«Unsere Gemeinde muss selbstständig bleiben»
12.12.2019 Bezirk Sissach, Häfelfingen, Porträt, Gemeinden, PolitikEugen Strub, 35 Jahre Gemeinderat und 20 Jahre Gemeindepräsident, tritt im Sommer ab
Eugen Strub wird sich im kommenden Sommer nach dannzumal 36 Jahren aus dem Häfelfinger Gemeinderat zurückziehen. Dass er ganze 21 Jahre lang die Gemeinde geführt haben wird und dies ausserhalb seines ...
Eugen Strub, 35 Jahre Gemeinderat und 20 Jahre Gemeindepräsident, tritt im Sommer ab
Eugen Strub wird sich im kommenden Sommer nach dannzumal 36 Jahren aus dem Häfelfinger Gemeinderat zurückziehen. Dass er ganze 21 Jahre lang die Gemeinde geführt haben wird und dies ausserhalb seines Dorfs kaum auffiel, liegt auch an seiner zurückhaltenden Amtsführung.
Jürg Gohl
Gut. Liedertswil und Kilchberg sind noch ein gutes Stück kleiner. Doch wer Häfelfingen besucht, definiert den Begriff «abgelegen» ab sofort neu. Zuerst erreicht man das 255-Seelen-Dorf an der Nordwestflanke des Wisenbergs, das praktisch keinen Durchgangsverkehr kennt. Dort führt der Weg an der zu einer Bibliothek umfunktionierten Telefonkabine und bald an den letzten Häusern vorbei hinauf auf die Hochebene.Von dort aus geht es über einen 1,2 Kilometer langen Feldweg zum Bauernhof, der, eingebettet in Jurahügel, von Eugen Strub und seiner Familie in vierter Generation bewirtschaftet wird. «Am Ende der Welt», habe es einmal einer seiner beiden Söhne fast wörtlich definiert. Nur habe er anstelle von «Ende» ein kräftigeres, nicht druckreifes Wort benutzt.
Mattenhof heisst der Landwirtschaftsbetrieb offiziell, doch in der Region spricht man nur vom «Buebeloch», weil auf dem Hof über Generationen immer nur Buben zur Welt gekommen sind. Erst Eugen Strub und seine Frau, die SVP-Landrätin Susanne Strub, änderten das. Neben zwei Söhnen stellten sich zwei Töchter ein.
In 80 Jahren vier Präsidenten
Ein Stück weit habe die abgeschiedene Lage auch dazu beigetragen, dass sich ihr heute 62-jähriger Ehemann so lange für den Gemeinderat zur Verfügung stellte, erzählt Susanne Strub. «Vor den Erneuerungswahlen habe ich ihn jeweils dazu ermuntert», sagt sie, «damit er unter die Leute kommt.»
In die Exekutive geholt hat ihn aber sein Vorvorgänger. Hans Müller, als Gemeindepräsident in Häfelfingen ebenfalls eine Ikone, fragte den damals 27-jährigen Eugen Strub an, ob er sich nicht als Gemeinderat zur Verfügung stellen könne. Denn es sei im Dorf Tradition, dass immer ein Bauer im Dreiergremium sitzt. Strub, der damals keiner Partei angehörte und auch bis heute nicht, sagte zu und war keine 48 Stunden später gewählt. «Das war damals noch möglich», sagt Strub, «weil alle an der Urne wählten.»
Als 1999 Hansjürg Nebiker kurzfristig als Gemeindepräsident zurücktrat und Strub deshalb als Vize die nächste Gemeindeversammlung leiten musste, lag es auf der Hand, dass er das Präsidium übernahm. Dass dies in eine 21-jährige Epoche münden würde und dass Strub dereinst als aktuell dienstältester Gemeindepräsident des Baselbiets abtreten wird, ahnten damals weder er noch die anderen Häfelfinger Einwohner.
Wobei: Auch wenn sein Vorgänger «nur» sieben Jahre den Rat präsidierte, so scheint der Durchhaltewille eine Häfelfinger Tugend zu sein. Denn in den vergangenen 80 Jahren sassen dort nur vier verschiedene Männer am Kopf des Gemeinderatstisches.
Wenn aber das Stichwort «Sesselkleber» fällt, das unweigerlich in der Luft hängt, setzt er sich, wie es seine Art ist, ruhig, aber entschieden zur Wehr: Bereits vor acht Jahren habe er den anderen Räten sein Amt angeboten und zurücktreten wollen. Alle lehnten dankend ab. Und auch die Einwohner wählten ihn jedes Mal mit einem Spitzen-, wenn nicht mit dem Bestresultat für vier weitere Jahre. «Gäll, du machst es doch noch einmal», wurde er auf den Strassen angesprochen, wenn wieder einmal Wahlen anstanden. «Natürlich gibt es immer drei oder vier, die dich auf den Mond schiessen wollen», sagt Strub, «aber ich darf sagen, dass ich immer grossen Rückhalt genoss.»
Glück bei zwei Schicksalsschlägen
Zwei private Schicksalsschläge hätten gleichwohl beinahe zu einem früheren Rücktritt geführt. Zuerst erkrankte seine Tochter schwer, was den Landwirt und Gemeindepräsidenten zeitlich und vor allem psychisch stark belastete. Danach brach vor drei Jahren bei der Apfelernte eine Leitersprosse unter seinem Fuss, und er zog sich beim Sturz erhebliche Verletzungen zu. Dank der Familie, Glück und dem Gemeinderatsteam meisterte er diese beiden Situationen. «Dass ich in meiner Präsidialzeit stets zwei loyale und leistungsbereite Gemeinderatsmitglieder zur Seite hatte, erleichterte mir meine politische Arbeit sehr», sagt Strub. In dieses Lob schliesst er ausdrücklich auch seine Gemeindeverwalterin ein.
Gemeinderat Rainer Feldmeier reicht die Blumen zurück. Er weiss nicht wo beginnen, wenn er die Stärken des Noch-Präsidenten aufzählen soll. «Neben seinem Einsatz an allen Fronten ist es in meinen Augen sein grösstes Verdienst, dass wir bei uns einen respektvollen Umgang pflegen», sagt Feldmeier, der im Sommer Strub beerben wird, so ihn die Einwohner wählen. «Das liegt auch an seiner zurückhaltenden Art. Er hat das Herz am rechten Fleck und nimmt sich selber nicht zu wichtig.»
Alle im Dorf packen selber an
Äussere Zeichen für das intakte Dorfleben sind etwa an den Gemeindeversammlungen in der «Alten Latärne» zu beobachten. Daran nimmt, wenn ein spannendes Traktandum ansteht, bis zu einem Drittel der 190 Stimmberechtigten teil. Möchte Muttenz, die grösste Baselbieter Gemeinde ohne Einwohnerrat, das Gleiche von sich behaupten können, so fänden die Versammlungen dort vor 4000 Personen statt. In Sissach wären es rund 1500. Auch gehört es in Häfelfingen zu den Gepflogenheiten, dass jeder Eintretende den drei Gemeinderäten die Hand schüttelt.
«Nie artete eine Versammlung aus, nie kamen wir in den Medien», blickt Strub mit Stolz zurück. Er und sein designierter Nachfolger wissen, dass ihre kleine Gemeinde nur am Leben erhalten werden kann, wenn alle zum Dorfleben Sorge tragen und sich möglichst viele in den Dienst der Öffentlichkeit stellen. Während andernorts zum Beispiel professionelle Abwartsdienste bestehen, packen in Häfelfingen Freiwillige für ein kleines Entgelt an. So ist der Gemeindepräsident selber als Strassenchef frühmorgens schon mehrfach zum Frondienst ausgerückt, wenn nach Unwettern die Strassen gangbar gemacht werden mussten.
Leben und Kindergeschrei gesucht
Genau zu diesem Geist gilt es Sorge zu tragen. Häfelfingen zählt heute zehn aktiv bewirtschaftete Bauernhöfe und 255 Einwohnerinnen und Einwohner. Vor zehn Jahren waren es 270 und vor 150 Jahren sogar über 300. «Wir wollen nicht gewaltsam grösser werden, aber wir wollen für Zuzüger attraktiv bleiben», sagt Strub, der alles daransetzt, dass die Jungen im Dorf wohnhaft bleiben: «Wir brauchen Kindergeschrei und Leben im Dorf.» Ihm ist es dort manchmal zu ruhig und idyllisch.
So steht er dem Ziel der nationalen Raumplanung, das Bauen in ländlichen Gebieten einzuschränken und das Wohnen in die urbanen Gebiete zu verlegen, sehr kritisch gegenüber. Seine Ratskollegen und er kämpfen dafür, dass die Schule im Dorf bleibt.
Und weil sein Häfelfingen die am schlechtesten mit dem öffentlichen Verkehr erschlossene Gemeinde des Baselbiets ist, setzte man auf Eigeninitiative, richtete in Rümlingen ein Mitfahr-Bänkli ein und fand mit Nachbargemeinden eine Möglichkeit, sich der Buslinie 109 zum Bad Ramsach anzuhängen. Das Kurhotel ist ein weit herum bekannter Ausflugsort und die mit Abstand wichtigste Einrichtung des Dorfs.
Auch wehrt er sich gegen Gemeindefusionen und lobt dafür die Zusammenarbeit im Tal. Diese sei «unheimlich gut». Sie betrifft die Bereiche Spitex, Schule, Kirche, Forstwesen, Schiesswesen, Zivilschutz, Notschlachtstelle, Wasserverbund und Altersheim. Nachbar Buckten führt ihre Kasse. «Wichtig ist dabei, dass unsere Gemeinde politisch selbstständig bleibt», sagt er. Die neu erwachende Idee eines Juraparks fällt bei ihm hingegen durch: zu viel Bürokratie und Vorschriften statt Eigeninitiative.
Vielleicht mal Ferien
Falls es dieses Thema dereinst wieder auf die Traktandenliste schafft, werde er sich bestimmt zu Wort melden, dannzumal als gewöhnlicher Einwohner. Dass er an der ersten Gemeindeversammlung nach den nächsten Sommerferien teilnimmt, steht für ihn ausser Frage – einfach in einer hinteren Reihe sitzend statt – wie in den vergangenen 36 Jahren – am Ratstisch. «Aber keine Angst. Ich mische mich nicht überall ein», entwarnt er, «ich bin überzeugt, dass ich dem neuen Rat eine – auch finanziell – intakte Gemeinde übergebe und dass er sorgsam zu ihr schauen wird.»
Wenn im kommenden Sommer das Präsidium wegfällt, bedeutet dies für das Familienleben den zweiten Einschnitt innert kurzer Zeit. Vor zwei Jahren haben die Strubs ihren Betrieb von Milchwirtschaft auf Muttertierhaltung umgestellt – wirtschaftliche Zwänge und Eugen Strubs schwerer Unfall hatten dazu den Ausschlag gegeben. «Ich habe den Eindruck, dass er diese Umstellung gut bewältigt hat», sagt Feldmeier, «denn Milchwirtschaft bedeutet auch, dass 365-mal im Jahr der Wecker um 4.30 Uhr rasselt – auch nach langen Gemeinderatssitzungen.»
Vielleicht, sagt der abtretende Präsident zögerlich, vielleicht nutze er die gewonnene Zeit auch mal für Ferien, und irgendwann fällt im «Buebeloch» sogar vorsichtig das Stichwort Kanada. «Ferien waren bisher sehr rar», sagt er und weist auch darauf hin, dass die Entschädigung für den Präsidentenposten in einem Oberbaselbieter Bauerndorf keine grossen Sprünge zulässt. «Aber Susanne und ich haben seit 30 Jahren unsere Hochzeitsreise ausstehend.»