Chinesisch, Bier, Da Vinci und Wildkräuter
10.05.2019 Baselbiet, BildungDie Volkshochschule beider Basel wird 100 Jahre alt
Die Volkshochschule beider Basel, die in diesem Jahr ihren 100. Geburtstag feiert, möchte ihr Jubiläum nutzen, um auf ihr Angebot aufmerksam zu machen. Gut 10 000 Personen jährlich profitieren bereits davon.
Jürg ...
Die Volkshochschule beider Basel wird 100 Jahre alt
Die Volkshochschule beider Basel, die in diesem Jahr ihren 100. Geburtstag feiert, möchte ihr Jubiläum nutzen, um auf ihr Angebot aufmerksam zu machen. Gut 10 000 Personen jährlich profitieren bereits davon.
Jürg Gohl
Wer in Gelterkinden vom Bahnhof in Richtung Zentrum spaziert, begegnet ihnen gleich zwei Mal, zuerst beim Bahnhof, danach neben der Poststelle: in Weinrot gehaltene, V-förmige Sitzgelegenheiten. Insgesamt sind im ganzen Baselbiet in diesem Jahr 27 solcher Bänke platziert, im Kantonshauptort sind es alleine deren vier, und sie sind auch in Basel anzutreffen.
«Hundert Jahre neugierig», steht auf der einen Seite des Pfeilers, und auf der anderen folgt die Erklärung: «Volkshochschule beider Basel». Eine der ältesten Volkshochschulen des Landes feiert in diesem Jahr mit verschiedenen Veranstaltungen und Aktionen ihr Jubiläum. Die aufgestellten Sitzplätze, welche die Neugier, ein Schlüsselwort der Volkshochschule, bei den Passanten wecken sollen, sind nur ein Beispiel dafür. Die V-Form der Bank entspricht dem sogenannten «keyvisual» des Jubilars.
Bereits vor einem Monat fand der offizielle Festanlass in der Kaserne in Basel statt; auf 100 000 Brottüten sind Kurs-Gutscheine zu finden; im Herbst – die eigentliche Gründung erfolgte im Oktober 1919 – wird der Platz bei der sitzenden Helvetia am Kleinbasler Kopf der Mittleren Brücke für zwei Wochen bespielt. Und es werden vier spezielle Jubiläumskurse angeboten, in denen unter verschiedenen Aspekten auf die bewegte Zeit des ersten Nachkriegsjahres eingegangen wird.
Der Landesstreik als Auslöser
Auf Aktuelles wird aber nicht nur in eigener Sache eingegangen: So stösst man im diesjährigen Kursprogramm auf Themen wie das Universalgenie Leonardo da Vinci, der vor 500 Jahren starb, wie das Basler Münster, das vor 1000 Jahren erbaut wurde, und wie den jungen Pablo Picasso, dessen frühe Werke aktuell in Riehen ausgestellt sind.
Doch blättern wir 101 Jahre zurück: Der Landesstreik von 1918 und der Basler Generalstreik im Jahr darauf gaben den Ausschlag, nach dem Vorbild Englands die Universität nicht mehr länger nur der gehobenen Gesellschaft zugänglich zu machen, sondern sie allen Neugierigen und Interessierten zu öffnen. Explizit hatte man damals die «weniger privilegierte Schicht» als Zielpublikum im Auge.
«Die Volkshochschule soll für die breite Bevölkerung ein offenes Fenster der Universität bilden», sagte der Basler Regierungsrat Conradin Cramer am 5. April an der offiziellen Jubiläumsfeier. Er nannte damit den Hauptgrund, der damals zur Schaffung der Volkshochschule führte und der noch heute gilt. Cramer wies auch auf den Wert dieser Schule für Erwachsene (das Mindestalter beträgt 16 Jahre) hin. Sie leiste Arbeit im Dienst der Demokratie. Er sprach von einer «Demokratisierung des Wissens».
In ihrem Selbstbeschrieb zum Jubiläum umreisst die Volkshochschule ihre Ziele: «Wir ermöglichen einen niederschwelligen und für alle offenen Zugang zu anspruchsvoller Allgemeinbildung. Wir fördern den Dialog zwischen Wissenschaft und Gesellschaft und unterstützen Einzelne in ihrem Wunsch, sich weiterzuentwickeln, zu bilden und sich neue Fertigkeiten und Kenntnisse anzueignen.»
Von der Uni gelöst
Anfänglich gliederte sich die Volkshochschule der Basler Universität an, und die Professoren hatten das Sagen, was gelehrt wird. Im Verlauf der Jahre löste sie sich immer stärker von der Uni, es kamen zu den wissenschaftlichen neu Sprach-, handwerkliche oder künstlerische Kurse hinzu. Heute werden 13 Sprachen, unter anderem Russisch, Norwegisch und Chinesisch, auf verschiedenen Niveaus angeboten. Mehr noch: Die Kursbesucher können dabei wählen, ob sie einfach die Sprache erlernen, sich lieber auf Konversation einlassen, sich mit der Kultur des entsprechenden Landes befassen oder das Gelernte mit einer Reise verbinden wollen.
Organisatorisch stellte sich die Schule 1966 auf eigene Beine. Vor 30 Jahren wurde das Baselbiet, aus dem fast die Hälfte der Besucher stammte, zum Mitträger. Seither trägt die Volkshochschule, die auch von einem bikantonal besetzten Stiftungsrat geleitet wird, den Zusatz «beider Basel» im Namen.
Beide Basel zahlen mit
Im Dezember 2016 beschloss der Baselbieter Landrat, den Beitrag an die Volkshochschule um 100 000 Franken zu senken. Damit leistet Baselland jährlich eine Zahlung von 643 000 Franken an das Budget von rund 3,5 Millionen Franken. Basel-Stadt verzichtete darauf, es seinem Nachbarn gleichzutun, und zahlt weiterhin 697 000 Franken. Weiter beteiligen sich einzelne Gemeinden an den Kosten. Doch runde zwei Drittel der Einnahmen machen die Kursgebühren aus.
Die jährliche Besucherzahl hat sich in den vergangenen Jahren bei etwas über 10 000 Personen eingependelt, nachdem im Wintersemester 1992/93 noch 13 800 registriert worden waren. «Diese Menschen aus der Region nutzen die Volkshochschule als Ort des freiwilligen Lernens und der Horizonterweiterung. Das ist eine regelrechte Erfolgsgeschichte», stellt Adrian Portmann, der Geschäftsführer der Organisation, fest. «Die Teilnehmenden sind in unserer ‹Universität für alle› am richtigen Ort: In der Volkshochschule ist der Blick über den Tellerrand Programm und die Neugierde eine Kardinaltugend.»
Die Aufforderung, den typischen Kursbesucher zu beschreiben, bringt Michaela Stoll, die Medienverantwortliche, etwas in Verlegenheit. Das hänge stark vom Angebot ab, das man sich anschaut – generell schätzt sie, dass Frauen und Männer zu gleichen Teilen vertreten sind. Die Sprachkurse werden von Jüngeren rege besucht, in den Wissenskursen sind die Besucher eher über 50 Jahre alt.
700 Kurse – auch im Oberbaselbiet
Den Besuchern stehen heute gut 700 Kurse, Exkursionen und Vorträge zur Auswahl – vor hundert Jahren waren es noch 21. Und der Ausbau ist längst nicht abgeschlossen: Im vergangenen Winter etwa wurde die Kurspalette um das «Programme for English Speakers» und das «Café scientifique» erweitert.
Zum grössten Teil finden die Angebote in Basel statt. Das grösste Standbein im Baselbiet ist Laufen, weil die dortige Volkshochschule zur Brudereinrichtung der beiden Basel stiess, als das Laufental seine Kantonszugehörigkeit wechselte. Es werden aber auch Kurse abseits von Laufen und Basel abgehalten, auch im Oberbaselbiet: In Sissach wird eine dreiteilige Vortragsreihe zum Thema «Warum sollen wir Romane lesen?» sowie eine archäologische Wanderung von der Fluh ins Dorf angeboten, und für einen «kulinarischen Wildkräutertag» begibt man sich sogar nach Hemmiken.
Trotz der offiziellen Loslösung ist die Volkshochschule eng mit der Universität Basel verbunden geblieben. So geniessen viele Kurse Gastrecht im Kollegiengebäude, und es sitzen zwei Delegierte der Uni im siebenköpfigen Stiftungsrat, der seit 2010 vom Bottminger Advokaten und Mediator Hans Ulrich Schudel, Stiftungsrat, präsidiert wird.
Auch leiten nach wie vor zahlreiche Uni-Dozenten die Kurse. «Unsere Kurse bieten ihnen eine attraktive Plattform, ihr Wissen mit Nicht-Wissenschafterinnen und -Wissenschaftern zu teilen», sagt Michaela Stoll.
Verein «Bildung für alle» gegründet
jg. Zum Jubiläum der Volkshochschule beider Basel wurde der Verein Bildung für alle gegründet. Er hat zum Ziel, dass auch Menschen mit einem geringen Einkommen ermöglicht wird, von Weiterbildungsmöglichkeiten zu profitieren. Zudem sind kostenlose Lernzentren oder Grundkurse im Angebot, in denen flüssiges Lesen und Schreiben sowie Rechnen und das Bedienen eines Computers gelernt werden können. Die Volkshochschule hat hierfür einen zusätzlichen Leistungsauftrag der beiden Basel erhalten.
Senioren-Uni jubiliert
jg. Neben der Volkshochschule beider Basel feiert auch die angegliederte Senioren-Universität in diesem Jahr einen runden Geburtstag. Sie wurde vor 40 Jahren, ebenfalls als erste ihrer Art in der Schweiz, ins Leben gerufen. Die rund 40 Vorträge zu aktuellen Forschungsthemen, gehalten im Kollegiengebäude von Uni-Dozenten aus allen Fakultäten, sind immer ausgebucht, obwohl sie sogar doppelt geführt werden. Die Besucher, pro Jahr sind es 1300 Personen, müssen 58 Jahre alt sein.