Die Wasservögel sind ausgeflogen
19.11.2019 Baselbiet, NaturSabri Dogan
Sie stehen da. Am Treffpunkt in Sissach. 16 Männer und Frauen unterschiedlichsten Alters. Mit Vollmontur wie auf einer Bergtour. Feste Wanderschuhe, Regenjacke und Regenhose, Kopfbedeckung von der traditionellen Wollmütze bis zum ausgefallenen Australienhut. ...
Sabri Dogan
Sie stehen da. Am Treffpunkt in Sissach. 16 Männer und Frauen unterschiedlichsten Alters. Mit Vollmontur wie auf einer Bergtour. Feste Wanderschuhe, Regenjacke und Regenhose, Kopfbedeckung von der traditionellen Wollmütze bis zum ausgefallenen Australienhut. Etwas darf bei den meisten nicht fehlen. Das Arbeitsgerät schlechthin. Ein Feldstecher. Szenen wie bei Indiana Jones.
Es gilt, den bereits winterlichen Temperaturen zu trotzen. Die Kälte macht sich langsam unter den Thermohosen bemerkbar. Aufbruchstimmung ist angesagt. Niggi Lang, der Ornithologe des Vereins schlechthin, bildet zwei Gruppen und erklärt kurz das Ziel: «Wir zählen die typischen Wasservögel. Wie jedes Jahr seit 50 Jahren wollen wir wissen, ob sich die Wasservögel an unseren Gewässern wohlfühlen.» Der Startschuss fällt, wir machen uns auf den Weg.
Griff zum Feldstecher
Die eine Gruppe geht entlang der Ergolz von Gelterkinden nach Sissach, die andere von Liestal zum Ausgangspunkt in Sissach. In Liestal gibt es bereits erste Hürden. Die Schnellstrasse mit grossen Pfeilstützen ist eine davon. Dunkle Unterführungen säumen die Route. Häuser rundum unterbrechen die direkte Passage längs des Flusses. Corinne Küppers, die Gruppenleiterin seufzt: «Der Tierwelt schadet es nicht gross, aber es ist nicht schön anzuschauen.» Die Unterführungen sind nicht beleuchtet. Wasservögel sind noch Mangelware in Liestal und Lausen. Die Gruppe vertreibt sich die Zeit mit Gesprächen. Hornissennester von Menschen platziert? «In Deutschland auf der Höhe von Augst gibt es die», sagt Thomas Aebischer. Erste Regentropfen perlen von den Jacken ab. Später folgen Schneeflocken.
Bei Lausen dann Abenteuer pur. Corinne Küppers erklärt: «Wir müssen ein Stück die Ausfahrt der Schnellstrasse runter. Dort gibt es einen Eingang zur Ergolz.» Mulmiges Gefühl. Die Gruppe scherzt, ob es überhaupt legal sei, hier zu spazieren. Schnell zwängen sich alle am Tor vorbei. Dann beginnt der landschaftlich schöne Teil der Ergolz. Vorher konnte man vereinzelte Stockenten beobachten. Jetzt zückt die Gruppe öfters den Feldstecher. Corinne Küppers weiss: «Seit ich die Vögel auf den schönen Wanderungen beobachten kann, haben sich meine Sinne geschärft. Ich höre verschiedene Naturgeräusche, und selbst die Vögel kann ich von weitem erkennen.»
Besorgniserregende Studien
Plötzlich erklingt das Wort «Eisvogel». Alle schauen in die gleiche Richtung. Der Eisvogel erholt sich in der Region gut, aber er ist immer noch eine Seltenheit. Das Herz der Vogelkundler scheint höher zu schlagen. Daniel Schmutz, der Präsident des Vereins, sieht die Vogelwelt in der Region nicht gefährdet, aber er macht sich Sorgen: «Die Insektenpopulation stirbt langsam aus.» Studien aus Deutschland belegen einen über 66 prozentigen Rückgang. Für Schmutz gibt es diverse Gründe: «Die Landwirtschaft mit den Insektiziden, die vielen Überbauungen und die Klimaveränderung sind mögliche Faktoren.» Dann kann es durchaus passieren, dass der Fischbestand abnimmt. Corinne Küppers: «Mangel an Fischen kann wiederum bei Fischern Zorn auf den Kormoran auslösen, der ein guter Jäger ist.»
Der Biber wird zum Thema. Er soll zwischen Itingen und Sissach beheimatet sein. Niemand weiss genau wo. Zum Schutz der Biberfamilie gibt der Kanton keine Informationen weiter. Die Anzahl der Vogelsichtungen nimmt zu. Stockenten, die eleganten Graureiher, Eisvögel, Wasseramsel und Bergstelzen werden gesichtet. Für Ornithologe Niggi Lang eine gute Nachricht: «Die Zahl der Vögel bewegt sich trotz harten Wetterbedingungen im normalen Rahmen.»
Wir nähern uns langsam dem Ziel in Sissach. Während des letzten Halts beim Holzdepot entdecken wir eine improvisierte Feststelle. Bierflaschen und viele Zigarettenstummel liegen herum. Für Vizepräsident und Lehrer Thomas Werthmüller aus Sissach eine gefährliche Situation: «Wenn das Holzdepot brennt, wird es ungemütlich.» Die Kälte wird langsam durchdringend. Endlich da. Die warme Stube des Cafés und die Verpflegung ermöglichten den Zählern eine wohlverdiente Pause. Niggi Lang freut sich auf die Resultate und über den Morgen: «Wir haben viele neue Leute und Interessenten begrüssen dürfen.» Denn es gibt auch tolle Ausflüge bei angenehmeren Temperaturen und mit mehr Vogelsichtungen.