Auf den Spuren Vergangenheit
08.11.2019 Bezirk Sissach, SissachAndreas Fischer von der Kantonsarchäologie Baselland nimmt uns auf eine spezielle Führung durch Sissach mit. Er beschreibt historisch wichtige und besonders interessante Fundstellen.
Andreas Fischer
Die Talebene von Sissach war seit der Jungsteinzeit ein beliebter ...
Andreas Fischer von der Kantonsarchäologie Baselland nimmt uns auf eine spezielle Führung durch Sissach mit. Er beschreibt historisch wichtige und besonders interessante Fundstellen.
Andreas Fischer
Die Talebene von Sissach war seit der Jungsteinzeit ein beliebter Siedlungsplatz. Spuren unserer Vorfahren haben sich vor allem auch auf den umliegenden Höhen erhalten.
Auf einer Wanderung von der Sissacher Fluh über die Ruine Bischofstein bis zur Kirche St. Jakob kommt man an spannenden Schauplätzen der Geschichte vorbei: prähistorischen Befestigungen, frühen Fluchtburgen und einst prächtigen Adelssitzen sowie den römischen und frühmittelalterlichen Wurzeln des Dorfes.
Anziehungspunkt Fluh
Startpunkt der rund sechs Kilometer langen Wanderung ist die Bushaltestelle Sissacher Fluh. Von hier aus führt uns der Weg in Richtung des weithin sichtbaren Fluhfelsens. Kurz bevor der Pfad zur Fluh abbiegt, durchschneidet die Strasse einen Geländerücken, der vor allem rechts deutlich hervortritt. In den 1920er-Jahren sowie 1936 fanden hier Ausgrabungen statt, die zeigten, dass die Menschen mehrfach diese natürliche Geländekante nutzten respektive erhöhten, um sich dahinter in Sicherheit zu bringen.
Die ältesten Funde weisen in die Zeit zwischen der mittleren und der späten Bronzezeit vor rund 3300 Jahren. In der Jüngeren Eisenzeit, genauer im 1. Jahrhundert v. Chr., wurde der Platz erneut aufgesucht: Die hier ansässigen Kelten vom Volk der Rauriker bauten einen Wall, der wohl ähnlich daherkam wie der bekannte murus gallicus auf dem Basler Münsterhügel.
Früher brachte man die Errichtung dieser befestigten Plätze mit dem Auszug der Helvetier respektive der Rückkehr nach der Niederlage gegen die Römer unter dem Feldherrn Cäsar in Bibracte in Zusammenhang. Heute geht die Forschung davon aus, dass die geschützten Siedlungen bereits rund 20 Jahre früher erbaut wurden.
Frühmittelalterliche Fluchtburg?
Wie das zeitliche Verhältnis der Siedlung auf der Fluh zum keltischen Töpfereibezirk auf dem Areal der JRG (heute Georg Fischer JRG AG) ist, kann aufgrund der bislang spärlichen Funde ebenso wenig entschieden werden wie Umfang und Aussehen der dazugehörigen Häuser, da das Areal hinter dem Wall mehrheitlich unausgegraben blieb. Eine Ausnahme bildet eine gemauerte Toranlage, die wohl als eine Art Vorwerk zu den heute noch sichtbaren Mauern weiter oben gehörte.
Letztere umfassten das gesamte Fluhplateau. Ihre Datierung ist schwierig, doch kann man sie mit einiger Gewissheit zu einer frühmittelalterlichen Fluchtburg rekonstruieren, wie sie beispielsweise auch in Liestal auf der Burghalde zu finden ist. Diese Vorläufer der späteren Höhenburgen waren im Innern meist unbebaut und dienten in unsicheren Zeiten – etwa der Ungarneinfälle im 10. Jahrhundert – als temporäre Zufluchtsorte für die Bevölkerung der umliegenden Höfe und Dörfer.
Ein letztes Mal wurde der erhöhte und weithin sichtbare Felsen aufgrund dieser Eigenschaften im 18. Jahrhundert genutzt, als hier eine Hochwacht aufgebaut wurde. Dieser Aussichtsposten war Teil einer Signalkette, mit der vom Rhein bis über den Jura bei feindlichen Angriffen Alarm geschlagen werden konnte. Die doppelte, wenig hohe Wall-Grabenanlage, die den vordersten Bereich der Fluh abgrenzt, scheint älter zu sein. Sie könnte eine Art Kernburg der mittelalterlichen Anlage geschützt haben, von der heute jedoch nichts mehr erhalten ist.
Der Bischofstein
Weiter geht die Wanderung zur Burg Bischofstein. Dabei folgen wir dem gleichen Weg wie vor rund 80 Jahren die Arbeitslosen, die im Rahmen eines Beschäftigungsprogramms unter der Leitung der einheimischen Lokalhistoriker Jakob Horand und Max Frey zuerst auf der Fluh und dann 1937/38 auf dem Burggrat ausgegraben haben. Unterwegs passieren wir den sogenannten Sattel, wo immer wieder (jung-)steinzeitliche Werkzeuge aufgelesen wurden. Diese zählen zu den ältesten Funden im Sissacher Bann und lassen vermuten, dass die Menschen vor mehr als 5000 Jahren an dieser abgeschiedenen Lage gesiedelt haben.
Die heute sichtbaren Mauern auf dem Felskopf gehören zum «Vorderen Bischofstein». Der Name weist darauf hin, dass sich hier nicht nur eine Burg befand. Die Überreste der nordöstlich gelegenen «Hinteren Bischofstein» waren aber schon bei der Freilegung spärlich, weshalb auf eine Aufmauerung und Sichtbarmachung verzichtet wurde.
Beide Burgen überlagern eine – vielleicht ebenfalls befestigte – Höhensiedlung aus der Älteren Eisenzeit (800–450 v. Chr.). Letztere hat, wie die Ansiedlung der Jüngeren Eisenzeit auf der Fluh, ein Pendant auf der gegenüberliegenden Talseite, nämlich auf dem Burgenrain. Auch hier gilt: Noch ist die Forschungslage zu dürftig, um das Verhältnis der beiden zueinander zu bestimmen, auch wenn in der Literatur schon die Vermutung geäussert wurde, die Häuser auf dem Grat seien eine Art «Ausguck» für das Dorf unten.
Die Bischofsteiner Burgen
Wenden wir uns zuerst der Hinteren Bischofstein zu. Selbst der geringe Fundbestand lässt die Aussage zu, dass sie die ältere der beiden Anlagen ist. Gegründet wurde sie wohl in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts. Doch von wem? Möglicherweise von den Herren von Itkon, einer Familie, die sich nach dem gleichnamigen, heute verschwundenen Dorf nordwestlich von Sissach benannte. Das Geschlecht taucht in Urkunden aus der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts auf und stirbt wahrscheinlich um 1250 aus.
Genau in diese Zeit fällt wohl die Entstehung der Vorderen Burg. Gut möglich, dass damals der Besitz an eine andere Familie fiel, die hier eine neue Feste errichtete. Und wieder stellt sich mangels eindeutiger Quellen die Frage nach der Bauherrschaft. Der Name «Bischofstein» verleitet natürlich dazu, den Bischof von Basel heranzuziehen, doch dürfte dieser als oberster Landesund Lehensherr nur Namensgeber der Burg gewesen sein. Viel wahrscheinlicher ist eine Gründung durch die Herren von Eptingen, von denen sich einzelne im 14. Jahrhundert nach diesem Ort benannten. Das Ende der Feste kam 1356: Bischofstein wird zu jenen Burgen gezählt, die beim grossen Erdbeben von Basel stark beschädigt wurden.
In den folgenden Quellen wird sie als «burgstall» bezeichnet, was bedeutet, dass kein Wiederaufbau stattfand und die Anlage verfiel. Erwähnenswert sind einige Funde, die bei den Ausgrabungen ans Tageslicht traten und vom «höfischen» Leben erzählen. Zum Beispiel Ofenkacheln mit Ritterdarstellungen, die vom Selbstverständnis der Bewohner zeugen. Eine weitere zeigt einen Adler und verweist damit wieder auf die Eptinger, die diesen Vogel im Wappen führten. Hirschund Hundedekor deuten wie auch eine eiserne Saufeder, eine Art Lanze, auf die in Adelskreisen sehr beliebte Jagd hin. Als Hirschanlockungs-Instrument dürfte dabei eine Meeresschnecke (Tritonshorn) gebraucht worden sein, die als Importstück zudem Fernbeziehungen belegt. Die Anwesenheit von Kindern bezeugen drei kleine Puppenköpfe aus Ton.
Die römischen Wurzeln
Auf dem Weg ins Dorfzentrum machen wir noch einen kleinen Abstecher ins Bützenen-Quartier. Heute von Neubauten geprägt, weist nichts mehr darauf hin, dass hier eigentlich der Ursprung von Sissach liegt – zumindest dem Dorfnamen nach. Denn dieser leitet sich aus dem gallo-römischen «Sisiacum» ab, was nichts anderes bedeutet als «Das Landgut des Sis(s)ius». Grössere Teile dieses römischen Gutshofs konnten vor allem bei Ausgrabungen in den 1950er-Jahren freigelegt werden. Hinzukommen mehrere Einzelfunde von Münzen. Die Anlage ist im Vergleich zu anderen «römischen Villen» als mittelgross einzustufen.
Für die weitere Entwicklung des Dorfes stellen sich einige Fragen. So enden beispielsweise die Funde – abgesehen von zwei Münzen – im späteren dritten Jahrhundert und lassen so einen grösseren zeitlichen Abstand zum Frühmittelalter offen. Auch räumlich gibt es keine Kontinuität zum späteren Dorf. Dennoch hat sich der Name erhalten, was sich nur so erklären lässt, dass die Siedlung Bestand hatte und wir es hier mit einer Forschungs-, Fund- oder Überlieferungslücke zu tun haben.
Von der Familien- zur Dorfkirche
Letzte Station unseres Rundgangs ist die Kirche St. Jakob. Die grosse, frühere Bedeutung der (Kirch-)Gemeinde lässt sich nicht zuletzt daran erkennen, dass ihr im Mittelalter – und teilweise bis heute – eine ganze Reihe von Nachbardörfern unterstellt waren: Itingen, das verschwundene Itkon, Böckten, Thürnen, Diepflingen, Rümlingen und Zunzgen. Auch ist in einer Quelle von 835 eine Landschaft – der pagus sigauensis – nach dem Dorf benannt. Das wahre Alter der Kirche konnte aber erst dank der Ausgrabungen im Jahr 1965 festgestellt werden: Die damals entdeckten Mauerreste und Bestattungen unter dem Kirchenboden belegen eine erste Saalkirche aus der Zeit um 620/30. Damit ist Sissach-St. Jakob eines der ältesten Gotteshäuser in der Nordwestschweiz!
Im Lauf der Zeit wurde die Kirche mehrmals umgebaut und vergrössert, bevor sie im Jahr 1525 ihren heutigen Grundriss erhielt. Damit einher ging der Wandel von einer sogenannten Eigenkirche, einem privat erbauten Gotteshaus im Besitz einer reichen Familie, hin zu einer Gemeindekirche für Sissach und die umliegenden Dörfer.
Spektakulär waren vor allem die bei der Ausgrabung entdeckten Gräber. Die erste und zweite Generation begrub ihre Toten in reicher Kleidung: Perlenketten, Gürtelteile, Schuh- und Wadenbindenbeschläge, auch ein reich verzierter Armring, ein Silberohrring und eine Amulettbüchse blieben erhalten.
In der Südostecke des Kirchenschiffs, in unmittelbarer Nähe zum Chor, kam das Grab eines circa 50-jährigen Mannes zum Vorschein. Diese spezielle Lage sowie die kunstvoll verzierten Beigaben lassen vermuten, dass hier der Gründer beziehungsweise erste Besitzer der Kirche beerdigt wurde. Über einem besonders reich ausgestatteten Mädchengrab (eventuell eine Tochter des Gründers) war sogar ein Bodenmosaik angelegt worden, das die Grabstelle bezeichnete und ursprünglich wohl ein Steinplättchen mit Inschrift trug.
In einer zweiten Generation fanden offenbar nur Frauen ihre letzte Ruhestätte in der Sissacher Kirche. Es scheint, dass die Gemeinschaft über grossen Grundbesitz verfügte und irgendwo eine zweite Kirche besass, wo die Männer beigesetzt wurden. Diese könnte aufgrund einiger charakteristischer Funde im Elsass zu suchen sein.
Leider haben wir keine schriftlichen Quellen, die uns Auskunft über die Familie und ihr Schicksal geben. Weitere Informationen zur Kirche und den Gräbern finden sich auf der Website www. archaeologie.bl.ch.
Noch Fragen?
Hier endet unsere kleine Wanderung. Natürlich gäbe es noch weitere, mögliche Stationen wie den schon erwähnten Burgenrain oder auch das in den Jahren 1774/75 durch den Basler Seidenbandfabrikanten Martin Bachofen-Heitz als Jagdund Sommersitz erbaute spätbarocke Schloss Ebenrain. In dessen Nähe befand sich übrigens eine weitere Siedlung aus der Zeit um 800 vor Christus.
Falls dieser Schnelldurchgang durch die Sissacher Vergangenheit Fragen oder Wünsche hinterlassen hat, können Sie sich gerne an die Fachpersonen der Archäologie Baselland wenden.
Auf Exkursion
vs. Die Archäologie Baselland bietet seit bald zehn Jahren jeweils im Frühjahr und im Herbst im Rahmen des Kursprogramms der Volkshochschule beider Basel Wanderungen zu Schauplätzen der Baselbieter Geschichte an. Dies ist Teil eines vielfältigen Angebots, mit dem die kantonale Fachstelle dem Auftrag nachkommt, die Ergebnisse ihrer Arbeit der Bevölkerung zu vermitteln. 2019 ist die reiche Vergangenheit Sissachs Thema des Rundgangs. Auf Wunsch der «Volksstimme» zeichnet der Exkursionsleiter Andreas Fischer hier die Route nach und liefert einige Fakten und Hintergründe zu den besuchten Orten.
Die Volkshochschule beider Basel
af. «Hundert Jahre neugierig»: Unter diesem Motto feiert die Volkshochschule beider Basel 2019 ihr Jubiläum. Verwurzelt in der Universität Basel fördert die Volkshochschule seit 1919 die allgemeine und kulturelle Bildung sowie den Dialog zwischen Wissenschaft und Gesellschaft und unterstützt Einzelne in ihrem Wunsch, sich weiterzuentwickeln, zu bilden und sich neue Fertigkeiten und Kenntnisse anzueignen. Die Stiftung finanziert sich zu rund zwei Dritteln durch Einnahmen aus den Kursgebühren, rund ein Drittel der Kosten wird gedeckt durch die beiden Trägerkantone, durch Leistungen der Universität Basel sowie durch Beiträge von Gemeinden und projektbezogene Drittmittel und Donationen.