«Ich bin stets am Puls der Zeit geblieben»
06.09.2019 Baselbiet, Medien«Ich bin stets am Puls der Zeit geblieben»
Ihr halbes Leben lang unterrichtet sie schon Jugendliche in der Kunst des Kinderhütens. Margrit Mensch-Häring erzählt, wie vor 40 Jahren alles begann und was daraus wurde. Und warum Babysitting-Kurse heute noch zeitgemäss ...
«Ich bin stets am Puls der Zeit geblieben»
Ihr halbes Leben lang unterrichtet sie schon Jugendliche in der Kunst des Kinderhütens. Margrit Mensch-Häring erzählt, wie vor 40 Jahren alles begann und was daraus wurde. Und warum Babysitting-Kurse heute noch zeitgemäss sind.
Nelly Anderegg
Die Hütedienste der Teenager sind begehrt. Mehr denn je. Viele Eltern sind froh um Entlastung bei der Betreuung ihres Nachwuchses. Vor allem dann, wenn die Grosseltern nicht hüten können oder wollen. Damit es dabei zur Win-win-Situation für Eltern, Kind und Babysitter kommt, besuchen viele der hütewilligen Teenager einen Babysitting-Kurs des Schweizerischen Roten Kreuzes (SRK). Dort werden erste Grundkenntnisse im Umgang mit den Sprösslingen vermittelt.
Frau Mensch, wann war eigentlich die Geburtsstunde der Babysitting-Kurse und welche
Geschichte steckt dahinter?
Margrit Mensch-Häring: Ich bin bereits seit 1976 fürs SRK tätig. Ich gab damals Säuglingspflege-Kurse für werdende Eltern. Aus diesem Grund fragte mich ein befreundeter Lehrer, ob ich nicht auch seine 14-jährigen Schülerinnen darin unterrichten könnte. Das tat ich. Denn die Säuglingspflege, bisher Bestandteil des Hauswirtschaftsunterrichts, wurde aus dem Lehrplan gestrichen. Sehr zum Bedauern der Schülerinnen. Zusammen mit diesem Lehrer erarbeitete ich einen ersten Kurs. Das geschah inoffiziell. 1979 wurde ich in die SRK-Zentrale in Bern geholt, wo ich in einer Arbeitsgruppe die Kurse weiterentwickelt habe. 1980, im Jahr des Kindes, gab das SRK dann den ersten nationalen Kursleitfaden heraus. Der Rest ist Geschichte.
Seit 40 Jahren leiten Sie nun schon diese Kurse. Ist es Ihnen nicht langsam verleidet?
Überhaupt nicht. Die Arbeit mit Jugendlichen wirkt sich bei mir wie ein Jungbrunnen aus. So bin ich stets am Puls der Zeit geblieben. Ausserdem gebe ich mein Wissen gerne weiter. Trotzdem denke ich langsam ans Aufhören. Das ist aber hauptsächlich äusseren Umständen geschuldet und liegt nicht etwa an meiner Motivation. Und die Frage zu meinem Alter lasse ich übrigens immer offen.
Wer nicht mit der Zeit geht, muss mit der Zeit gehen. Sind die Babysitting-Kurse heute noch zeitgemäss?
O ja! Ich und meine Berufskolleginnen vermitteln Wissen fürs Leben, das kommt nie aus der Mode. Die Kurse sind bei den Mädchen sehr beliebt. Ab und zu sind auch Burschen mit dabei. Ich persönlich bin sehr reflektiert und stets bemüht, die Kurse zu verbessern und dem Zeitgeist anzupassen. Beurteilungsbögen waren für mich seit jeher in dieser Beziehung sehr hilfreich.
Für vieles im Leben gilt: «learning by doing». Gilt das nicht auch fürs Kinderhüten?
Ja und Nein. Wer Kinder hütet, trägt automatisch eine grosse Verantwortung. Das mache ich den Jugendlichen in meinen Kursen erst einmal bewusst. Kinderhüten ist kein Kinderspiel und kann für den Babysitter schnell zur emotionalen Achterbahnfahrt werden. Kinder sind nicht nur süss und nett. In so manch einem steckt auch ein kleiner Tyrann. Ein Babysitting-Kurs legt eine gute Basis. Die Finessen lernt man später durchs eigene Tun.
Was lernen die zukünftigen Babysitter denn im SRK-Kurs genau?
Alles, von der kleinkindlichen Entwicklung über Ernährung, Pflege und Erste Hilfe. Das heisst: Zvieri oder Schoppen machen, Wickeln, altersgerechte Beschäftigung mit den Kindern bis hin zu Gefahren richtig einschätzen zu können. Am Ende des Kurses wird ein Babysitting-Pass ausgestellt. Dieser ist ein Nachweis und gleichzeitig erste Referenz.
Wie finden Eltern den richtigen Babysitter für ihren Nachwuchs?
Das SRK führt eine Babysitter-Website. Dort finden Eltern und Babysitter Kontakt zueinander. Später im persönlichen Gespräch merken die meisten Eltern sofort, ob das hinhaut oder im Fiasko endet. Das ist eine Bauchgefühl-Entscheidung. Beim ersten Hüten müssen die Eltern dann erst einmal dem Babysitter ihr Vertrauen schenken, bevor es sich dieser verdienen kann.
Was braucht es, um ein gutes «Hüetimäitli» oder ein guter «Hüetibueb» zu werden?
Grundvoraussetzungen sind: Herz und Verstand. Dieses Rüstzeug müssen die Jugendlichen schon mitbringen. Daran hat sich in all den Jahren nichts geändert. Freude am Umgang mit Kindern und Verantwortungsbewusstsein sind elementare Voraussetzungen dafür. Wie gut aber jemand ist, kann man nur beim Hüten selber feststellen.
Die «heutige Jugend» hat einen schlechten Ruf. Sie seien unzuverlässig, konsumorientiert und hängen nur am Smartphone. Keine guten Voraussetzungen, um auf Kinder aufzupassen. Wie nehmen Sie die Jugendlichen wahr?
Mich stört dieses Bild. Bei der älteren Generation kursieren viele dieser Behauptungen. Sie werden unseren Jugendlichen aber nicht gerecht. Und entfremden uns voneinander. Meine Erfahrung ist eine andere. Die Jugendlichen in meinen Kursen sind mit viel Elan und Interesse dabei und wollen etwas von mir lernen. Das freut mich jedes Mal aufs Neue. Das Smartphone hat bei mir während des Kurses und später beim Kinderhüten aber definitiv im Hosensack zu bleiben.
Thematisieren Sie die Nutzung von digitalen Medien in Ihren Kursen?
Ja. Im Zug oder Tram beobachte ich leider immer wieder Mütter, die ihrem Kind lieber das Smartphone in die Hand drücken, als sich mit ihm zu beschäftigen. Es gibt Kleinkinder, die nicht mehr in der Lage sind, eine Buchseite umzublättern und stattdessen über die Seite «wischen». Das Handy wird zum Babysitter. Für mich ein absolutes Unding. Es gibt eine Vielzahl von sinnvollen Beschäftigungen für Kinder. Mit meinen Kursteilnehmerinnen übe ich beispielsweise das Falten. Aus einem einfachen Blatt Papier entstehen die tollsten Dinge: ein Flugzeug oder ein Segelschiff. Spielerisch werden beim Falten Konzentration und Kreativität gefördert. Und ganz nebenbei machen die Kinder grundlegende mathematische Erfahrungen: Wer ein Blatt Papier in die Hälfte faltet, erfährt, was durch zwei teilen heisst.
Babysitter sind gefragt. Wollen die Grosseltern heute nicht mehr hüten?
Viele Grosseltern helfen meist gerne bei der Betreuung ihrer Enkel mit. Können oder wollen sie das nicht, hat das vielfältige Gründe. Vielleicht stehen sie selber noch im Arbeitsprozess, so fehlt ihnen die Zeit dazu. Oder sie wohnen weiter weg und können nicht spontan für einen «Hüeti»-Einsatz vorbeikommen. Auch gesundheitliche Probleme können eine Rolle spielen. Viele Babysitter begleiten daher eine Familie über einen längeren Zeitraum.