«Wir haben versagt»
17.05.2019 Baselbiet, Landwirtschaft, SissachDiskussionsplattform zur Rettung des Bodens
Das Forum für Landmanagement bringt seit sechs Jahren Exponenten aus verschiedensten Bereichen zusammen, um über eins zu debattieren: den Boden. Vorgestern Abend war es wieder so weit. Es ging um Grund und Boden.
Lucas ...
Diskussionsplattform zur Rettung des Bodens
Das Forum für Landmanagement bringt seit sechs Jahren Exponenten aus verschiedensten Bereichen zusammen, um über eins zu debattieren: den Boden. Vorgestern Abend war es wieder so weit. Es ging um Grund und Boden.
Lucas Huber
«Ziehen wir uns und unseren Kindern den Boden unter den Füssen weg?» Das war die Ausgangsfrage des Forums für Landmanagement, das im Schloss Ebenrain stattfand. Es brachte Investoren, Bauplaner, Städtebauer, Treuhänder, Agronomen, Arealentwickler und weitere zusammen, um über eins und nur eins zu sprechen: den Boden. Dass dieser ein endliches Gut ist, gerade in der dicht besiedelten Schweiz, wissen wir. Dass dieser in einer Geschwindigkeit überbaut wird, dass unseren Grossvätern schwindlig würde, ebenso. Dass wir aber versagt haben, und zwar auf ganzer Linie, das schwant uns schon länger und seit der Fridays-for-Future-Bewegung noch etwas mehr.
Dass aber einer von hier diesen Satz in den Mund nimmt, einer, der es wissen muss und der es auch noch sehr ernst meint, das ist eher neu. Doch Referent Lukas Kilcher, Leiter des Ebenrain-Zentrums für Landwirtschaft, Natur und Ernährung, sagte genau dies am Dienstagabend in Sissach zu 80 Zuhörerinnen und Zuhörer: «Meine Damen und Herren, wir haben versagt!»
Und zwar darin, haushälterisch mit dem Boden umzugehen. «Die Schweiz verbaut ihr fruchtbarstes Ackerland und verliert es unwiederbringlich. Und die Geschwindigkeit dieses Verlusts ist atemberaubend.» Kilcher rechnete vor, dass in jeder Sekunde 1,1 Quadratmeter landwirtschaftliche Nutzfläche (LN) verloren gingen, «seit 1985 unglaubliche 5,9 Prozent der gesamten LN in Baselland». Der Schweizer Durchschnitt ist mit 5,4 Prozent geringfügig kleiner.
Kilcher veranschaulichte ein zweites Beispiel, das Grosse Moos im Seeland, entstanden durch die Juragewässerkorrektionen. Das Grosse Moos ist der Gemüsegarten der Schweiz – oder wird es bald gewesen sein, denn die torfigen Böden senken sich, versanden, kurz: verlieren ihre Fruchtbarkeit. Aus Kilchers Sicht sind sie in grosser Gefahr. «Wir sollten uns schämen», sagte er kopfschüttelnd. Und als er anfügte, es sei gewaltig, was der Mensch mit der Welt mache, meinte er das keineswegs als Kompliment.
«Wir müssen umdenken»
Kommt ein weiteres Problem hinzu: die Ernährung. 1960 ernährte eine Hektare Agrarland zwei Menschen, heute fünf. Ein einzelner Bauernbetrieb in der Schweiz ernährt heute 163 Menschen. «Ein Hof ernährt immer mehr Menschen. Die Frage ist nicht, ob diese Rechnung eines Tages nicht mehr aufgeht, sondern wann.»
Kilchers Fazit: «Wir müssen umdenken.» Aus seiner Sicht muss Schluss sein mit eingeschossigen Supermärkten an Ausfallstrassen, Schluss mit Parkplätzen, die Ackerland verdrängen, und Schluss mit Produkten wie Tomaten aus Marokko, die mit fossilem Wasser aus dem Saharabecken bewässert werden. «Wir beanspruchen zweimal die Schweiz.»
Wenn Lukas Kilcher an diesem Abend der Anwalt der Landwirtschaft war, so übernahm Lukas Ott die Rolle des Anwalts für pragmatische Lösungen. Der Leiter Kantons- und Stadtentwicklung Basel-Stadt strich nicht nur die soziale Komponente des Bodens hervor; Stichwort Sozialwohnungen in der Stadt. Er wies auch darauf hin, dass die Stadtfläche Basels durchaus intelligenter genutzt werden könnte – und müsste. Die Herausforderungen seien allerdings nur gemeinsam lösbar – gemeinsam von Stadt und Land, Schulter an Schulter.
Dem pflichtete auch der dritte Redner bei, Benedikt Koch, Direktor des Schweizer Baumeisterverbands. Dass selbst einer wie er an Tagen wie diesen kein Plädoyer fürs unendliche Bauen hielt, überraschte nicht. Hätte er aber ohnehin nicht, denn Koch ist Agronom, aufgewachsen auf einem Bauernhof.
Er beleuchtete das enorme Potenzial verdichteten Bauens, liess aber die Ängste vor Verdichtungsbestrebungen nicht unerwähnt. Er wies auch auf die «grossen Hürden» hin, die man sich mit dem Denkmalschutz selbst auferlege. Wenn Koch von Verdichtung spricht, dann spricht er auch von Strassen und Bahntrassen und den Möglichkeiten etwa unterirdischer Verkehrsinfrastrukturen. Das koste, ja, doch stelle sich die Frage, ob es auf lange Sicht überhaupt Alternativen gebe. Denn letztlich gilt, womit Koch schloss: «Das Schicksal des landwirtschaftlichen Bodens hängt stark von seinem Preis ab.» Und dieser Preis, mit seinen gesellschaftlichen und ökologischen Komponenten, wird steigen.