Wenn die Angst den Schwanz einzieht
03.12.2019 Bezirk Sissach, Rothenfluh, GesellschaftBesuch beim «Dog Coach» mit Wau-Effekt
Sich pudelwohl fühlen mit Hunden? Für Hundephobiker unvorstellbar. Die Furcht vor Vierbeinern dominiert den Alltag der Betroffenen und schränkt sie zunehmend ein. Die «Dog Coaches» Oliver Weber und Ana Lienert entwickeln Lösungswege, die ...
Besuch beim «Dog Coach» mit Wau-Effekt
Sich pudelwohl fühlen mit Hunden? Für Hundephobiker unvorstellbar. Die Furcht vor Vierbeinern dominiert den Alltag der Betroffenen und schränkt sie zunehmend ein. Die «Dog Coaches» Oliver Weber und Ana Lienert entwickeln Lösungswege, die Betroffene aus der Angst führen.
Nelly Anderegg
Hier bin ich richtig. Gleich drei Hunde begrüssen mich, als ich am Gartentor des Trainingszentrums der «Dog Coaches» stehe und mich Oliver Weber und Ana Lienert hereinbitten. Ein besonderes Interesse an meiner Person scheinen die Vierbeiner jedoch nicht zu haben, denn das Trio zottelt gleich wieder ab und verteilt erst einmal Pipi im Garten.
Dass Hunde auf mich mit Desinteresse reagieren, kenne ich schon, und ich nehme es nicht persönlich. Vielleicht liegt es daran, dass ich auf einem Bauernhof aufgewachsen und an Tiere jeglichen Kalibers gewöhnt bin. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass die Hunde gut sozialisiert sind und gelassen auf fremde Menschen reagieren. Sie sind schliesslich «Coach Dogs», Hunde für das Angst-Training.
Chira, ein Shetland Sheepdog, sieht aus wie die kleine Version von «Lassie». Die zwei Kurzhaar-Mischlingsrüden Pituffo und Mütze, der eine mit grauem, der andere mit weissem Fell, reichen mir knapp unters Knie. Wie die drei Hunde und die «Dog Coaches» arbeiten, werde ich an diesem kalten Novembernachmittag noch erfahren. Denn gleich kommt Marie vorbei. Das fünfjährige Mädchen stellt sich heute einer neuen Herausforderung: einem Spaziergang mit drei Hunden. Das hat sie selber so entschieden.
Wissen besiegt Angst
Um sich von seiner Angst vor Hunden zu befreien, kommt das Kind seit einem halben Jahr nach Rothenfluh zu den «Dog Coaches». Oliver Weber und Ana Lienert trainieren zusammen mit Mia Wunderskirchner Menschen, die an einer Hundephobie leiden. In Einzelsettings bauen sie Ängste ab und vermitteln Wissen über das Verhalten und den Umgang mit Hunden. Ausserdem resozialisieren sie Hunde, die Ticks oder eine Zwangsstörung entwickelt haben.
Marie ist mit ihrer Mutter Anita und dem achtjährigen Bruder Paul (Namen geändert) aus Liestal angereist. Marie steigt ohne Scheu aus dem Auto, obwohl sie weiss, dass sie gleich auf Hunde treffen wird. Noch vor Monaten ein Horrorszenario für das Kind. Denn auf 50 Meter Distanz haben Hunde das Mädchen paralysiert. Zuletzt auch auf dem Kindergartenweg. Für die Eltern war klar: Das Kind braucht Hilfe.
Die Hunde schnuppern, Marie sucht etwas Schutz bei ihrer Mutter. Zuletzt waren sie vor sechs Wochen hier. Bewusst ruhig atmen und woanders hingucken: Das ist eine Verhaltensregel beim Hundekontakt, die Marie bereits gelernt hat. Die Kindergärtlerin fühlt sich bei Weber und Lienert sicher. Sie weiss, dass die Hunde aufs Wort gehorchen und sie sich darauf verlassen kann, dass nur das geschieht, was sie zulassen möchte. «Das Trainingstempo bestimmt der Klient», erklärt Weber, «so er hat die Kontrolle über die Situation.»
Nachdem man sich eine Weile beschnuppert hat, geht es auf einen gemeinsamen Spaziergang. Die Therapie findet unter realen Bedingungen statt. Paul nimmt Mütze an der Leine, Marie geht das erste Stück des Weges erst einmal an der Hand ihrer Mutter mit. Die «Dog Coaches» führen Pituffo und Chira so, dass Marie sie im Blickfeld behalten kann. «Sicherheit ist unsere oberste Prämisse», sagt Lienert, «deshalb sind wir ab zwei mitgeführten Hunden auch immer im Duo unterwegs.»
Marie fühlt sich inzwischen wohl und möchte Chira nun führen. Die zarte Hundedame ist unaufgeregt, das überträgt sich auch auf das Mädchen. Die Leine hängt locker durch, ein gutes Zeichen, meint Weber. Beim Gehen mit dem Hund lösen sich Blockaden besser, Energien fliessen im Körper, so die Strategie dahinter. Erwachsene und auch Kinder erzählen dabei gerne. Deshalb ist ein Spaziergang fester Bestandteil jedes Trainings.
Erfolg mit Foto festhalten
Warum Marie eine Hundephobie hat, wissen ihre Eltern nicht. Nur, dass eine Tante ebenfalls Hundephobikerin ist. Laut Weber und Lienert müssen einer Phobie nicht immer traumatische Ereignisse wie ein Hundebiss zugrunde liegen. Möglicherweise hat Marie eine Veranlagung zur Entwicklung einer Angst. Man nennt dies Prädisposition, wie es zum Beispiel bei Allergien bekannt ist. Dies heisst nicht mehr, als dass diese Personen eine höhere Wahrscheinlichkeit haben, im Laufe ihres Lebens eine Angststörung zu entwickeln.
Nach einer Stunde Gassi gehen machen wir einen Halt beim Foto-Stein. Hier posieren Kinder und Hunde für einen Erinnerungsschnappschuss. «Ein Foto ist wichtig, um die eigenen Fortschritte auch bildlich festzuhalten», sagt Weber dazu. Auch Paul ist mit auf dem Bild. Er vermittelt seiner Schwester ein Gefühl von Normalität und Sicherheit.
Auf dem Rückweg ist Marie so entspannt, dass sie sich traut, gleich zwei Hunde an der Leine zu führen. Mutter Karin ist gerührt. «Da geht mir gleich das Herz auf.» Ein Meilenstein.
«Für solche Momente machen wir das hier. Das ist unbezahlbar», meint auch «Dog Coach» Weber. Er weiss, dass Marie Lebensqualität zurückgewinnt, je mehr sie ihre Angst loslassen kann. Denn diese wirkt sich auch auf andere Lebensbereiche aus: Der Schulweg wird zum Spiessrutenlauf oder der Spielnachmittag beim «Gspänli» kann nicht stattfinden, weil die Familie einen Hund hat. Auch Erwachsene mit einer Hundephobie sind stark in ihrem Bewegungsradius eingeschränkt. Das kann existenzielle Folgen haben, wenn der Beruf darunter leidet. Weber hat das schon erlebt.
An diesem Nachmittag kann Marie einen weiteren Erfolg für sich verbuchen. Sie streichelt erstmals einen der Hunde. So viel Nähe konnte sie bisher nicht zulassen. Die Hundeliebe auf den zweiten Blick, ob es die gibt? Vielleicht.