacht ist zur Materialschlacht verkommen, ihr ursprünglicher Geist ging verloren. Das kritisieren Hans Eglin, André Vuille und Walter Hartl. Die Alt-Fasnächtler ziehen nun alle Register und machen sich auf zum Intrigieren.
Sebastian Schanzer
Es war irgendwann in den 1970er-Jahren, als ein zugewanderter Aargauer als Waggis verkleidet vor einer Diegter Beiz auf und ab ging. Cherus-Ball war angesagt und der Mann wusste: «Wenn ich da reingehe, muss ich schnuure.» Die Serviertöchter, die er kannte und auf die er als erste Ansprechpersonen hoffte, waren in weiter Ferne. Nervös betrat er die Beiz, da hörte er umgehend den Ausruf: «Ein Waggis. Endlich!» Das war der Impuls. «Ja was? Passt dir mein Gesicht etwa nicht? Mit deinem würd’ ich auch nicht herumlaufen!» Und dann ging es los. «Der andere gab zurück und nach zweieinhalb Stunden brachte ich kein Wort mehr heraus», erinnert sich der heute 84-jährige Mann. Sein Name: André Vuille, in Sissach unter anderem bekannt als langjähriger Präsident der Fasnachtsgesellschaft (FGS). An diesem Abend hatte er das erste Mal intrigiert – und es hat ihm gefallen –, so sehr, dass ihn und seine beiden Sissacher Freunde Walter Hartl und Hans Eglin heute die Wehmut packt beim Gedanken an die alte Fasnacht.
«Direkten Kontakt verloren»
«Damals war die Fasnacht dazu da, sich gegenseitig unter dem Schutz der Maske hochzunehmen und den Oberen direkt zu sagen, was man von ihnen denkt», sagt Vuille. «Heute sitzen sie auf ihren pompösen Wagen und werfen tonnenweise Material ins Publikum. Der direkte Kontakt geht dabei verloren.»
Geht es nach den drei Rentnern, soll sich das wieder ändern. Sie haben sich deshalb an der diesjährigen Fasnacht zum Ziel gesetzt, den Jungen zu zeigen, wie man Fasnacht auch machen könnte – fern von Materialschlachten und immer grösseren Wagen.Vuille hat sich zu diesem Zweck mit Hans Eglin zusammengetan. Auch Eglin war lange Zeit im Vorstand der FGS und zudem Pfeiferchef bei der Zunzger Wurlitzer-Clique. Später gründete er gemeinsam mit Mitgliedern der Nuggi-Clique, der Spootzünder und der Wurlitzer die Gruppe der Abtrünnigen. Jahre später rief er die Millenium-Waggis ins Leben.
Lauch und Zwiebeln statt Mimosen
Vuille und Eglin treten am Umzug in einer Zweier-Formation auf. «Hans macht das Tanti, ich den Waggis», sagt Vuille. Mit dabei: ein Rollstuhl.Vuille ist im normalen Leben mit Rollator unterwegs. Fehlt ihm am Umzug die Kraft, kann er auf dem Rollstuhl pausieren, was ihn freilich nicht davon abhalten wird, zu «zünden» und zu «schnuure». Im Gepäck haben die beiden einen zweiseitig bedruckten «Zeedel» und jede Menge Vitamine. «Der Waggis verteilt Gemüse und Orangen. Er verteilt keine Mimosen und er wirft auch keine Konfetti ins Publikum», stellt Vuille klar. «Orangen werden an sympathische Frauen verteilt. Mit abnehmendem Sympathiegrad gibt es für die anderen Frauen Rüebli, Lauch oder eben Zwiebeln.»
Auch von der Tante Eglin wird es keine Mimosen geben, sondern «Lutscherli». Sie trägt die Pfefferminzbonbons im Strumpfband oder im kleinen Täschchen ums Handgelenk, dem Ridicule. «Ein Dääfi aus ihrem Strumpfband verteilt die Tante an einen gut aussehenden Mann. Sie hebt ihren Rock und steckt es ihm in den Mund – eine Provokation», erklärt Eglin und lacht.
Von den guten alten Zeiten weiss auch Walter Hartl zu erzählen. Er ist Gründungsmitglied der legendären Pulverhorn-Clique, die ihren Namen einem gewaltigen «Chlapf» aus der Konfettikanone zu verdanken hat. Es war 1970 auf dem Gemeindeplatz. Die beiden Kanoniere wollten ihre Kanone mit Schwarzpulver laden, hatten dabei aber nicht bemerkt, dass sich noch glühende Konfetti im Rohr befanden, erzählt Hartl, als wäre es gestern passiert. Es kam zu einer Explosion, das Pulverrohr flog quer über den Platz und die Kanoniere blickten verdutzt mit abgebrannten Koteletten und rauchendem Kostüm aus den Rauchschwaden. Die betroffenen Kanoniere liessen sich deswegen das Schiessen aber nicht nehmen – jedenfalls bis sich mehr oder weniger dasselbe 1997 wiederholte, so Hartl.
Anstoss zum Nachmachen
Der 78-jährige Hartl hat sich für diese Fasnacht mit Heiner Oberer und Gemeinderat Robert Bösiger zusammengetan und wird den Leiterwagen des «Schyssdräckzüüglis» ziehen. «Ich war ein angefressener Wagenfreak», erinnert er sich. Um aktuell zu bleiben, habe die Pulverhorn-Clique ihr Sujet jeweils möglichst knapp vor Fasnachtsbeginn bestimmt – stets wurden regionale Themen ausgespielt. «Der Nachwuchs ist dann allerdings andere Wege gegangen», sagt Hartl. Die Wagen wurden grösser und die Waggise begaben sich während des Umzugs auch nicht mehr unters Volk. «Anstatt eines einzigen Sacks bestellten die Jungen gleich 500 Kilo Konfetti. Das war nicht mehr unser Stil.»
Nun hoffen die drei Wiedereinsteiger auf ein Revival der alten Fasnacht. «Wichtig ist, dass wir am Umzug wie an der Beizenfasnacht Leute finden, die mitspielen. Man kann noch so viel schwätzen und zünden: Wenn der andere nicht mitmacht, bist du verloren», sagt André Vuille. Im Idealfall bringen die drei eine Kettenreaktion in Gang. «Vielleicht fragen sich andere ehemalige Fasnächtler: Warum nicht auch wieder ein bisschen intrigieren?»