Wo Gott und Mensch sich berühren
24.12.2019 Baselbiet, KircheGedanken zu Weihnachten von Pfarrer Eric Hub
Stammbaum Jesu Christi, des Sohnes Davids, des Sohnes Abrahams: Abraham zeugte Isaak, Isaak zeugte Jakob, Jakob zeugte Juda und seine Brüder. Juda zeugte Perez und Serach mit Tamar, Perez zeugte Hezron, Hezron zeugte Ram, … Nachschon ...
Gedanken zu Weihnachten von Pfarrer Eric Hub
Stammbaum Jesu Christi, des Sohnes Davids, des Sohnes Abrahams: Abraham zeugte Isaak, Isaak zeugte Jakob, Jakob zeugte Juda und seine Brüder. Juda zeugte Perez und Serach mit Tamar, Perez zeugte Hezron, Hezron zeugte Ram, … Nachschon zeugte Salmon, Salmon zeugte Boas mit Rachab, Boas zeugte Obed mit Rut, Obed zeugte Isai, Isai zeugte den König David. David zeugte Salomo mit der Frau des Urija, Salomo zeugte Rehabeam, Rehabeam zeugte Abija, Abija zeugte Asaf, (…) Manasse zeugte Amon, Amon zeugte Joschija, (…) Jechonja Schealtiel, Schealtiel zeugte Serubbabel, Serubbabel zeugte Abihud, Abihud zeugte Eljakim, (…) Elasar zeugte Mattan, Mattan zeugte Jakob, Jakob zeugte Josef, den Mann Marias; von ihr wurde Jesus geboren, welcher der Christus genannt wird. (Matthäusevangelium 1, 1ff)
Weihnachten ist da, der Advent, die Zeit des Wartens, ist vorbei. Auch im zitierten Text wurde lange gewartet, eine nüchterne Liste. Die Geburt Jesu ist eingebettet in eine Familiengeschichte, sie ist vorbereitet. Wie auch wir uns auf Weihnachten vorbereiten. Gutzi, Geschenke und Genuss. Allerdings hat dieser Text wenig von Gemütlichkeit und Kerzenschein. Zu Recht, denn Jesus kam nicht in der warmen Stube zur Welt, sondern im Stall. Kein Märchenzauber, sondern ein harter Lebensanfang. Die Wirklichkeit des Lebens hat gerade an Weihnachten auch ihren Platz.
Die Kraft des Lebens
Weihnachten ist nicht Sage oder Mythos, sondern ein Geschehen in Raum und Zeit und darum lokalisierbar. Lokalisierbar heisst nicht unbedingt fassbar. Ob die Geburt Jesu davon erzählt, wie Gott wirklich und wahrhaftig in diese Welt kommt, das ist natürlich eine Sache des Glaubens, letztlich nicht erfassbar. Gott ist grösser als unsere Fragen. Und doch erzählt die Bibel, dass sich Gott im Menschlichen verwurzelt. Sogar Mensch wird, zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort, eingebettet in eine Liste von Vorfahren. Jesus ist ganz normal auf die Welt gekommen mit Wehen und allem.
Abraham zeugte Isaak, Isaak zeugte Jakob. Die Einbettung in den Kreislauf von Zeugen und Gebären. Vorwärtsschauend, die immer wieder neue Hoffnung der nächsten Generation wird angetönt. Wie bei uns, wenn wir uns an den Kindern in unseren Familien erfreuen. Das Auf und Ab der Geschlechter schimmert durch diese Zeilen. Gute Zeiten – schlechte Zeiten. Dahinter die Kraft des Lebens.
Das Vorwärtstreibende ist im ständig wiederholten Wort «zeugte, zeugte, zeugte» gefasst. Damit ist natürlich einerseits das rein Biologische im Blick. Es ist nicht von Bienchen die Rede, sondern von der Vereinigung zweier Menschen – von Same und Ei. Boas zeugte Obed mit Rut.
Aber Kinder gedeihen nicht im luftleeren Raum. Sie werden Teil einer Gemeinschaft, das war damals so und ist heute noch so. Darum ist zeugen nicht nur leiblich gemeint. Es kann auch die Ziehfamilie sein, die das Zuhause spendet. In diesen urmenschlichen Zusammenhang von Leben und Überleben wird Jesus geboren. Seine Lehre und sein Leben sind nicht vom Himmel gefallen, sondern sind eingebettet in Freud und Leid, in familiäre Tief- und Höhepunkte. Er ist Teil menschlicher Geschichte von Grosszügigkeit und Neid, Abscheulichem und Herzerwärmendem. Das Leben findet statt. Beziehungen, die gelingen und solche, die scheitern. Das ist die Voraussetzung für alles, was Jesus tun und sagen wird. Die Komplexität menschlichen Lebens ist angetönt in dem kleinen Wort zeugte. Elend und überströmendes Glück. Hoffnungen, die sich erfüllt, andere, die sich zerschlagen haben.
Vier Frauen – ein Statement
Auch wir geben Leben weiter. In unserer Zeit, in der sich vieles ändert , teils zum Guten, teils zu weniger Gutem. Das wirft Fragen auf. Gerade die junge Generation macht uns darauf aufmerksam, dass wir den Lebensraum zum Wohl vieler gestalten müssen. Es gelingt uns aber nur da und dort. Es bräuchte eine neue Bescheidenheit und freiwilligen Verzicht. Und wenn nicht alle wollen? Bei uns kommt ja nicht nur das Essen, sondern auch der Genuss vor der Moral. Was bleibt? Dass wir neu entdecken, worum es wirklich geht im Leben? Das Wohl der kleinen Kinder heute und morgen? Das wäre auch ein Wunder! Eliud zeugte Eleasar. Eleasar zeugte Mattan. Mattan zeugte Jakob.
Wie so oft bei alten Texten kommen die Frauen etwas zu kurz. Gerade die Mütter, die doch die meiste Arbeit haben und am wenigsten Dank erhalten. Immerhin tauchen vier Frauen auf. Eine aussergewöhnliche Auswahl, die selber schon ein Statement ist.
Es werden nicht die grossen Stammesmütter wie Sara oder Rebekka oder tapfere Heldinnen wie Jaël erwähnt. Nein, es sind Tamar, Rahab, Ruth und Batseba.
Tamar, die von ihrem Schwiegervater betrogen wird und ihn betrügen wird. Rahab, die Prostituierte, die Fremden Schutz vor ihrem eigenen Volk bietet. So betrügt sie die einen und rettet die anderen. Sie steht am Schnittpunkt zwischen Schuld, die wir alle auf uns laden, aber auch der Sehnsucht nach Frieden.
Die nächste ist Ruth, wieder eine Fremde, die eigentlich nicht dazugehören sollte – aber sie gehört in den Stammbaum Jesu! Sie fasst die liebende, mutige Entscheidung, bei ihrer verarmten Schwiegermutter Noemi zu bleiben. «Wo du hingehst, da gehe ich auch hin. Wo du bleibst, da bleibe ich auch. Dein Volk ist mein Volk und dein Gott ist mein Gott.» Wo findet man grössere Treue als bei Ruth!
Als letzte Batseba, wobei ihr Name nicht genannt wird. Nur David wird genannt. Der König, der Frieden und Wohlstand brachte. Aber die Bibel verschweigt nicht, dass auch der Glaubensheld alles andere als fehlerlos ist. David handelt verwerflich. Nicht nur, dass er Salomon mit der Frau des Uria zeugt. Noch schlimmer ist, dass er Uria in den sicheren Tod schickt, um den Skandal zu vertuschen. Die Mächtigen verloren schon damals schnell die Moral, wenn ihr Ruf auf dem Spiel stand. Ein Ehebruch und eine hässliche Blutschuld zerbrechen die ruhige Generationenfolge. Wie in jeder Familiengeschichte kommen Schuld und Treue zusammen. Damit wird das Einmalige vorbereitet. Das Wunder geschieht dort, wo menschliche Schwäche durch Gottes Kraft aufgehoben wird.
Gott schafft Unerwartetes
Und so ändert die Formulierung zum Schluss: Jakob zeugte Josef, den Mann Marias; von ihr wurde Jesus geboren. Jesus ist der Sohn Josefs, denn der Zimmermann schafft ihm Lebensraum, Nahrung und – damals ganz wichtig – Ehre. So gesehen ist Josef der Vater. Oder doch nicht? Ganz zurückhaltend wird das Wunder nur angedeutet. Im Bibeltext ist nichts von einem Glaubensdogma zu spüren. Kein Zwang, hier an Göttliches zu glauben. Das Wort Jungfrauengeburt fällt nicht. Keine Lehrsätze, an welchen man den rechten Glauben messen könnte. Hier herrscht ein anderer Ton, genauer gesagt herrscht Stille. Es spricht die stille, heilige Nacht. In der Formulierung schimmert ein undurchdringliches Geheimnis. Jesu Stammbaum wird aufgebrochen. Jesu Geburt hängt nicht an männlicher Zeugungskraft. Göttliches im Allzumenschlichen. Erfüllung im Unerfüllten.
So wird uns eine Hoffnung gegeben, die über das uns Mögliche hinausweist. Streben, Sehnen, Schmerz und Seligkeit. Das ist unsere Realität, wir geben uns Mühe und haben Mühe. Dort, wo das Gelingen hinter dem Potenzial herhinkt, gibt es nun Hoffnung. Dort, wo nicht alles eingelöst ist, wo menschliches Leben an der Erfüllung vorbeischrammt, dort schafft Gott Unerwartetes. Dort, wo unser Streben nicht ans Ziel führt, wo sich im Gegenteil die Frage stellt, wohin das alles führen wird, kommt Gott in die Welt hinein. In der Geburt, im Leben, Sterben und Auferstehen von Jesus Christus wird eingelöst.
Erlösung. Eine Lösung, die über Völkergrenzen und ungute Verstrickungen hinausgeht. Versöhnung, die tiefer geht als unser Versöhnungswunsch. Von Gott gegeben, indem er sich selbst gibt. In dieser Nacht. Gott wird Mensch – unfassbar, aber anfassbar – als kleines Kind in Windeln. Ein Friedensfürst. Eine Einladung, sich nicht über die Göttlichkeit Jesu zu ärgern, sondern sich an der Menschlichkeit Gottes zu freuen.
Eric Hub ist Pfarrer der Reformierten Kirchgemeinde Gelterkinden.