«Es gibt keinen Grund zur Zuversicht»
31.01.2020 Bezirk Sissach, SissachImmunologe und China-House-Leiter Xian Chu Kong zum Coronavirus
Die Lungeninfektionskrankheit Corona breitet sich in China rasant aus. Mehr als 40 Millionen Menschen in elf Grossstädten leben von der Aussenwelt abgeschottet. Dr. Xian Chu Kong, der Leiter des China-House Basel in Sissach, ...
Immunologe und China-House-Leiter Xian Chu Kong zum Coronavirus
Die Lungeninfektionskrankheit Corona breitet sich in China rasant aus. Mehr als 40 Millionen Menschen in elf Grossstädten leben von der Aussenwelt abgeschottet. Dr. Xian Chu Kong, der Leiter des China-House Basel in Sissach, hat seine Diplomarbeit in Immunologie verfasst und macht sich Sorgen.
Sander van Riemsdijk
Herr Kong, was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie zum ersten Mal vom Coronavirus aus China erfuhren?
Xian Chu Kong: Ich habe als Wissenschafter sofort die Verbindung zur Infektionskrankheit Sars von Ende 2002 gemacht und die Krankheit zuerst als lokale Problematik eingestuft. Ich war gar nicht so beunruhigt und hatte Vertrauen in die lokalen Behörden, die sicher aus den Erfahrungen mit Sars und der Vogelgrippe gelernt hätten und somit die richtigen Massnahmen treffen würden. Diese haben leider deutlich zu spät reagiert. Das Ausmass der Krankheit hat mich überrascht.
Wie hat Ihre Verwandtschaft in China auf den Ausbruch der Krankheit reagiert? Hat sie sofort Vorkehrungen getroffen?
Sie nehmen die Krankheit sehr ernst und folgen, wie in China mit seiner grossen Autoritätsgläubigkeit üblich, den Anweisungen der Behörden. Das heisst konkret, dass sie zu Hause bleiben, keinen Kontakt zu anderen Menschen haben, keine lebendigen Tiere kaufen und immer Schutzmasken tragen. Das diesjährige traditionelle und in China sehr beliebte Neujahrsfest fiel aus. Ich selber stehe via Mail mit ihnen in ständigem engen Kontakt und gebe von hier aus Ratschläge.
Hat Sie der Ausbruch der Krankheit überrascht?
Nein. In China wird alles, was in der Tierwelt vier Beine oder Flügel hat, gegessen. Die Tiere werden auf dem Markt lebendig gekauft und leben dann zuerst zusammen mit den Menschen im Haushalt auf engem Raum. Man weiss unterdessen auch, dass die Krankheit Sars durch den Verzehr von Fledermäusen ausgebrochen ist. Es ist den Menschen zu wenig bewusst, dass in freier Wildbahn unkontrollierte Krankheiten schlummern. Es ist in China nun mal so, dass man zu Ehren der Gäste und, um zu zeigen, dass man wohlhabend ist, zur Mahlzeit besondere Tierarten serviert.
Wieso essen die Menschen Fledermäuse?
Das chinesische Wort für Fledermaus ist Bian Fu. Das Wort Fu bedeutet auch Glück. In China, mit seinem noch weit verbreiteten Aberglauben, verzehren die Menschen also mit der Fledermaus auch das Glück.
Wie steht es um die Menschen in den sehr abgelegenen Gebieten?
Da mache ich mir grosse Sorgen. Dort fehlt es an allem. Man riegelt zwar grosse Städte ab, aber die Menschen kommen in die Nachbarstädte, die nicht abgeriegelt sind, zum Einkaufen, für ihre medizinische Versorgung und zur Arbeit. Hier macht man sich keine Gedanken. China hat viele sogenannte Wanderarbeiter, die sich über das ganze Land bewegen. Hier eine Ausbreitung der Krankheit zu verhindern, ist schlicht unmöglich.
Jetzt wird innert einer Woche ein neues Krankenhaus gebaut. Wie geht das?
Dies erstaunt mich gar nicht. Die Chinesen haben viel Erfahrung in der Umsetzung von Grossprojekten. Zudem verfügt das Land über eine unerschöpfliche Anzahl von Arbeitskräften, die rund um die Uhr zur Verfügung stehen. Die medizinische Versorgung ist noch sehr mangelhaft, das Krankenhaus wird in dieser Zeit fertig werden.
Werden Sie von den Leuten auf der Strasse in auf die Krankheit angesprochen beziehungsweise werden Sie gemieden?
Ja, meine Frau stellt zum Beispiel beim Einkaufen fest, dass die Menschen sich von ihr abdrehen und sofort auf Distanz gehen. Ich habe Verständnis dafür, weil die Leute verunsichert sind. Ich werde auch immer wieder gefragt, woher ich komme (aus Wuhan?), ob ich kürzlich in China war, ob ich momentan Kontakt zu Chinesen habe und warum die Chinesen eigentlich Fledermäuse essen. Aus diesem Grund werde ich am Dienstag eine Veranstaltung zum Thema Coronavirus mit aktuellen Informationen und zum Stand in der Bekämpfung der Krankheit in China organisieren.
Was glauben Sie: Nehmen die Behörden hier in der Schweiz die Krankheit ernst genug?
Ich habe den Eindruck, dass die Infektionskrankheit mit einer saisonalen Grippe verglichen wird und weit weg ist. Bedingt durch unsere Mobilität ist diese aber gar nicht so weit weg, wie kürzlich Fälle in Deutschland und Frankreich bestätigten. Die WHO hat das Virus als stark ansteckend eingestuft. Die Krankheit wird uns noch lange beschäftigen. Es besteht zwar momentan kein Grund zur Panik, aber auch nicht zur Zuversicht.
Was für Vorkehrungsmassnahmen treffen Sie und Ihre Familie selber und können Sie als Wissenschafter den Menschen in China Ihre Unterstützung anbieten?
Momentan treffen wir noch keine konkreten Massnahmen. Wichtig ist, nicht zu vergessen, regelmässig die Hände zu waschen. Auf jeden Fall werden wir uns vorläufig nicht mit chinesischen Touristen in Luzern oder Zürich treffen. Wir können den Menschen in China, denen es an medizinischen Mitteln fehlt, mit der Spende von Schutzmasken, Ganzkörperanzügen und Infektionsmitteln helfen. Dies erfolgt über die chinesische Botschaft und über das Rote Kreuz.
Am Dienstag organisiert das China-House Basel unter dem Motto «Aktuelle Information und Austausch zur Ausbreitung der Krankheit in China» eine Veranstaltung zum Thema Coronavirus. Dienstag, 4. Februar, 18.30 Uhr, China-House, Hauptstrasse 120, Sissach.
Zur Person
svr. Der 46-jährige Xian Chu Kong, ein Han-Chinese, leitet seit sieben Jahren das China-House Basel in Sissach, das sich zum Ziel setzt, Projekte und Veranstaltungen für ein besseres Verständnis des neuen und alten Chinas zu vermitteln, zu beherbergen und zu organisieren. Er lebt als Bürger von Sissach seit 35 Jahren mit seiner Frau und den drei Kindern im selben Haus an der Hauptstrasse.