Kinder im Studentenmodus
10.05.2019 Baselbiet, Bildung, Bezirk Liestal, GesellschaftProfessoren halten Vorlesungen vor 140 aufmerksamen Kindern
Zum zweiten Mal nach 2018 hat am Mittwoch im Kino Oris eine fünfteilige Vorlesungsserie begonnen. Gehalten werden die «Vorträge» von Professoren der Universität Basel. An ihren Lippen hängen aber nicht Studenten, sondern ...
Professoren halten Vorlesungen vor 140 aufmerksamen Kindern
Zum zweiten Mal nach 2018 hat am Mittwoch im Kino Oris eine fünfteilige Vorlesungsserie begonnen. Gehalten werden die «Vorträge» von Professoren der Universität Basel. An ihren Lippen hängen aber nicht Studenten, sondern neugierige Kinder.
Jürg Gohl
Zwischen acht und zwölf Jahre alt sind die Kinder. Sie haben es sich in den tiefen, gepolsterten Sitzen des Kinos Oris in Liestal bequem gemacht. Auf den ersten Blick erkennt man nicht, dass mit Ausnahme eines einzigen alle der insgesamt 137 Plätze besetzt sind. Nicht nur die Auftaktveranstaltung, der erste von fünf Vorträgen, die im Rahmen der Kinder-Uni in Liestal gehalten werden, war ausgebucht. Das gilt auch für die folgenden vier – in Basel wie in Liestal.
Bereits vor 15 Jahren wurden in Basel die ersten Vorlesungen für Kinder gehalten. Abgeguckt hat man das Format damals in Deutschland. Seit vergangenem Jahr ist der Baselbieter Kantonshauptort hinzugekommen. In Basel wurde noch Ende vergangenen Monats die diesjährige Serie in Angriff genommen. Vorgestern Abend ging es nun auch in der Kanonengasse in Liestal los. Heike Behrens, Professorin und Sprachwissenschafterin an der Universität Basel, sprach zum Thema «Wie lernen wir sprechen?», und die Kinder hörten ihr aufmerksam zu. Selbst als sie zwei Substantive erfand und die Kinder aufforderte, diese korrekt in die Mehrzahl zu setzen, um den jungen Zuhörern aufzuzeigen, dass es dafür im Deutsch wohl Muster, aber keine Regeln gibt, wurde ordentlich aufgestreckt oder eine Lösung in den Saal gerufen. Die Aufmerksam blieb sehr hoch – auch zum Erstaunen der Dozentin selber.
Das richtige Wort treffen
«Ganz so ruhig und aufmerksam sind die Kinder nicht immer», sagt sie hinterher, nachdem sie wie ein Rockstar den Kindern Autogramme gegeben hat. Doch offenbar ist ihr der Spagat gelungen, die Kinder zu packen, ohne zu banal zu sein. So setzte sie das Wort «Evolution» bei ihnen als bekannt voraus, sprach aber im Zusammenhang mit dem Wortschatz eines Menschen erklärend von «grossen, alten Dichtern wie Goethe» (er benutzte 90 000 Wörter). Es sei für sie auch eine der grössten Herausforderungen, auf einen zur Altersgruppe passenden Wortschatz zurückzugreifen. Entsprechend höher sei auch ihr Aufwand, diese spezielle Variante vorzubereiten. «Die Kinder sind zwischen acht und zwölf Jahre alt, das ist ein beträchtlicher Unterschied», sagt sie, und die Kinder würden ihr nach dem Referat beipflichten, haben sie doch eben beim Vortrag ihrer Dozentin lernen können, wie sich beim Individuum die Sprache, der Wortschatz wie die Regeln und Muster, allmählich aufbauen, bis man ein alter Goethe ist.
Vortrag? Das ist das falsche Wort. Auch Hans Syfrig, der bei der Universität Basel die Kinder-Uni leitet, spricht bei der Begrüssung konsequent von Vorlesung: Jemand breitet sein Wissen aus, alle hören aufmerksam zu. Auch fordert er die Kinder auf, ihren Schreibstift für Notizen bereitzuhalten, der in der bunten Umhängetasche mit der Aufschrift «Kinder-Uni – ich war 2019 dabei» neben einem Kursbuch lag. Nur in einem wesentlichen Punkt beugt man sich dem Alter der Zuhörerschaft. Statt der üblichen Dreiviertelstunde ist die Vorlesung auf eine halbe Stunde beschränkt.
Der Aufforderung, wie «grosse» Studenten mitzuschreiben, kam der zwölfjährige Luca nicht nach: «Es war so spannend, dass ich vollkommen vergessen habe, mir Notizen zu machen.» Es stehen ihm ja noch vier weitere Vorlesungen bevor, um sich in diesem Punkt zu bessern. «Warum und wie wir träumen», lautet der Titel der nächsten am 15. Mai. In den folgenden geht es um Bakterien, das Internet und Roboter.