Wo die neuen Uniformen des Musikvereins entstehen
24.10.2019 Bezirk Sissach, Vereine, Gemeinden, Gesellschaft, SissachRobert Bösiger
Die Pfarrkirche St.Antonius im 2400-Seelen-Dorf Rothenthurm (SZ)ist von weit her zu erkennen. Gemäss mündlicher Überlieferung soll das Gotteshaus um ein paar Zentimeter länger als die Pfarrkirche St. Martin in Schwyz und dem Wetteifer des damaligen ...
Robert Bösiger
Die Pfarrkirche St.Antonius im 2400-Seelen-Dorf Rothenthurm (SZ)ist von weit her zu erkennen. Gemäss mündlicher Überlieferung soll das Gotteshaus um ein paar Zentimeter länger als die Pfarrkirche St. Martin in Schwyz und dem Wetteifer des damaligen Pfarrers Laurenz Röllin geschuldet sein. Was sie auf jeden Fall ist: ein Wahrzeichen am Pilgerweg nach Einsiedeln.
Unweit dieser eindrücklichen Kirche findet sich an der Hauptstrasse ein Gebäude mit der Anschrift «Schuler Manufaktur 6418». Hier, in einem Laden, der aussieht wie ein Showroom, treffen wir auf Stefan Steiner (42). Ursprünglich aus dem Zürcher Oberland stammend, stösst der gelernte Schneider und studierte Bekleidungstechniker vor 18 Jahren zur Firma Schuler Uniformen. Seit einigen Jahren ist er als Geschäftsführer und – seit 2017 – als Mitinhaber für die Geschicke des Familienunternehmens verantwortlich.
Uniformkommission
Wir sind aus einem guten Grund in Rothenthurm gelandet. Hier, bei der «Schuler Manufaktur 6418» (die Ziffer steht für die Postleitzahl), werden die neuen Uniformen für die Mitglieder des Musikvereins Sissach geschneidert. Die Generalversammlung des MVS hatte im Frühjahr 2018 beschlossen, den Verein neu einzukleiden. Die seit 1994 aktuelle Uniform – ein Smoking mit Fliege und Gilet – hat in den vergangenen Jahren arg gelitten.
Die vom Verein mit dem Projekt Neuuniformierung betraute sechsköpfige Uniformenkommission unter Leitung von Lukas Bürgin führte zunächst eine Umfrage im Verein durch, um Wünsche, Anregungen und Vorlieben zu erfassen. Danach ging sie auf die Suche nach geeigneten Produzenten.
Am meisten überzeugte die Schwyzer Traditionsfirma Schuler Manufaktur 6418. Sein Unternehmen sei nicht ohne Grund ausgewählt worden, glaubt Stefan Steiner. Es habe ein grosses Knowhow und die mittlerweile 40 Mitarbeitenden gehörten fraglos zu den Besten ihres Fachs. Als Referenz herhalten könnte auch, dass es schweizweit zahllose Musikformationen sind, die sich in Schuler-Gewändern präsentieren.
«Made in Rothenthurm»
Derzeit, sagt Steiner, dürfe Schuler rund 2000 Vereine und Organisationen in der Schweiz betreuen. Das Kundenspektrum reiche von der Gastronomie über die Swiss und Spitäler bis hin zu Trachten und Uniformen von Musikvereinen und dergleichen. Auch die Gewänder vieler Zünfte, die am Sechseläuten defilieren, sind «made in Rothenthurm».
Der Chef verrät, dass seine Firma auch schon ganz spezielle Auftraggeber habe befriedigen müssen. Da habe zum Beispiel ein reicher Russe angeklopft mit dem Auftrag, die Angestellten seiner Privat-Airline einzukleiden. Geld habe keine Rolle gespielt, räumt Stefan Steiner ein. Auch «Promis» aus der Showszene gehören zu Schulers Kundenstamm, so zum Beispiel der Berner Barde Trauffer und die Bündner Band «77 Bombay Street».
Bald Produktionsbeginn
Bei der Ausarbeitung der Uniform sei es zentral, dass sich der Kunde darin wiedererkenne und sich darin gerne präsentiere. Was das im Fall des Musikvereins Sissach konkret heisst, mochte der Geschäftsführer partout nicht verraten. Nicht einmal, ob zur Uniform eine Kopfbedeckung gehört oder nicht.
Wette Nummer 1: Die neue Uniform wird ohne Hut auskommen müssen.
Die eigentliche Produktion der neuen Uniform wird erst Anfang des kommenden Jahres anlaufen. In den Werkstätten hinter dem Ladengeschäft werden die Kleidungsstücke weitgehend von Hand gefertigt. Unterstützt werden die Fachleute selbstverständlich auch von teilweise computergesteuerten Maschinen. Praktisch alle Teile werden in Rothenthurm produziert. Und auch allfällige Lieferanten stammen aus der Schweiz, wie Steiner unterstreicht.
«Wir wollen die Besten sein!»
Das Konkurrenzumfeld im Uniformenbereich ist überschaubar. «Wir sind wohl die Grössten – obwohl das nicht unser Ziel ist. Aber wir wollen auf jeden Fall die Besten sein!» Selbstverständlich gebe es auch Konkurrenz im Ausland, primär in Deutschland.
Deshalb, so Steiner, müsse sich «Schuler Manufaktur 6418» auch immer wieder behaupten, «selbst wenn es wohl in der Bevölkerung kaum sonderlich gut ankommen würde, wenn ein Verein seine Uniform im Ausland ordern würde».
Als besondere Stärke seiner Unternehmung bezeichnet der Geschäftsführer den Service. Dieser sei entscheidend, «weil eine Uniform in der Regel mindestens 20 Jahre getragen wird». Deshalb schliesst Schuler die Lücken, sorgt dafür, dass die Uniform mit den Tragenden «mitwächst». Steiner: «Wir sind da und gewährleisten allfällige Änderungen und Reparaturen.» Apropos Service: Im Lager stapeln sich für den Fall der Fälle Tausende von Stoffbahnen. Auch für den Musikverein Sissach wird genügend Reservestoff eingefärbt und gelagert – damit zukünftige neue Mitglieder auch eingekleidet werden können.
Finanzieller Kraftakt
Angesichts der Tatsache, dass ausschliesslich gut ausgebildete Fachleute Hand anlegen und die Uniformen herstellen, erscheint es logisch, dass die Anschaffung einer Uniform für einen Verein zu einem finanziellen Kraftakt wird. Nach Auskunft von Stefan Steiner kommt heute eine Uniform je nach Ausstattung und Schnitt auf 1500 bis 2000 Franken zu stehen.
Der MVS rechnet bei einem Bestand von 45 Mitgliedern gemäss Angaben von Lukas Bürgin mit Gesamtkosten in Höhe von gut 80 000 Franken. Um diese Anschaffung stemmen zu können, befindet sich der Verein seit gut einem Jahr in einem permanenten Sammelmodus, der bis auf Weiteres fortgeführt wird. Denn, so Bürgin, auch ein paar Instrumente seien dringend erneuerungsbedürftig. Möchte der Chef der Uniformenkommission etwas Näheres verraten zur neuen Uniform? «Lieber nicht, denn es soll eine Überraschung werden.»
Deshalb kommen wir zur Wette Nr. 2: Die neue Uniform setzt unter anderem auf die Farbe Rot. Weil diese Farbe in der Uniformengeschichte des MVS bisher noch nicht vorkommt und weil Rot bestens zum Sissacher Wappen passt.
Mir wäi luege … Auf alle Fälle müssen sich die Mitglieder darauf gefasst machen, in den nächsten Wochen durch die Schuler-Schneider pingelig genau vermessen zu werden. Denn letztlich soll das neue Gewand ja nicht nur optisch gefallen, sondern auch perfekt sitzen.
Von der Aubergine zum Chiirssi?
rob. Blättert man in den Vereinsannalen zurück, so finden sich auch Angaben zur Frage, womit sich die Musikantinnen und Musikanten in den letzten Jahrzehnten gekleidet haben. Ueli Oberli, langjähriges Mitglied und Posaunist, prägender Präsident und Ehrenpräsident sowie Fähnrich des MVS, hat auf der Suche nach Uniformen-Spuren viele spannende Informationen zutage gefördert. Anlässlich der Generalversammlung vom März dieses Jahres präsentierte er seine Erkenntnisse – die wir auszugsweise wiedergeben:
«Die Halbleinenen» und die «Jäger»
Möglicherweise hervorgehend oder zumindest inspiriert aus einem frühen Musikverein Sissach (1849–1893) entsteht um 1874 die sogenannte Nebenhöfler-Musik, auch bekannt als Blechsextett Sissach. In diesem Zusammenhang erwähnenswert ist, dass im Zeitabschnitt 1874–1893 beide Musikcombos – die Nebenhöfler und der Musikverein Sissach – nebeneinander existieren. Die Mitglieder der Nebenhöfler – damals ausschliesslich Männer – tragen halbleinene Kleider, die Hosen in Braun. Diese Bekleidung trägt dem Verein den Namen «die Halbleinenen» ein. 1880 gründet sich der Musikverein Sissach aus Mitgliedern der Nebenhöfler und der Diepflingermusik.
Anno 1898 schafft sich der MVS seine erste offizielle Uniform an. Damals mit Hut ähnelt das Korps äusserlich einer Jagdgesellschaft. Diese «Jägeruniform» kommt auch an Musikfesten zum Einsatz, etwa 1913 am Jugendfest in Sissach.
Die «Braune» und die «Blaue»
Weil der MVS im Hinblick auf das Kantonale Musikfest 1924 eine neue Uniform möchte, werden Anteilscheine à 10 Franken ausgegeben, die regelmässig, wenn die Vereinskasse es erlaubt, ausgelost und wieder zurückbezahlt werden. Weil im Frühsommer 1924 die Schneider streiken, werden die bestellten Gewänder – wegen der Farbe die «Braunen» genannt – erst zwei Tage vor dem Musikfest geliefert. Die Kosten pro Uniform belaufen sich auf 145 Franken. Am 7. August 1924 wird die neue Uniform eingeweiht.
1950 wird erneut eine Uniform angeschafft. Die notwendigen 37 Exemplare kommen bereits auf 375 Franken pro Stück zu stehen. Entsprechend ihrer Farbe wird die Uniform die «Blaue» genannt. Im Einsatz bleibt sie samt Hut bis zum Jahr 1971.
Cognac und Schwarz
Die neue Uniform – ab 1971 – ist in Cognac und Schwarz gehalten. Vielleicht auch, weil nun vermehrt Frauen im Korps mitspielen, gibt es keinen Hut mehr. Ein Umstand, der in Musikerkreisen auch zu Kritik Anlass gibt. Doch der MVS lässt sich nicht beirren. Auch die Knabenmusik wird – als Geschenk des MVS – mit denselben Kleidern ausgestattet.
Aubergine und bald …?
1994 wird die heute noch aktuelle Uniform angeschafft. Sie besteht aus einem Smoking mit Fliege und Gilet in zwei verschiedenen Aubergine-Tönen. In den vergangenen Jahren tritt der Verein immer einmal wieder ohne Kittel auf – ein untrügliches Zeichen, dass die Kleider im Kasten «aus der Form geraten» sind.
So hat sich die Generalversammlung von 2018 für eine Neuuniformierung entschieden. Stand heute sind Modell und Schnitt, Herstellerfirma (vgl. Beitrag auf dieser Seite) und sogar mögliches Einweihungsdatum beschlossene Sache.