Was, zum Henker …?
18.10.2019 Bezirk Sissach, SissachMit über 400 Exponaten ist das Henkermuseum in Sissach das einzige in der Schweiz. Die Ausstellung zeigt unter anderem die grösste Sammlung von Richtschwertern Europas. Vor zwanzig Jahren eröffnet, hat das einzigartige Museum nichts von seiner Anziehungskraft verloren.
Heiner ...
Mit über 400 Exponaten ist das Henkermuseum in Sissach das einzige in der Schweiz. Die Ausstellung zeigt unter anderem die grösste Sammlung von Richtschwertern Europas. Vor zwanzig Jahren eröffnet, hat das einzigartige Museum nichts von seiner Anziehungskraft verloren.
Heiner Oberer
Wie muss man sich einen Menschen vorstellen, der Guillotinen, Richtschwerter oder Folterwerkzeuge sammelt? Schwarze Seele? Düstere Gestalt? Weit gefehlt. Guido Varesi (54) sagt von sich selbst: «Ich bin ein fröhlicher Mensch. Ich tue keiner Menschenseele etwas zuleide.» Seine Ehefrau Jackie (55) nickt zustimmend. Also. Nichts da von düsterem Gesellen, der im Mittelalter stecken geblieben ist.
Wir sitzen im Keller an der Bar in Varry’s Tattoo & Art-Studio. Varry, wie er von seinen Freunden gerufen wird, mit langen, ergrauten Haaren, die zu einem Zopf gebunden sind. Blaues Jeanshemd, schwarzes Gilet und wie es sich für einen Tätowierkünstler ziemt, mit tätowierten Armen. «Ich bin mir bewusst, dass es Menschen gibt, die glauben, dass ich ein finsterer Mensch bin», räumt er ein. Es sei aber nicht zwingend so, dass ein Sammler, der sich mit allerlei Folterinstrumenten umgibt, ein martialischer Gewaltverherrlicher sein muss. «Ich habe ein sonniges Gemüt und liebe die Menschen.»
Schon in der Schulzeit sei er von Piraten und Cowboys angezogen gewesen. So «Bubensachen» hätten ihn immer interessiert: «Ich bin in einer Zeit aufgewachsen, in der alles verweiblicht wurde. Wahrscheinlich habe ich deshalb den Gegenpol gesucht», sagt er. Schon als Kind hätten ihn Folterinstrumente aus dem Mittelalter fasziniert. «Als Bub war es mein Berufswunsch, Totengräber zu werden. Zum Entsetzen meiner Eltern habe ich immer wieder Pouletknochen im Garten beigesetzt.» Statt Totengräber ist Varesi Tattookünstler und Museumsbesitzer geworden.
Erste Tattoo-Versuche
Als Guido sieben Jahre alt war, kaufte er sich die ersten Handschellen: «40 Franken haben die Dinger gekostet. Ich musste lange sparen, bis ich das Geld zusammenhatte.» Vielleicht habe sich in dieser Zeit etwas in seinem Hirn verschoben, scherzt er heute dazu. Zudem hätten in seiner Jugend die Bücher über Frankenstein und Dracula eine ungeheure Faszination auf ihn ausgeübt. In der Schule habe er schon ab und zu blutrünstige Zeichnungen zu Papier gebracht. Der auf den Plan getretene Schulpsychologe habe ihm bloss eine lebhafte Fantasie attestiert.
Das bestärkte ihn in seiner Sammelleidenschaft. Auf Flohmärkten in der Umgebung kaufte sich Varesi über die Jahre alles, was ihm in die Finger kam. So kam mit der Zeit eine stattliche Sammlung verschiedenster Hinrichtungsutensilien und Folterinstrumente zusammen.
Kaum aus der Schule, erwachte wieder seine zweite Leidenschaft – das Tätowieren. Das kam so: Auf der jährlichen Fahrt mit dem Auto nach Italien las die Mutter ihren drei Kindern Geschichten vor, um sie auf der eintönigen Fahrt in den Süden bei Laune zu halten. «Eine Geschichte handelte von tätowierten Piraten», erinnert sich Varesi.
Wieder zurück in der Schweiz, probierte er zusammen mit einem Freund das Tätowieren beim Nachbarbuben aus. Mit einer heissen Nadel, befestigt an einem Korken und profaner Tinte stach er dem ahnungslosen Buben in den Unterarm. «Der hat aber nach dem ersten Stich so fürchterlich geschrien, dass wir aufhören mussten.» Sie gaben aber nicht auf. Bei den nächsten Versuchen, diesmal Selbstversuche, seien sie professioneller vorgegangen. Die Nadel hätten sie mit Schnaps desinfiziert. Statt Tinte seien sie mit Tusche ans Werk gegangen und hätten versucht, sich gegenseitig einen Anker in den Oberarm zu stechen.
«Als meine Mutter das eigenwillige Tattoo zu Gesicht bekam, ist sie grün angelaufen. Der Vater hat auf Italienisch geflucht, was mich aber nicht beeindruckt hat, weil ich sowieso nichts verstanden habe.» Varesi rollt den Ärmel seines Hemds zurück und zeigt das unvollendete Frühwerk auf seinem Unterarm. Mit der Zeit sei die «Kundschaft» immer umfangreicher geworden. Das habe dazu geführt, dass öfter ein Vater mit seinem Sohn bei den Varesis vorbeikam, mit der Forderung, das scheussliche Zeug auf dem Arm seines Zöglings wieder zu entfernen.
Museum im Gefängnis
Varesi liess sich zum Tätowier ausbilden. Heute ist er einer der angesehensten Tätowierkünstler der Schweiz und betreibt ein Tattoostudio in Sissach, nur einen Steinwurf vom Henkermuseum entfernt. Inzwischen sind auch seine Söhne Damien (34) und Floyd (32) ins Geschäft eingestiegen und betreiben die Kunst des Stechens. Zusammen mit Mutter Jackie sind die Varesis wohl eine der am besten tätowierten Familien der Schweiz.
Aber seine zweite Leidenschaft liess Guido Varesi nicht los. Nach einem Besuch mit seiner Ehefrau in Madame Tussauds Wachsfigurenkabinett in London, wo sie unter anderem den legendären Serienmörder Jack the Ripper und andere Übeltäter bestaunten, war für die beiden klar: Das können wir auch. 1998 luden sie im kleinen Rahmen zur ersten Ausstellung im Keller von Varesis Wohnhaus in Sissach ein. Die geladenen Freunde waren begeistert und ermunterten den Sammler, seinen Fundus einem breiteren Publikum zugänglich zu machen.
Angetan vom Erfolg der ersten Ausstellung, hielt Guido Varesi in Sissach Ausschau nach einem geeigneten Lokal, wo er seine umfangreiche Sammlung von Folterinstrumenten und Hinrichtungsutensilien präsentieren könnte. Mit dem ehemaligen Gefängnis und Schlachthäuslein an der Kirchgasse 2 fand er das geeignete Lokal. Laut der Kantonalen Denkmalpflege wird es um 1800 erstmals als «Prison» erwähnt. Zudem soll es auch als Zollstelle fungiert haben. Als Gefängnis diente es bis weit ins 19. Jahrhundert hinein. Diebe, Landstreicher und Krakeeler wurden darin festgehalten. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurde es an die in der Nähe gelegene ehemalige Metzgerei verkauft und diente lange Zeit als Schlachthäuslein und später einer Sissacher Druckerei als Verkaufs- und Produktionslokal.
Pius Buser, Entfesselungskünstler
Am 14. August 1999 war es so weit. Das erste Henkermuseum in der Schweiz wurde eröffnet. Der originale Nachbau einer Guillotine aus dem 18. Jahrhundert ist das Prunkstück des Henkermuseums. Im Keller kann der Besucher verschiedene Folterinstrumente bestaunen, so eine Folterbirne, mit der dem Gefangenen der Mund aufgesperrt und so dieser am Schreien gehindert wurde. Auf einem Pflock liegt ein Wagenrad, mit dem schon die Römer die Verurteilten gerädert haben. Eine äusserst schmerzhafte Prozedur, wurden dem Verurteilten auf dem Rad doch zuerst alle Knochen gebrochen, um ihn anschliessend verenden zu lassen.
Inzwischen kann der Besucher vom Keller bis zum Dachgeschoss über 400 Exponate bestaunen. Unter anderem die grösste Sammlung von Richtschwertern aus Europa mit 17 Originalen, so jenes Schwert, mit dem Anna Göldi 1782 nach einem der letzten Hexenprozesse Europas enthauptet wurde. Eine Schandmaske aus Österreich aus dem 16. Jahrhundert – laut Varesi gibt es davon weltweit nur noch zwei Exemplare – ist ebenso zu bestaunen wie das Richtbeil von Franz Molhausen aus Halle (D), der damit den Leibarzt des dänischen Königs geköpft hatte. Eine weitere Rarität ist ein Ölgemälde von Martin Mengis, dem vorletzten Scharfrichter von Basel, aufgewachsen in Tenniken.
Dem Sissacher Entfesselungskünstler und Schausteller Pius Buser (1898–1968), mit dem Guido Varesi entfernt verwandt ist, hat der Kurator, Künstler und Tätowierer in seinem Museum einen eigenen Bereich reserviert. Busers Darbietungen waren waghalsig und lebensgefährlich. So liess er sich unter anderem in den 1920er-Jahren an einen elektrischen Stuhl fesseln und diesen unter Strom setzen.
Dunkles Kapitel der Menschheit
«Wir wollen den Besuchern keine Angst machen. Uns geht es darum, ein Thema anschaulich zu beleuchten, das gerne unter den Tisch gekehrt wird», sagt Guido Varesi. Seine Ehefrau ergänzt:«Wir sind seit über 30 Jahren zusammen und harmonieren wie aus einem Guss. Wenn andere in den Ferien am Strand liegen, steigen wir zusammen irgendwo in dunkle Keller auf der Suche nach Exponaten für unser Museum.»
Hört man den beiden Museumsbetreibern zu, bekommt man nicht den Eindruck, dass sie zwei nach Blut dürstende Sonderlinge sind. «Henker war nie mein Berufswunsch», sagt Guido Varesi. «Mit dem Henkermuseum und der Leidenschaft für das Martialische möchte ich den Besuchern ein dunkles Kapitel der Menschheit etwas näher bringen.»
Richtstätte auf dem «Glünggisbüchel»
hob. Im Jahr 1712 fand als letzte Hinrichtung jene der Kindsmörderin Elisabeth Koch aus Diegten auf dem «Glünggisbüchel» statt. Dieser befand sich westlich von Sissach beim Känzelchen am Waldrand westlich des Ebenrains. Der Ort war bei der Bevölkerung bekannt als «Die Anhöhe, wo die Glünggi gehängt wurden». «Glünngi» stand scherzhaft für einen nachlässigen, unpünktlichen Ganoven, der an dieser gut sichtbaren Stelle an den Galgen kam. Im Jahr 1798 wurde die Richtstätte aufgehoben.
Quelle: Ortsgeschichte und Ortsname – Flurnamen der Gemeinde Sissach
20 Jahre Henkermuseum
hob. Zur Feier des Tages ist am 19. Oktober der Eintritt in das Henkermuseum von 17 bis 19 Uhr gratis. Um 20 Uhr tritt der Baselbieter Barde Florian Schneider, begleitet vom Geiger Adam Taubitz, in Varry’s Tattoobar auf. Schneider hat eigens ein Jubiläumsprogramm mit dunklen Moritaten und Galgenliedern zusammengestellt. Zudem erzählt er schauerliche Henkergeschichten. Für Spannung und Gänsehaut ist also gesorgt. Um den Hunger zu stillen, werden kleine Häppchen gereicht. Eine grosse Auswahl an Getränken sorgt für feuchte Kehlen.
Henkermuseum, Kirchgasse 2, Sissach. Reservationen unter 061 971 12 12.