«Schulden haben nichts mit Intelligenz zu tun»
22.08.2019 Baselbiet, Finanzen, Bezirk LiestalDie Arbeit der Fachstelle für Schuldenfragen Baselland nimmt zu
Schulden sind weder eine Frage des Alters, des Verdienstes oder der Intelligenz, weiss Diana Häner, Leiterin der Fachstelle für Schuldenfragen in Liestal.
Yvonne Zollinger
Frau ...
Die Arbeit der Fachstelle für Schuldenfragen Baselland nimmt zu
Schulden sind weder eine Frage des Alters, des Verdienstes oder der Intelligenz, weiss Diana Häner, Leiterin der Fachstelle für Schuldenfragen in Liestal.
Yvonne Zollinger
Frau Häner, warum kann ein junger Erwachsener für Prämienausstände bei der Krankenkasse belangt werden, welche die Eltern für ihn nicht bezahlt haben?
Diana Häner: Wenn Eltern die Krankenkassenprämien ihrer Kinder nicht bezahlen, haftet der junge Erwachsene ab 18 Jahren für seine Ausstände. Sobald er ein Einkommen hat, kann dieses gepfändet werden.
Das heisst, ein junger Erwachsener beginnt sein Arbeitsleben unter Umständen mit hohen Schulden, für die er nichts kann.
Das ist so. Er kann auf das Existenzminimum gepfändet werden, sobald er sein eigenes Geld verdient. Je nach Höhe des Einkommens geht der Betrag über dem betreibungsrechtlichen Existenzminimum an den Gläubiger. Da im betreibungsrechtlichen Existenzminimum keine Rückstellungen für laufende Steuern vorgesehen sind, kommt es automatisch zu neuen Schulden bei den Steuern.
Das hört sich sehr ungerecht an.
Das Betreibungsrecht sieht keine Privilegierung von Gläubigern vor. Darum werden keine Steuerrückstellungen für laufende Steuern im Existenzminimum eingesetzt. So kommt in dieser misslichen Situation automatisch ein neuer Gläubiger, die Steuerverwaltung, hinzu.
Beisst sich die Katze da nicht in den Schwanz? Die Steuerbehörde wird ja erst zum Gläubiger, weil das Betreibungsrecht die Steuern nicht zum Existenzminimum zählt.
Darum plädieren wir dafür, dass jemand, der auf das Existenzminimum gepfändet wird, die laufenden Steuern zahlen kann, damit es dort zu keiner Neuverschuldung kommt.
Haben Sie viele junge Erwachsene, die mit geerbten Schulden bei der Krankenkasse in die Schuldenberatung kommen?
Es sind bereits viele und es werden immer mehr. Etwa 10 Prozent der Ratsuchenden sind junge Erwachsene. Am Anfang versuchen sie auf eigene Faust, die Schulden loszuwerden. Darum sehen wir sie immer erst einige Jahre, nachdem sie die Prämienschulden von den Eltern übernommen haben. Wenn sie bei uns Hilfe suchen, ist der Schuldenberg dann bereits beachtlich angewachsen.
Und nicht alle jungen Erwachsenen haben den Mut, sich Hilfe zu holen.
Die Dunkelziffer ist gross. Steuern und Krankenkassen sind die häufigsten Gründe für eine Verschuldungssituation bei Erwachsenen. Das heisst, deren Kinder sind auf dem besten Weg, unsere späteren Klienten zu werden, weil die Eltern nicht nur ihre eigenen, sondern auch die Prämien ihrer Kinder nicht zahlen.
Wie werden junge Menschen über die Gefahren der Verschuldung informiert?
Die Schuldenberatungsstelle macht Präventionen an Baselbieter Schulen. Besser wäre, man würde diese Themen in den Stundenplan aufnehmen. Wie man seine Steuererklärung ausfüllt, die richtige Krankenkasse für sich findet, was die Konsequenzen eines Leasingvertrags sind und wie teuer ein Konsumkredit ist, sind wichtige Informationen, die helfen, Schulden vorzubeugen.
Sind die Schulen offen für diese Themen?
Wir machen etwa 20 Workshops pro Jahr mit Abschlussklassen im Baselbiet. Aber von vielen Schulen hören wir, dass sie sich die 300 Franken für den Präventionsworkshop nicht leisten können.
Gibt es Probleme, mit denen Sie sich in der Schuldenberatung tendenziell häufiger auseinandersetzen müssen?
In den vergangenen Jahren nehmen die Fälle zu, in denen verschuldete Leute vergeblich eine Wohnung suchen. Und das, obwohl wir auf dem Land einen Wohnungsleerstand haben. Dabei spielt ein neues Phänomen eine Rolle, das wir so bisher noch nicht kannten. Früher war es so, dass man die Miete gezahlt hat, egal was kommt. Heute gibt es immer mehr Leute, die Mietausstände bis zu einem halben Jahr haben. Öfters sind darunter auch Familien.
Wie geraten die Familien in diese Situation?
Die Familien sind meist schon bei anderen Gläubigern verschuldet. Sie zahlen Leasingverträge, Kreditschulden oder vielleicht auch private Schulden ab. Solche Fälle erfordern, dass wir schnell reagieren, damit es nicht zur Kündigung der Wohnung kommt. Manchmal können wir das mithilfe von Stiftungsgeldern verhindert.
Wie zeitaufwendig ist das für Sie?
Um einer Familie zu helfen, müssen wir in vielen Fällen fünf oder mehr Stiftungen anschreiben. Oft braucht es einige Monate, bis das Geld zusammen ist. Die Fachstelle stösst mit den vorhandenen personellen Ressourcen aufgrund der Zunahme von Ratsuchenden und den immer aufwendigeren Fällen an ihre Grenzen.
Wie viele Stellen bräuchten Sie, um optimal arbeiten zu können?
Um allen Herausforderungen, vor allem auch den zukünftigen, gerecht zu werden, müssten wir auf sechs Vollzeitstellen aufstocken können. Mit den gegenwärtig 370 Stellenprozenten ist die Fachstelle unterdotiert.
Wie könnte das erreicht werden?
Eine Möglichkeit wäre eine Beitragserhöhung bei den Mitgliedergemeinden. Schon seit einigen Jahren liegt der Beitrag unverändert bei 1.30 Franken pro Einwohner und Jahr. Eine weitere Möglichkeit ist, dass der Kanton einen Beitrag leistet, wie es in anderen Kantonen schon lange praktiziert wird. Bisher stand man in Baselland auf dem Standpunkt, dass die Schuldenberatung Sache der Gemeinden ist oder sich über Honorare der Klienten finanzieren soll. Wir beraten aber immer mehr Menschen, die bereits auf dem Existenzminimum leben und daher kein Honorar zahlen können. Unser Auftrag schreibt ganz klar vor, dass wir auch diesen Menschen helfen. Sicher ist, dass sich etwas ändern muss, wenn die Fachstelle in Zukunft allen Anforderungen gerecht werden soll.
Gibt es Personengruppen, die besonders schuldenanfällig sind?
Schuldenprobleme haben nichts mit Intelligenz, mit Herkunft oder der Höhe des Gehalts zutun. Wir beraten Menschen, die ein sehr gutes Einkommen haben, aber ihre Krankenkassenprämien nicht bezahlen, weil sie nicht mit Geld umgehen können. Zu uns kommen aber auch Familien, die mit 4000 Franken leben, keine Schulden haben und bei uns eine Budgetberatung suchen.
Welchen Rat geben Sie Menschen, die sich mit Schulden herumschlagen?
Wir würden uns wünschen, dass die Ratsuchenden früher zu uns kommen und nicht erst, wenn das Problem schon sehr gross ist. Also spätestens, wenn sie in eine Lohnpfändung rutschen, sollten sie unsere Hilfe in Anspruch nehmen. Je früher sie kommen, desto grösser ist die Chance auf eine erfolgreiche Schuldensanierung. Das heisst dann zwar, den Gürtel enger zu schnallen, aber mit der Perspektive, in absehbarer Zeit schuldenfrei leben zu können
Verein Fachstelle für Schuldenfragen BL
yzo. Auf Initiative von Sozialarbeitenden und Mitgliedern von Sozialhilfebehörden aus dem Kanton Baselland wurde 1991 der Verein Sanierungshilfe BL gegründet. Dies, nachdem in den 1960er- und 1970er-Jahren die Überschuldung von Privathaushalten stetig zugenommen hatte, eine professionelle Hilfestellung aber weitgehend fehlte. Ein Jahr nach Vereinsgründung nahm die Fachstelle für Schuldenfragen BL mit einem 25-Prozent-Pensum ihre Arbeit auf. 20 Gemeinden übernahmen damals mit ihren Betriebskostenbeiträgen die finanzielle Trägerschaft. In den folgenden Jahren scheiterten alle Versuche, die finanzielle Basis der Fachstelle bei Land- und Regierungsrat mit Kantonssubventionen zu sichern. Der Kanton Basel-Landschaft erklärte die Schuldenberatung und -sanierung zur alleinigen Aufgabe der Sozialhilfe, die ja bei den Gemeinden liegt. 1998 wurde mit dem Abschluss von Leistungsvereinbarungen mit fast allen Mitgliedsgemeinden der Umfang der Dienstleistungen und deren Kosten festgeschrieben. Der Arbeitsauftrag und die Finanzierung des Vereins erhielten dadurch eine klare Rechtsgrundlage. 2006 ist der Bestand der Mitgliedsgemeinden auf 73 angestiegen. Zusammen mit den Kollektiv- und Einzelmitgliedern zählt der Verein 123 Mitglieder.
www.schuldenberatung-bl.ch