Denkpause für neue Mobilfunk-Generation
09.05.2019 Baselbiet, ZunzgenGemeinderat beantragt Bausperre für Handyantennen – SP fordert 5G-Moratorium
Der Zunzger Gemeinderat möchte vorerst keine neuen Mobilfunkantennen im Dorf. Vor dem Bau der Anlagen will er ein neues Reglement über deren Standorte erstellen. Die SP Baselland stellt 5G nun auch im ...
Gemeinderat beantragt Bausperre für Handyantennen – SP fordert 5G-Moratorium
Der Zunzger Gemeinderat möchte vorerst keine neuen Mobilfunkantennen im Dorf. Vor dem Bau der Anlagen will er ein neues Reglement über deren Standorte erstellen. Die SP Baselland stellt 5G nun auch im Landrat zur Debatte.
Christian Horisberger
Der Zunzger Gemeinderat beantragt dem Bauinspektorat eine Bausperre für Mobilfunkanlagen und die Sistierung eines hängigen Baugesuchs der Swisscom. Der Antrag sei keine Einsprache gegen das Baugesuch der Swisscom, hält Gemeindeverwalter Cristiano Santoro auf Anfrage fest.Vielmehr sei er die Konsequenz eines Gemeindeversammlungsbeschlusses vom 20. März (die «Volksstimme» berichtete). Der Souverän hatte den Gemeinderat beauftragt, ein Kaskadenmodell, also eine Priorisierung für die künftige Wahl von Mobilfunkantennenstandorten zu entwickeln.
Der Gemeinderat habe die ersten Schritte zur Erarbeitung des Kaskadenmodells eingeleitet, sagt Santoro. Bis ein rechtskräftiges Reglement und der dazugehörige Plan stehen und vom Souverän bearbeitet ist, werde es eine Weile dauern. Daher habe der Gemeinderat das Bauinspektorat gebeten, das Baugesuch für die neue Antenne auf Eis zu legen. «Würde das Baugesuch bewilligt, hätte das zu entwickelnde Reglement darauf keine Wirkung», so Santoro.
Eine Bausperre hat laut Paragraf 54 des Baselbieter Raumplanungsgesetzes Gültigkeit für ein Jahr. Ist das Reglement bis dahin nicht unter Dach, bestünde laut Paragraf 53 die Möglichkeit, im Anschluss für bis zu vier Jahre eine Planungszone zu erlassen. Der Entscheid des Bauinspektorats stehe noch aus, der Gemeindeverwalter ist aber zuversichtlich, dass es gutgeheissen wird. Die Swisscom wolle eine mögliche Bausperre inhaltlich und rechtlich prüfen und behalte sich vor, gegebenenfalls dagegen vorzugehen, erklärt Firmensprecherin Sabrina Hubacher.
Bedenken nicht ausgeräumt
Martin Kanwar, der in Zunzgen das Kaskadenmodell, «ob für 4G, 5G oder auch für 8G» forderte, nimmt das Vorgehen der Gemeinde zur Kenntnis, ohne euphorisch zu werden: «Das sind notwendige Schritte, um dem Volkswillen zu entsprechen. Das ist der normale Weg.» Martin Kanwar ist Unternehmensberater und kein Spezialist für Kommunikationstechnik. Er verteufle weder Handys noch Tablets oder Notebooks, sondern engagiere sich gegen die Antenne, weil zu viele Fragen rund um 5G unbeantwortet seien, sagt Kanwar. Er und seine Mitstreiter hätten bei Spezialisten Informationen zur neuen Mobilfunktechnologie eingeholt, die Fachleute hätten Bedenken über allfällige gesundheitliche Auswirkungen der Strahlung nicht ausräumen können. Der Antennengegner ist gespannt auf die Ergebnisse der Studie über Chancen und Risiken von 5G, die der Bundesrat bei einer Expertengruppe in Auftrag gegeben hat. Bis in Zunzgen ein Entscheid zur Handhabe von 5G gefasst werden könne, liege auch der Bericht der Expertengruppe vor, sagt Kanwar.
Wichtige Erkenntnisse erhoffen sich auch die treibenden Kräfte von 5G-Moratorien in mehreren Kantonen: Genf, Jura und die Waadt haben eines geprüft, in weiteren Kantonen sind Vorstösse in Vorbereitung – auch in der Region. In Basel haben die Grünen den Ball aufgenommen, im Baselbiet sind es die Sozialdemokraten. Die SP Baselland verlangt ein zweijähriges Moratorium gegen den Aus- und Aufbau von 5G-Sendeanlagen auf Kantonsgebiet. Dieses sei so lange aufrechtzuerhalten, bis das Bundesamt für Umwelt seinen Bericht veröffentlicht hat und andererseits unabhängige wissenschaftliche Erkenntnisse zu den potenziellen Gesundheitsschäden für Mensch,Tier und Pflanzen vorliegen. Bei 5G würden kurzwellige Strahlen freigesetzt, die von der Haut absorbiert werden. Es sei noch nicht erforscht, welche Folgen daraus resultieren, schreibt SP-Landrätin Désirée Jaun in ihrer Motion «Moratorium – 5G-Ausbau stoppen!», die sie heute im Landrat einreichen wird.
Zu hohe Erwartungen an Bericht
Axel Hettich dämpft die Erwartungen, die allseits in den Expertenbericht gesetzt werden. Der Leiter Nichtionisierende Strahlung beim Lufthygieneamt beider Basel weist darauf hin, dass die vom Bundesrat beauftragte Expertengruppe nicht über die Einführung von 5G entscheide, sondern mit ihrem Bericht Optionen im Hinblick auf den zukünftigen Ausbau der Mobilfunknetze zeigen werde. Der gesundheitliche sei einer von vielen Aspekten, die darin betrachtet würden.
Der Fachmann weist darauf hin, dass die 5G-Technologie zwischen bereits genutzten Frequenzbändern gesendet werde – innerhalb der bestehenden Grenzwerte der Verordnung über den Schutz vor nichtionisierender Strahlung (NISV). «Aus umweltschutzrechtlicher Sicht ist nicht die Technologie, sondern die Sendeleistung massgebend», sagt Hettich. Auf Baugesuchen sei daher «5G» noch nicht einmal erwähnt. 5G-Anlagen seien grundsätzlich bewilligungsfähig. Die schnellere Übertragungsrate und höhere Kapazität (siehe Kasten) sei nicht einer höheren Sendeleistung zu verdanken, sondern der effizienteren Technologie und neuen Frequenzbändern.
Beim Baselbieter Bauinspektorat sind aktuell drei Baugesuche neueren Datums (seit 2017) zu Mobilfunkantennen mit Einsprachen rechtshängig, heisst es auf Anfrage. Inhaltlich würden sich die Gesuche und die Einsprachen aber nicht auf die 5G-Thematik beziehen. Rechtskräftige Einspracheentscheide explizit zur 5G-Thematik lägen im Baselbiet noch keine vor.
Was kann 5G?
5G steht für fünfte Mobilfunkgeneration. Sie bringt eine massiv schnellere Datenübertragungsrate von 10 Gbit/s, die 100-mal höher ist als bei 4G (LTE), die Reaktionszeit von weniger als einer Millisekunde ist 30- bis 50-mal kürzer als bei 4G. «Das öffnet die Tür zu neuen Anwendungsbereichen, insbesondere im Bereich des Internets der Dinge (IoT), der Kommunikation zwischen Maschinen, der Ultra-Breitband-Anwendungen, der selbstfahrenden Autos usw. im Netz», schreibt das Bundesamt für Kommunikation. Ausserdem können 100-mal mehr Endgeräte gleichzeitig angeschlossen werden, wodurch die Zahl der vernetzten Gegenstände pro Quadratkilometer auf 1 Million steigt. Die Datenübertragung ist zudem deutlich energiesparender. Wer 5G nutzen will, braucht die entsprechende Hardware – beispielsweise ein neues Smartphone.
Die Swisscom will bis Ende dieses Jahres über 90 Prozent der Schweizer Bevölkerung mit 5G versorgen, Salt will den neuen Standard im dritten Quartal 2019 einführen. Sunrise setzt auf «Glasfaser durch die Luft». Dabei handelt es sich nicht um traditionelle Mobilfunkdienste, sondern um Festnetzangebote über die Luft. Im Baselbiet sind gemäss Übersichtskarte des Bakom acht Antennenstandorte für 5G ausgerüstet, davon eine bei Hölstein und eine auf der Rickenbacherhöhe.