«Dieser Bevölkerungszuwachs ist ungesund»
12.09.2019 Baselbiet, Bubendorf, PolitikSVP-Nationalrätin Sandra Sollberger über ihre wichtigen Themen im Wahlkampf
Die «Volksstimme» hat die SVP-Nationalrätin Sandra Sollberger im Bundeshaus besucht. Wofür kämpft sie aktuell? Und läuft der Wahlkampf derzeit nicht etwas an der SVP vorbei? Um Antworten ist die ...
SVP-Nationalrätin Sandra Sollberger über ihre wichtigen Themen im Wahlkampf
Die «Volksstimme» hat die SVP-Nationalrätin Sandra Sollberger im Bundeshaus besucht. Wofür kämpft sie aktuell? Und läuft der Wahlkampf derzeit nicht etwas an der SVP vorbei? Um Antworten ist die Bubendörferin nicht verlegen.
David Thommen
Frau Sollberger, wir führen dieses Interview in der Wandelhalle des Nationalrats. Was ist Ihnen während der Herbstsession wichtig?
Es sind vor allem zwei Geschäfte: die Vaterschaftsinitiative und die Begrenzungsinitiative der SVP.
Dann fangen wir mit der Vaterschaftsinitiative an. Als Unternehmerin ist es Ihnen vermutlich wichtig, dass nicht zwei, drei oder vier Wochen Vaterschaftsurlaub eingeführt werden.
Ja, natürlich. Hier wird wieder ein neues Gesetz verlangt, das wir nicht brauchen. Jede Firma soll die Vaterschaftsferien nach ihren Möglichkeiten und in Absprache mit den Mitarbeitern selber regeln. Ich bin prinzipiell gegen solche gesetzlichen Vorgaben. Die Unternehmen bekommen immer mehr Vorschriften und Einschränkungen. Ich kämpfe hier im Nationalrat seit vier Jahren vehement dagegen an.
Sie sind also nicht prinzipiell gegen einen Vaterschaftsurlaub?
Der werdende Vater soll das mit der Firma selber abmachen. Novartis oder Roche sollen das anders regeln können als ein KMU. Es ist ja auch nicht jede Branche gleich und nicht jede Firma hat die gleichen finanziellen Möglichkeiten.
Wie machen Sie das in Ihrer Firma?
Jetzt gerade ist ein Mitarbeiter Vater geworden. Wir haben zusammen eine passende Lösung gefunden. Klar, vielleicht hätten wir ja alle gerne mehr Ferien. Aber es geht auch darum, dass sich ein KMU das wirtschaftlich vielleicht nicht leisten kann. Ein sicherer Arbeitsplatz ist wichtiger als neue Ferien. Kommt hinzu, dass es auch ungerecht ist: Man bestraft Mitarbeiter, die nie Kinder haben – sie kommen nicht in den Genuss solcher Ferien und müssen trotzdem mitbezahlen.
Sie haben die SVP-Begrenzungsinitiative angesprochen, welche die Kündigung der Personenfreizügigkeit mit der EU verlangt.
Sie ist eine Reaktion darauf, dass die vom Volk gutgeheissene Masseneinwanderungsinitiative nie umgesetzt worden ist. Wir können das – auch unseren Wählern gegenüber – nicht so stehen lassen. Die Schweiz muss die Zuwanderung wieder selber regulieren. Prognosen besagen, dass die Schweiz 2030 die 10-Millionen-Einwohner-Grenze erreichen wird. Das ist ein ungesund schnelles Wachstum. Denken Sie an unsere ganze Infrastruktur – Züge und Strassen sind jetzt schon überlastet. Wir haben auch gar nicht so viele Arbeitsplätze. Klar, man spricht von Fachkräftemangel. Doch von all den neuen Zuwanderern sind nur ein Bruchteil Ingenieure und Architekten, also sogenannte Fachkräfte.
Kündigt die Schweiz die Personenfreizügigkeit auf, wird die EU wegen der «Guillotine-Klausel» vermutlich alle anderen «Bilateralen» kündigen. Umfragen zeigen, dass diese Verträge beim Volk recht breit akzeptiert sind.
Abwarten. Bei der Masseneinwanderungsinitiative war der Zuspruch zu Beginn der Kampagne auch nicht riesig, sie ist dann trotzdem angenommen worden. Die Unterstützung spüre ich jetzt schon deutlich: Viele Bürgerinnen und Bürger sagen mir, dass sie es eine Sauerei finden, dass die ursprüngliche Initiative nicht umgesezt worden ist. Bei einigen geht das so weit, dass sie nicht mehr wählen und abstimmen gehen, weil «die da oben» sowieso machen, was sie wollen. Die Schweizer merken, was auf sie zukommt: Der Bevölkerungszuwachs in der Grössse des Kantons Bern in den nächsten zehn Jahren wird alle betreffen.
Wenn man derzeit nach England schaut, dann merkt man, dass die EU bei solchen Veränderungswünschen sehr unnachgiebig reagiert …
… Wir sind nicht in der EU. Es kann sein, dass alle «Bilateralen» tatsächlich gekündigt werden. Aber der wichtigste Vertrag, das Freihandelsabkommen, sowie 100 weitere Verträge mit der EU sind nicht tangiert. Bei den Handelsbeziehungen wird also nicht viel passieren. Wir haben in der Schweiz die höchste Qualität, Präzision und Produktesicherheit. Das sind unsere Stärken. Wenn wir diese beibehalten und sogar noch stärken, werden wir nie Schwierigkeiten bekommen.
Ein wirtschaftliches Risiko sehen Sie also nicht?
Nein, die Schweiz ist zu stark, zu gut. Ich behaupte sogar, dass wir die Besten sind. Darum möchte ich auch keine Vergleiche zu England ziehen.
Grossbritannien wird wegen des Streits mit der EU fast zerrissen. Es gibt zwei unversöhnliche Lager. Gibt es diese Gefahr auch für die Schweiz?
Die Schweiz war ja auch schon gespalten, denken Sie an den EWR. Und was ist heute? Wir haben gut überlebt – sehr gut sogar.
Schauen wir ins Baselbiet: Die SVP stellt keinen Ständeratskandidaten. Nicht zuletzt deshalb hat man das Gefühl, der Wahlkampf laufe etwas an der SVP vorbei.
Vielleicht kommen wir in den Medien tatsächlich etwas weniger vor.Von den Wählerinnen und Wählern werden unsere Positionen aber sehr wohl wahrgenommen.
Die SVP hat der FDP den Ständeratswahlkampf überlassen, weil sie selber in den Regierungsratswahlkampf ziehen durfte. Bereut man eine solche Abmachung im Herbst nicht?
Nein. Ich schaue das unternehmerisch an: Wenn man eine Baustelle erfolgreich abschliessen will, müssen der Maler und der Schreiner ja auch zusammenarbeiten, sonst gibt es kein gutes Resultat. Wenn SVP und FDP gut zusammenarbeiten, bekommen wir eine bürgerliche Ständerätin. Das ist entscheidend, deshalb unterstützen wir Daniela Schneeberger vorbehaltlos.
Die SVP hat bei den Landratswahlen verloren. Neue Umfragen zeigen, dass sie national ebenfalls verlieren dürfte.
Die SVP hat im Frühling zwar Wähleranteile eingebüsst. In Prozentpunkten war es nicht allzu viel, bei der Anzahl Sitze hingegen schon. Das liegt daran, dass wir vor vier Jahren mit Glück einige Restmandate erringen konnten, die nun wieder verloren gingen. So ist das Leben. Das kann der SVP im Herbst schlimmstenfalls auch auf gesamtschweizerischer Ebene passieren. Im Baselbiet bin ich aber zuversichtlich, dass wir gegenüber dem Frühling wieder zulegen können.
Die Themenkonjunktur spricht nicht unbedingt für Sie. Grün scheint ja vor allem im Trend zu sein.
Das mag im Moment so scheinen, doch gerade in der Klimadebatte relativiert sich gerade sehr vieles wieder. Es gibt hier zu viele Schnellschussideen. Die Leute merken, dass nicht alles plötzlich super wird, nur wenn man Grün wählt.
Was hat die SVP aus den Landratswahlen im Frühling gelernt?
Wir haben gelernt, dass einige in unseren Reihen angesichts der früheren Erfolge ein klein wenig bequem geworden sind und im Wahlkampf noch mehr Einsatz hätten leisten können. Davon ist heute nichts zu merken. Alle geben Vollgas.
Gab es als Folge der Landratswahlen Korrekturen bei der inhaltlichen Ausrichtung?
Da ändert sich überhaupt nichts. Ich sage immer klipp und klar, was ich denke. Wir trauen uns auch, unbequeme Dinge anzusprechen. Glauben Sie mir, das braucht Mut, da wird man häufig angefeindet. Mir hat einmal jemand gesagt: «Wische den Dreck, der dir angeworfen wird, nicht immer sofort weg. Trocknet der Dreck, gibt das mit der Zeit einen guten Panzer» (lacht). Nach vier Jahren im Nationalrat reagiert man auf Hassmails und Ähnliches zum Glück nicht mehr so empfindlich wie am Anfang. Inhaltlich schwenkt die SVP nicht um, wir sind keine Windfahnen.
Unser Eindruck: Früher ist es der SVP häufig besser gelungen, ihre Anliegen härter und präziser zu formulieren.
Was damit zu tun hat, dass die Themen früher auch etwas einfacher zu vermitteln waren. Kommen wie 2015 sehr viele Asylbewerber, dann ist es einfach zu erklären, dass wir das stoppen wollen. Wenn es aber wie heute darum geht, den Leuten zu erklären, weshalb der knifflige Rahmenvertrag mit der EU schädlich für die Schweiz ist, dann wird es komplizierter. Und die anderen Parteien ducken sich bei heiklen Themen vor den Wahlen, was die Sache ebenfalls schwieriger macht.
Zumindest kurzzeitig brachte sich die SVP mit dem Plakat mit dem Apfel, der von Maden zerfressen wird, ins Gespräch. Stehen Sie hinter diesem umstrittenen Sujet?
Hinter der Aussage? Auf jeden Fall! Wir von der SVP sind die Einzigen, die den Rahmenvertrag konsequent ablehnen. Wir wollen nicht, dass die Schweiz ausgelöchert wird. Mit diesem Rahmenvertrag gäbe die Schweiz ihre Unabhängigkeit auf.
Der Baselbieter SVP-Parteipräsident Dominik Straumann hat sich kürzlich in einem Interview mit der bz leise von diesem Plakat distanziert.
In der SVP darf jeder sagen, was er denkt. Wir reden nicht nur von der Demokratie, sondern leben sie aus. Bereits das Messerstecher- und das Schäfchenplakat wurden heiss diskutiert. Es ist Wahlkampf, nicht eine Kuschelrunde.
Sie sind im Wahlkampf häufig mit den Bürgern im Gespräch. Wo drückt die Schweizer der Schuh?
Tatsächlich nervt ganz viele auch heute noch, dass die Masseneinwanderungsinitiative nicht umgesetzt worden ist. Die Gesundheitskosten beschäftigen die Leute und ein Thema ist das Klima: Die Diskussion macht unsere Wählerinnen und Wähler mittlerweile «hässig». Man will nun ganz schnell irgendwelche Gesetze und Vorschriften kreieren. Die Leute haben aber längst gemerkt, dass das alles halt nicht so schnell geht und die Vorschläge von Links-grün völlig unrealistisch und teuer sind. Die Aussagen von dort sind einfach nur populistisch.
Alles also kein Problem?
Umdenken schadet sicher nicht, aber es lässt sich nicht mit Schnellschüssen und Verboten lösen. Überdies sollen wieder im grossen Stil Geld umverteilt und neue Subventionen geschaffen werden. Ich bin überzeugt, dass Subventionen beispielsweise für Elektroautos die Innovation für andere Technologien hemmen. Wir brauchen mehr Geduld, und diese Zeit haben wir. Ich sagen Ihnen: Nicht wir hier im Bundeshaus lösen mit Verboten und grossen Worten das Problem. Die Wirtschaft und die Gesellschaft werden es lösen.
Die Umwelt ist aber auch bei Ihnen ein Thema?
Absolut, sie war es immer schon. Wir haben in unserem Malereibetrieb beispielsweise schon sehr früh – bevor es Vorschrift wurde – eine Spaltanlage installiert, die dafür sorgt, dass beim Reinigen unserer Arbeitsgeräte keine Giftstoffe in den Wasserkreislauf gelangen. Dadurch wird unsere Arbeit für den Kunden leider etwas teurer, aber das ist sinnvoll. Bloss weichen einige Kunden dann aus: Sie gehen in den Do-it-Laden, kaufen Farbe und Pinsel. Und wohin geht die Farbe, wenn sie daheim den Pinsel auswaschen? Eben … Insgesamt hat die Schweiz im Umweltschutz aber schon unglaublich viel erreicht. In welchem anderen Land der Welt kann man aus fast jedem See einfach so Wasser trinken?
Frau Sollberger, Sie müssen bald in die nächste Sitzung. Ein Schlusswort?
Ich finde, die Schweizer Politiker jammern manchmal etwas zu viel. Dabei haben wir so viel erreicht! Wir sollten selbstbewusster werden und auch einmal übers das Gute reden. Die Schweiz hat so viel zu bieten! Darauf sollten wir viel stolzer sein.