Für Moral, Wirtschaft und Steuerzahler
31.10.2019 Baselbiet, Finanzen, PolitikInitiative fordert Ergänzungsleistungen für Familien
Am 24. November stimmt das Baselbiet über die Initiative «Ergänzungsleistungen für Familien mit geringen Einkommen» und den entsprechenden Gegenvorschlag ab. Ergänzungsleistungen hätten gegenüber Sozialhilfe sowohl für die ...
Initiative fordert Ergänzungsleistungen für Familien
Am 24. November stimmt das Baselbiet über die Initiative «Ergänzungsleistungen für Familien mit geringen Einkommen» und den entsprechenden Gegenvorschlag ab. Ergänzungsleistungen hätten gegenüber Sozialhilfe sowohl für die Betroffenen wie auch für den Staat eine positivere Wirkung.
Tobias Gfeller
Im Kanton Baselland lebten 2012 rund 17 000 Menschen unterhalb des Existenzminimums, darunter rund 6000 Kinder bis 17 Jahren: Dies brachte der 2015 vom Kanton veröffentliche Armutsbericht hervor. In Fällen von Armut trotz voller Erwerbsbeschäftigung spricht man grundsätzlich von «Working Poor». 3,5 Prozent sämtlicher Erwerbstätiger im Kanton mussten dazu gezählt werden.
Die Initiative «Ergänzungsleistungen für Familien mit geringen Einkommen» möchte davon betroffene Familien mit Ergänzungsleistungen unterstützen. Das Initiativkomitee legte am Dienstag in Liestal seine Argumente vor. Es gebe zu viele Menschen im Baselbiet, die trotz Arbeit von Armut betroffen seien, klagt der ehemalige Reinacher SP-Einwohnerrat Claude Hodel, der sich seit Jahren im Kampf gegen Armut engagiert. Seit dem Armutsbericht sei im Baselbiet nichts passiert. Auch auf eine vom Landrat überwiesene Motion von Ruedi Brassel (SP) aus dem Jahr 2010 sei nie reagiert worden. Die Initianten sind überzeugt: Erhalten Betroffene Ergänzungsleistungen anstelle von Sozialhilfe, hat dies sowohl für sie wie auch für die Wirtschaft und die Steuerzahler positive Auswirkungen. «Bezüger von Ergänzungsleistungen werden weniger stigmatisiert als Sozialhilfeempfänger», glaubt Barbara Scheibler, SP-Mitglied und diplomierte Sozialarbeiterin aus Sissach.
Als Sozialhilfeempfänger stehe man viel mehr unter Kontrolle. Mit Ergänzungsleistungen sei man mehr auf sich alleine gestellt und für sich selber verantwortlich. «Das gibt ein ganz anderes Gefühl für die Betroffenen», sagt Scheibler. Ruedi Brassel spricht von einer «Demotivationsspirale» in der Sozialhilfe. «Die Leute verlieren darin den Anreiz, sich im Arbeitsleben zu bewähren.» Mit Ergänzungsleistungen müsse man sich dem Erwerbsleben stellen.
Altersobergrenze 16
Die Initianten betonen deshalb nicht nur die finanziellen Vorteile für Betroffene, sondern auch deren verbesserte Moral und Gefühlslage. All dies zusammen stärke die Arbeitstätigkeit und entlaste langfristig die Steuerzahler, weil gesamthaft für Ergänzungsleistungen für Erwerbstätige weniger ausgegeben werden müsse als für Sozialhilfeempfänger.
Doch zu Beginn würden die Ausgaben sicherlich steigen, räumten sie ein. Wie hoch die Mehrausgaben durch die Initiative sein werden, sei schwierig vorauszusehen, sagt Barbara Scheibler. «Wir rechnen zu Beginn mit Mehrausgaben von unter 20 Millionen Franken.»
Das Initiativkomitee nahm bei seiner Prognose Zahlen aus dem Kanton Solothurn zu Hilfe, wo Ergänzungsleistungen für Familien bereits eingeführt wurden. Im Gegensatz zum geplanten Baselbieter Modell mit einer Obergrenze von 16 Jahren sind in Solothurn aber nur Familien mit Kindern bis zu 6 Jahren für den Bezug von Ergänzungsleistungen berechtigt. Die Obergrenze von 16 Jahren wenden auch die Kantone Genf und Waadt an. Der Kanton Tessin gewährt Familien mit Kindern bis zum 14. Lebensjahr Ergänzungsleistungen. Die Altersgrenze von 16 Jahren sei nötig, damit Kinder und Jugendliche aus ärmeren Verhältnissen die gleichen Chancen wie ihre Kollegen hätten.
Die Initiative ist absichtlich unformuliert, damit die Kantonsverwaltung eine Vorlage für das komplexe Thema ausarbeiten kann. Der Gegenvorschlag der Regierung sei wenig nützlich, weil «wenig konkret, unverbindlich und schwammig formuliert», kritisiert Ruedi Brassel. Er ist überzeugt: «Man will das Anliegen auf die lange Bank schieben.»
Wie schwerwiegend die Folgen von Armut für Kinder und Jugendliche sein können, beschreibt Lukas Spinnler, stellvertretender Leiter des Jugendsozialwerks Blaues Kreuz Baselland: «Das Signal ist fatal, wenn Kinder und Jugendliche bei ihren Eltern sehen, dass es trotz Arbeit finanziell nicht reicht.»