Mit dem Brett in die Gesellschaft
12.12.2019 Baselbiet, Weitere Sportarten, Bildung, SportSnowboard-Pionier Bernhard Kobel hat Ausgrenzung erlebt
Die Zeiten, als Snowboarder nicht auf Skilift und -piste durften, sind lange vorbei. Pionier Bernhard Kobel erinnert sich an die Schwierigkeiten, Akzeptanz für seine Sportart zu finden, und gibt seine Erfahrungen mit Ausschluss und ...
Snowboard-Pionier Bernhard Kobel hat Ausgrenzung erlebt
Die Zeiten, als Snowboarder nicht auf Skilift und -piste durften, sind lange vorbei. Pionier Bernhard Kobel erinnert sich an die Schwierigkeiten, Akzeptanz für seine Sportart zu finden, und gibt seine Erfahrungen mit Ausschluss und Integration weiter.
Sebastian Wirz
«Snowboarden ist wie Rhein-Schwimmen. Man muss mit dem Fluss gehen», sagt Bernhard Kobel und schaut in die Runde. Ihm entgegen blicken Schülerinnen und Schüler des Basler Zentrums für Bildung sowie deren Lehrpersonen. «Es war bestimmt jeder schon mal im Rhein, oder?» Im Raum vermischt sich zustimmendes Nicken mit dem von Teenagern der Sekundarstufen zu erwartenden Mass an Desinteresse. Der in Hemmiken wohnhafte Kobel steht als Zeitzeuge vor den Schülern, als Vermittler des Portals «Swiss Sports History» (siehe Kasten), als Pionier des Snowboardsports in der Schweiz.
Kobel ist im Bernbiet geboren, wuchs aber mehrheitlich im Ausland auf. In Peru sprach er anfänglich kein Spanisch und hatte Mühe, sich zu integrieren. Als die Familie nach Mexiko weiterzog, war es nicht viel besser. Kobel sprach nun zwar Spanisch, wurde aber wegen Aussprache und Wortwahl ebenso ausgelacht wie wegen seines Erscheinungsbilds: «Mit 11 Jahren war ich schon über 1,60 gross», sagt Kobel. Der Schweizer fühlte sich als Aussenseiter. Bis ihm ein kleines Brett mit vier Rädern die Integration erleichterte. Er begann zu skaten. «Erst über das Skateboard und anderen Sport wurde ich Teil einer Gruppe.»
Das Themengebiet «Ausschluss und Integration» ist eines der Kerngebiete von «Swiss Sports History». Die Sportgeschichte führt uns vor Augen, wie Bevölkerungsgruppen ausgeschlossen werden, wenn zum Beispiel Frauen nicht Fussball spielen durften oder dürfen. Zugleich kann der Sport integrativ wirken, wenn beispielsweise Flüchtlinge in einem Verein Sport treiben.
Streit mit dem Liftbetreiber
Bernhard Kobel hat zum Thema nicht nur seine Jugendgeschichte mit dem Skateboard zu erzählen. Zurück in der Schweiz, lernt der Teenager Skifahren. Es will nicht recht funktionieren, er ist frustriert. In dieser Situation stösst er im Januar 1981 auf sein erstes Snowboard – es gibt keine Bindung auf dem Brett, dafür eine Kordel mit Griff. «Vom Skaten und Surfen her war diese seitliche Bewegungsform für mich viel natürlicher», sagt Kobel.
Doch damit war nicht die Lösung, sondern das Problem geboren: Die Betreiber wollten die Snowboarder nicht auf ihrem Lift und ihren Pisten haben. Zu gefährlich. Kobel kann die Skepsis heute verstehen. «Der Lift ist nicht gemacht fürs Snowboard. Die Betreiber hatten Angst, dass wir vom Lift fallen, abrutschen und mit Skifahrern zusammenstossen.» Damals brachte er weniger Verständnis dafür auf, musste sich dem Verbot aber fügen – und bewies Köpfchen. Zu Hause holte er die alten Skier der Grosseltern aus dem Keller und sägte sie kurzerhand ab. Mit den «Kürzestski» an den Füssen und dem Snowboard am Rücken ging es den Skilift hoch, oben wechselten Ski und Board die Plätze. «Wir haben in der Folge Regeln etabliert, etwa dass die hintere Bindung auf dem Brett geöffnet werden muss. So durfte man auf den Lift», sagt Kobel.
Die Message gegenüber den Schülern in Basel ist klar: «Ich musste einen Schritt auf die anderen zugehen, obwohl ich nichts falsch gemacht hatte», sagt Kobel und animiert die Schüler zu einer Diskussion über Ausgegrenztsein und Integration. Der Ball wird aufgenommen, einzelne geben einen Einblick in ihre Erlebnisse. Der Sport als Beispiel für Inklusion und Exklusion – es scheint zu funktionieren.
Kobel und seine Weggefährten stehen am Anfang der Schweizer Snowboardszene. «Wir waren Burton-Leute, fühlten uns als Teil dieses Clans», sagt der Hemmiker. Auf seinen Reisen hatte er Kontakt mit Jake Burton Carpenter, einem der Väter des modernen Snowboards. Kobel wollte sich mit dem Import von Burton-Boards gar selbstständig machen, aber «die 50 000 Franken für eine GmbH hatte ich nicht und mein Vater war nicht gerade begeistert von der Idee». Dafür berieten Kobel und seine Freunde Ski- und Schuhhersteller, die auf den Zug aufsprangen, als das Snowboarden populärer und damit wirtschaftlich lohnend wurde.
Mit Druck auf dem Trampolin
Seither hat sich das Snowboarden stark verändert.Vom freien Lifestyle der ersten Boarder ohne Bindung und mit Kordel bewegte sich die Disziplin bis in die 1990er-Jahre immer weiter in Richtung kompetitive Sportart und ging schliesslich im internationalen Skiverband FIS auf. Als Snowboarder der ersten Stunde und alten Schule hatte Kobel seine Mühe damit. Er befürchtete, dass das Skifahren im Verband dominieren würde.
Zuletzt waren es aber nicht die Ski-Funktionäre, die das Boarden veränderten, sondern Wettkampf, Professionalisierung und Kommerz. Als Beispiel, welche riesige Entwicklung der Sport auf höchstem Niveau in kurzer Zeit durchgemacht hat, können die beiden Schweizer Halfpipe-Olympiasieger Gian Simmen (Nagano 1998) und Iouri Podlatchikov (Sotschi 2014) dienen: Die Bilder, auf denen sich Simmen in einer kleinen Halfpipe in einem Sprung zweimal um die eigene Achse dreht, dabei seine Kappe verliert und Gold gewinnt, scheinen uralt. 2014 sprang Podlatchikov doppelt so hoch, drehte sich zusätzlich noch zweimal kopfüber – und trug selbstverständlich einen Helm.
Snowboard-Tricks entstehen nicht mehr beim lustvollen Ausprobieren auf der Piste, sondern auf dem Trampolin und in der Sprunggrube einer Kunstturnhalle. Bei aller Bewunderung für die Fähigkeiten der Spitzenfahrer bedauert Kobel diese Entwicklung. «Heute trainieren 6-Jährige in der Halle, um sich Tricks anzueignen. Die sollten doch draussen sein, sollten mit Freunden auf dem Brett stehen.» In unserer Gesellschaft sei der Leistungsdruck schon gross genug. Da sollte der Sport Spass machen und dafür sorgen, dass sich Menschen treffen. «Er soll ein Ventil sein, nicht zusätzlichen Druck erzeugen.»
Bernhard Kobel fährt immer noch Snowboard. «Es ist und bleibt meine Leidenschaft», sagt der 61-Jährige. Doch von den Profis ist seine Welt weit entfernt. Entsprechend klar antwortet er auf die Frage, in welcher Disziplin des modernen Snowboardens er sich sehe: im Riesenslalom, im Boarder-Cross oder in der Halfpipe? «Ausserhalb der Piste.»
Swiss Sports History
wis. Ziel von «Swiss Sports History» ist es, Sportgeschichte zu erforschen, zu bewahren und zu vermitteln. Durch die Vernetzung von Institutionen, die sich mit Sportgeschichte beschäftigen, und deren Quellenbeständen ist die Plattform für Forschende und Medien geeignet. In Sachen Bewahrung bieten die Initianten Verbänden oder Vereinen Beratung bei der Archivierung der eigenen Vergangenheit an. Im Rahmen der Vermittlung finden unter anderem Besuche von Zeitzeugen bei Schulen wie jener in Basel (siehe Haupttext) statt. «Swiss Sports History» organisiert eine auf die jeweilige Stufe zugeschnittene Präsentationsform und führt vor der Klasse ein Gespräch mit einem Zeitzeugen durch. Auch ohne Zeitzeugen-Gespräch ist es für Schulen möglich, Unterrichtsmaterial zu erhalten. Die digitale Plattform wird auf Französisch und Deutsch geführt.