Hautnah dabei auf dem Zug des Rotmilans
03.10.2019 Bezirk Sissach, ZunzgenDank eines Senders auf dem Rücken lässt sich ein Rotmilan am Computer verfolgen. Lorenz Hostettler glaubte, dass die Milane in Lebensgemeinschaften leben, die gemächlich Runden über unseren Köpfen drehen. Nun zweifelt er an dieser Einschätzung.
Brigitt Buser
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Dank eines Senders auf dem Rücken lässt sich ein Rotmilan am Computer verfolgen. Lorenz Hostettler glaubte, dass die Milane in Lebensgemeinschaften leben, die gemächlich Runden über unseren Köpfen drehen. Nun zweifelt er an dieser Einschätzung.
Brigitt Buser
An einem Sonntag Anfang April hat Lorenz Hostettler aus Zunzgen den Anruf erhalten, dass im «Nestel» unterhalb des «Horens» ein grosser Vogel auf einer Wiese im Gras liege und sich nicht bewege. Zudem trage dieser etwas auf dem Rücken. So machte sich der Mauerseglerberinger (die «Volksstimme» berichtete) mit seiner Frau und den Grosskindern rasch auf den Weg, um zu schauen, ob das Tier noch lebt und man ihm helfen kann. Schnell war klar, dass es sich um einen Rotmilan handelt. Zwar lebte dieser noch und hatte keine äusserlichen Verletzungen, sonderlich gut schien es ihm jedoch nicht zu gehen. Auch sah Hostettler, dass das «Etwas» auf seinem Rücken ein Sender, ein Locator, war, was darauf hinwies, dass der Milan in ein Forschungsprojekt involviert ist.
Um auszuschliessen, dass der Greifvogel davonfliegt, legte der Vogelkundler mithilfe einer mitgebrachten Teleskopstange vorsichtig ein grosses Tuch über das Tier, das sich dabei aber nicht regte. So konnte Lorenz Hostettler, zusätzlich behandschuht, den Milan fassen. Es war für ihn klar, dass ein Vogel mit Sender auch beringt sein muss, was sich bestätigte.
Er entschied sich, den kranken Milan nach Möhlin in die Storchenstation zu bringen. Dort wurde dieser nach eingehenden Untersuchungen vom Vogelpflegeteam um Bruno Gardelli in Pflege genommen. Die mittlerweile bekannte Ringnummer H 43922 meldete Lorenz Hostettler sogleich der Vogelwarte Sempach.
Die Rückmeldung aus Sempach zeigte, dass es sich um ein mindestens drei Jahre altes Tier mit unbekanntem Geschlecht handelt, das von einem spanisch-deutschen Team im Februar in Nordspanien beringt wurde. Ebenfalls erhielt Hostettler von der Vogelwarte einen Link, über den er die genaue Flugroute des Greifvogels bis zur Storchenstation am Computer verfolgen konnte. Diese verlief über Südfrankreich in Richtung Genf. Nach einem Abstecher ins Rhonetal entschied sich der Milan, weiter nördlich über Frankreich ins Baselbiet zu ziehen, wo ihn Hostettler fand. Zudem teilte ihm die Vogelwarte mit, dass der Sender nicht entfernt werden soll. Man solle eher kontrollieren, ob dieser noch richtig sitzt. Ein paar Tage später hatte sich der Rotmilan, der laut Bruno Gardelli an einer schweren Verdauungsstörung litt, wieder erholt. So konnte Hostettler diesen in der Storchenstation abholen, da er ihn wieder dort freilassen wollte, wo er ihn gefunden hatte.
Ein «Pfund Schnitz» auf dem Ast
Im «Nestel» angekommen, setzte er das Tier auf einen horizontalen Ast eines Baums. Der Pfleger hatte ihn vorher darauf hingewiesen, sich nicht zu wundern, falls der Vogel plötzlich in sich zusammensackt und den Kopf hängen lässt. Rotmilane stellen sich, wenn sie sich bedroht fühlen, tot. Tatsächlich, als Hostettler das Tier auf den Ast setzte, liess es auch schon den Kopf hängen und rutschte langsam nach hinten, sodass der Vogelkundler den Milan wieder zurechtrücken musste, bevor er sich langsam entfernte.
Es dauerte noch seine Zeit, bis der Milan den Kopf hob, die Flügel ausbreitete und abhob. Langsam zog er ein paar Runden über dem «Horen», flog dann in Richtung «Mühleholden» und entschwand in Richtung Wittinsburg.
Das spanisch-deutsche Forscherteam übermittelte elektronisch den Zugang zu den Daten, damit Lorenz Hostettler die Flugbewegungen dieses Vogels künftig über Satellit am PC beobachten kann. «Über Wochen bevorzugte der Milan das obere Baselbiet», sagt Hostettler, «machte mal einen Ausflug nach Brugg.» Nach einem längeren Aufenthalt in unserer Region begab sich «unser Milan» abermals auf den Weg und zog nach Süddeutschland bis hoch nach Stuttgart. «Zurzeit hält er sich im Donaugebiet bei Reutlingen auf», so Hostettler weiter.
Die Milane können an einem Tag weite Strecken zurücklegen. «Die Territorien erstrecken sich über 30 Quadratkilometer», sagt Hostettler. Man darf gespannt sein, ob und wann sich der prächtige Greifvogel wieder auf den Rückzug in Richtung Schweiz oder gar Spanien macht. Hostettler hat sein Auge per Computer darauf. Ob unserem Rotmilan zur Überwinterung eventuell «nur» das «Volksstimme»- Gebiet genügt? Wir bleiben dran.
Der Rotmilan
bbu. Der Rotmilan, im Volksmund auch «Gabelweih» genannt, ist mit einer Flügelspannweite von bis zu 1,65 Metern nach Bartgeier und Steinadler der drittgrösste Greifvogel der Schweiz. Gut erkenntlich an seinem ausgeprägt gegabelten Schwanz und rostbraunen Gefieder, zieht er seine Kreise am Himmel und gibt insbesondere während der Balzzeit ein wieherndes Trillern von sich. Im Gegensatz zu seinem kleineren Bruder, dem Schwarzmilan, der ein braunes Gefieder mit weniger ausgeprägtem Gabelschwanz besitzt und sich lieber in Seegebieten aufhält – es gibt auch vereinzelt Brutpaare in unserer Region – bevorzugen Rotmilane offenes Kulturland. Bei uns Brütende zieht es in kalten Wintern oft in Richtung Spanien, während solche aus dem Norden in der Schweiz Wintergäste sind.