Der Henker von Basel aus Tenniken
23.05.2019 Baselbiet, Kultur, Gesellschaft, SissachChristian Horisberger
Es ist düster im Henkermuseum zu Sissach. Die Fenster des einstigen Gefängnisses sind abgedunkelt, Spots werfen sparsam Licht auf die Exponate: Gerätschaften, mit denen einst Verurteilte ins Jenseits befördert worden sind. Folterinstrumente, mit ...
Christian Horisberger
Es ist düster im Henkermuseum zu Sissach. Die Fenster des einstigen Gefängnisses sind abgedunkelt, Spots werfen sparsam Licht auf die Exponate: Gerätschaften, mit denen einst Verurteilte ins Jenseits befördert worden sind. Folterinstrumente, mit denen Menschen zu Geständnissen gezwungen wurden. Mittendrin steht Guido Varesi. Und er strahlt übers ganze Gesicht.
Es ist ein gutes Jahr für den Gründer, Eigentümer und Kurator des Museums. Gleich drei neue Schätze hat er in den vergangenen Wochen für seine imposante Sammlung gewinnen können oder als solche identifiziert: ein Richtschwert, ein Gemälde von einem Scharfrichter und eine Filmaufnahme vom Mann, der den elektrischen Stuhl überlebte. Für Varesi ist ein Schatz bedeutender als der andere.
Die beste Schlagzeile liefert das Schwert, mit dem Anna Göldi 1782 nach einem der letzten Hexenprozesse Europas geköpft wurde. 110 Zentimeter lang, mit einem pflaumenförmigen Knauf und einem langen, für zwei Hände geschaffenen Griff. Die Waffe stammt aus der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, die Klinge ist zweischneidig und rasiermesserscharf, die Spitze abgerundet. Varesi ist überzeugt, dass es sich bei der Waffe, an die er bei einer Versteigerung in Zürich gelangte, um ein Richtschwert von höchstem historischen Wert handelt. «Alle Fakten deuten darauf hin.»
Unschuldig zum Tod verurteilt
Erworben habe er es 2008 an einer Auktion, weil ihm ein Schweizer Richtschwert in seiner Sammlung noch gefehlt hatte, erzählt er. Als er begann, der Geschichte des Schwertes mit der Gravur «Richtschwert St. Gallen» nachzuspüren, hätten sich nach und nach die Hinweise auf Anna Göldi verdichtet. Varesi spannte mit dem Präsidenten der Anna-Göldi-Stiftung und mehreren Blankwaffenexperten, unter ihnen Martin Sauter vom Historischen Museum Basel, zusammen. Deren Recherchen lieferten Hinweise darauf, aus wessen Sammlung das Schwert stammt und wer es mit der Gravur versehen hatte. Und auch, wer am 13. Juni 1782 der Magd, die in einem skandalösen Prozess unschuldig zum Tod verurteilt worden ist, den Kopf abschlug: Johann Jakob Vollmar, Scharfrichter für die «Fürstabtei St. Gallen».
Einem anderen Scharfrichter hat Museumsdirektor Varesi in seinem Reich einen Ehrenplatz eingeräumt: Martin Mengis. Ein Ölgemälde mit dem vorletzten Scharfrichter von Basel, aufgewachsen in Tenniken, hängt seit kurzer Zeit an einer Wand im Erdgeschoss des kleinen Museums.
Varesi spricht von einem «historischen Schatz», der jahrelang verborgen gewesen sei. Es gebe in seinen umfangreichen Dokumenten viele Aufzeichnungen über den 1737 geborenen Martin Mengis, aber bislang kein Gesicht dazu, sagt der Museumsleiter. «Eine Persönlichkeit, von der ich schon viel weiss, hat nun ein Gesicht bekommen.» Ganz besonders freue er sich über den lokalen Bezug, der bei den meisten anderen Exponaten im Henkermuseum nicht gegeben sei.
Henker wirkt mild
Das Gemälde kam in Basel bei einer Hausräumung ans Licht. Der Händler, dem es in die Hände fiel, bot es aufgrund der Aufschrift auf der Rückseite Varesi zum Kauf an. «Martin Mengis-Näher […] letzter im Amt gestorbener Scharfrichter», steht darauf geschrieben. Vermerkt sind auch Geburts- und Todesdaten von Martin Mengis und dessen Sohn Peter, dem er das Amt übergab. Diese decken sich mit den Informationen aus Varesis Dokumenten zu den beiden Henkern. Daher hat der Kenner keinen Zweifel daran, dass es sich beim Mann auf dem Gemälde tatsächlich um Martin Mengis handelt.
Das Porträt passt so gar nicht zu den Tötungs- und Foltergeräten und den Darstellungen von Hinrichtungen in allen Variationen. Der Mann auf dem Ölbild hat nichts Bedrohliches, Böses oder Verschlagenes, er wirkt gar milde. Dass sich Mengis so unspektakulär darstellen liess, überrascht Varesi nicht im Geringsten. Das Amt des Scharfrichters wählte man nicht, es wurde vom Vater an einen Sohn weitergegeben. Die Mengis’ waren eine Sippe von Scharfrichtern und damit von der Gesellschaft Ausgestossene, sagt Varesi. «Wer mit ihnen sprach oder sich in ihrer Umgebung aufhielt, beschmutzte sich.» Sich «normal» darzustellen wie auf dem Bild, sei der Versuch Mengis’ gewesen, sich vom unehrenhaften Amt zu distanzieren. Ein Scharfrichter sei stolz gewesen, wenn seine Kinder in der bürgerlichen Gesellschaft Fuss fassen konnten.
Illegal als Arzt gearbeitet
Martin Mengis-Näher wurde in Tenniken geboren, wo er im Abdecker- und Wasenmeisterhaus, später Armenhaus, aufwuchs. In welcher verwandtschaftlichen Beziehung er zum bekannten Rheinfelder Scharfrichter Theodor Mengis stand, der gegen Ende seiner Karriere in der ganzen Schweiz Todesurteile vollstreckte, ist Varesi nicht bekannt. Dafür weiss er, womit der Tenniker nebenher etwas verdiente: Er ging ohne entsprechende Ausbildung dem «arznen» nach, habe also als Mediziner praktiziert. Dagegen protestierte die medizinische Fakultät in einem Schreiben an den Bürgermeister. Das darauf erlassene Verbot nützte aber nichts. Mengis praktizierte heimlich weiter und kam dadurch zu so viel Geld, dass er eine Liegenschaft erwerben konnte. Die Amtswohnung des Basler Scharfrichters befand sich auf dem Kohlenberg. Heute befindet sich dort das Leonhardsgymnasium. Denn weder wollte nach der Abschaffung des Henkeramts jemand in die Wohnung ziehen, noch das Grundstück kaufen, nachdem das Haus abgebrochen worden war, erzählt Varesi. «Dann bauten sie eben die Schule.»
Geschichten wie diese oder wie viele Diebe, Kindsmörderinnen und Totschläger Mengis ins Jenseits beförderte, oder dass er an Kohlköpfen den präzisen Schwerthieb übte und vieles mehr, will Varesi in einer Publikation zum Bild zusammenfassen. Das Material dazu stecke in seiner grossen Büchersammlung rund um Hinrichtungen und Henker, das er in den 20 Jahren, seit das Museum existiert, zusammengetragen hat.
«Begegnung» mit Pius Buser
ch. Eine völlig überraschende «Begegnung» mit einem «alten Bekannten» erlebte Henkermuseum-Chef Guido Varesi Anfang April dieses Jahres: Ein Hobby-Filmer liess ihm eine kurze Farbfilmaufnahme mit Pius Buser zukommen. Das Bilddokument von 1960 zeigt den Entfesselungskünstler aus Sissach allerdings nicht in Aktion, sondern in Strassenkleidung auf einem Campingplatz. Der Sissacher war zu Lebzeiten ein landesweit bekannter Schausteller und Entfesselungskünstler. Seine Darbietungen waren waghalsig und lebensgefährlich. Unter anderem liess er sich in den 1920er-Jahren an einen elektrischen Stuhl fesseln und diesen unter Strom setzen. Varesi hat Pius Buser in seinem Museum einen eigenen Bereich gewidmet. Zu sehen ist unter anderem Busers elektrischer Stuhl.