Wenn die Manege zur Musical-Bühne wird
18.04.2019 Bezirk Waldenburg, Eptingen, KulturDübendorf | Florian Schneider spielt in der Familiensaga des Zirkus Knie
Das «Circus Musical» bringt die spannende, über 200 Jahre dauernde Geschichte des renommiertesten Schweizer Zirkus und der Knie-Dynastie auf die Bühne. Tragender Pfeiler des Musicals und ...
Dübendorf | Florian Schneider spielt in der Familiensaga des Zirkus Knie
Das «Circus Musical» bringt die spannende, über 200 Jahre dauernde Geschichte des renommiertesten Schweizer Zirkus und der Knie-Dynastie auf die Bühne. Tragender Pfeiler des Musicals und Hauptdarsteller ist der Baselbieter Sänger Florian Schneider.
Robert Bösiger
Wir sitzen in einem Zirkuszelt. Oder doch nicht? Denn hier liegt nicht diese für einen Zirkus so typische Duftmelange aus Popcorn, Sägemehl und Tierdung in der Luft. Und doch … Hinter der Kulisse spielt eine Band. Die Spannung steigt. Da öffnet sich der Vorhang und aus einer Türe tritt er heraus: Unser Oberbaselbieter Sänger und gefeierter Musicaldarsteller Florian Schneider. Kostümiert im Frack und mit Perücke spielt er Friedrich Knie senior. Er verkörpert den Leibarzt der Kaiserin Maria Theresia am Hofe zu Wien – und den etwas verhärmten Vater des Begründers der Knie-Dynastie.
Dieser Sohn gleichen Namens lässt sich nicht lange bitten: Er erscheint auf der Bühne, dargestellt vom deutschen Musicalsänger Alexander Klaws. Natürlich hat der Vater keine Freude, als ihm sein Junior eröffnet, das Medizinstudium zugunsten einer Karriere als fahrender Gaukler an den Nagel zu hängen. Diese Ansage kommt einer Majestätsbeleidigung gleich. «Brotlose Kunst», schmettert der Vater dem aufbegehrenden Sohn hinterher. Und: «Wehe, er tut dem Namen Knie Schande an!»
«Zirkus ist alles …»
Im nächsten Bild beobachten wir Friedrich Knie junior, wie er mit seiner Gruppe fahrender Artisten irgendwo in der Provinz seine Zelte aufschlägt und die Freiluftarena aufbaut. «Möge das Publikum uns mit Goldstücken bewerfen», ruft er aus. Und dann sagt er jenen Satz, der so etwas wird wie der Leitsatz aller Knie-Generationen und Zirkus-Unternehmen: «Zirkus ist alles – und alles ist Zirkus.»
Bald wird klar, dass der junge Knie und seine Frau Antonia die «Erfinder» sein könnten des späteren Begriffs «Showbusiness» – der Mischung aus Unterhaltung und Geschäft. Genau das ist es, was uns die vielen Darstellerinnen und Darsteller, Artistinnen und Artisten an diesem Abend in Dübendorf bieten – Unterhaltung vom Feinsten: Da wird getanzt, jongliert, balanciert, parodiert. Und da wird gesungen und geschauspielert. Und die (leider nicht sichtbare) Band hinter den Kulissen ist eine Klasse für sich.
Die Familiensaga Knie nimmt ihren Lauf, und bereits steht die nächste Generation in der Arena. Als die Künstler- und Tänzergesellschaft Knie eingeladen wird, im Wiener Schloss Schönbrunn vor dem Kaiserpaar aufzutreten, kommt es zum Wiedersehen von Vater und Sohn Friedrich. Und hier, nach der applaudierten Vorstellung, kommt es zu der wohl eindrücklichsten Szene des ganzen Stücks: Der Sohn möchte vom Vater endlich den Segen erhalten. Bevor er diesen erhält, macht sein Herz nicht mehr mit, er sinkt zu Boden. Der herbeieilende Vater muss machtlos zusehen, wie der Sohn in seinen Armen stirbt.
Florian Schneider singt bestürzt und in allerbester Musicalmanier. In grosser Trauer um seinen Sohn singt er ergreifend: «Nun ist es zu spät. Ich habe dich verloren. Weshalb hab ich dir nie gesagt: ‹Ich bin stolz auf dich›? Ich selber war einfach zu stolz…» In dieser berührenden Szene zeigt sich Schneiders grosse Klasse.
«… und alles ist Zirkus»
Ohne Friedrich, dafür mit dessen Sohn Karl und der Witwe Antonia zieht der Zirkus weiter. Schwierigen Zeiten entgegen: Das Volk hungert, leidet unter Kriegswirren und Napoleons Truppen. Doch die Familie Knie wächst – und teilt sich. Ausschnittweise werden dem Musicalpublikum weitere Meilensteine in der Familiengeschichte dargebracht. Auch Streitereien und Trennungen werden nicht tabuisiert.
Florian Schneider spielt mal einen Gemeindepräsidenten von Rapperswil, der über die Einbürgerung der Knies befinden muss. Bald darauf verkörpert er im schwarzen Ledermantel den Nazi-Gesandten in der Schweiz, Otto Köchler, der den Zirkus-Leuten unverhohlen droht. Neben Schneider fällt vor allem die Schweizer Sängerin, Schauspielerin und Musicaldarstellerin Brigitte Oelke auf, die als Mutter Knie inbrünstig dagegen ansingt, dass die Familie zerbricht. Und in allen Szenen ist die Artistencrew am Werk: Sie tanzen, spielen, zaubern und zeigen artistische Höchstleistungen.
Eindrücklich ist die Szene, in welcher der Zirkus in Berlin vor den Nazis auftritt. Im Hintergrund flackert die «Deutsche Wochenschau», sodass einem das Grauen den Rücken hinaufkriecht. Dann tritt der kleinwüchsige Clown (Peter Brownbill) auf und führt mit einem Satz in bester paradoxer Interventions-Manier die grössenwahnsinnige Nazi-Show ad absurdum: «Hier wird man nicht nach Zentimetern gemessen, sondern nach Charakter.»
Es liegt auf der Hand, dass das gut zweistündige Musical nicht alle massgebenden und prägenden Figuren der Zirkusdynastie, nicht alle historischen Wegmarken, Meilensteine und Weichen aufnehmen und umsetzen kann und will. Aber alles in allem wird dem Publikum in faszinierender und eindrücklicher Weise gezeigt, was den Mythos Knie ausmacht. Und mit dem lang anhaltenden Applaus wird klar: Zirkus ist alles – und alles ist Zirkus.
Das Zirkusmusical gastiert vom 5. November bis 22. Dezember im Musical-Theater Basel.
Florian Schneider
rob. Florian Schneider singt und spielt sieben Shows pro Woche. Es mache ihm unheimlich viel Spass, sagt er. Er wohnt allein in einem Häuschen ganz in der Nähe. Das Theatermachen sei fast wie in alten Zeiten, als er sich noch ganz dem Theater und dem Musical verschrieben hatte. «Es ist so schön, wieder am Theater zu sein. Das Theater war und ist immer mein Biotop. Und ich die Amöbe, die sich austoben kann.» Dass er heuer angesichts seines Musical-Engagements seine «Herzensarbeit», das Liedermachen und -singen, zurückstecken muss, bereue er nicht im Geringsten.
Wechselvolle Geschichte
rob. Als Begründer der Zirkusdynastie Knie gilt Friedrich Knie (1784–1850). Zunächst will er wie sein Vater gleichen Namens – Leibarzt der Habsburgerkaiserin Maria Theresia in Wien – Arzt werden. Doch dann bricht er 1803 zum Leidwesen seines Vaters sein Studium ab und schliesst sich einer Gauklergruppe an.
1806 gründet er mit Akrobaten und eigenen Pferden ein eigenständiges Unternehmen; als Wiener Seiltänzertruppe gastieren sie in zahlreichen deutschsprachigen Ländern. Er lernt Antonia Stauffer in Innsbruck kennen und lieben. Ab 1814 treten die Knies regelmässig auch in der Schweiz auf. Von den fünf Kindern übernimmt Karl Knie (1813–1860) nach dem Tod Friedrichs die Leitung des Zirkus. Karl und seine Frau Anastasia haben sieben Kinder. Als Karl 1860 verstirbt, führt Anastasia die Geschäfte weiter. Doch der deutsch-französische Krieg setzt dem Zirkus zu – er wird temporär aufgelöst.
Sohn Ludwig Knie (1842–1909) schafft es, die Arena wieder aufzubauen. Und weil der Nationalzirkus immer öfter in der Schweiz unterwegs ist, werden die Knies 1907 in Rapperswil eingebürgert. Sohn Louis verlässt die Familie und gründet in Deutschland eine eigene Arena. Nach Kriegsende wollen die vier Söhne Friedrich, Rudolf, Karl und Eugen die Freiluft-Arena durch ein 2500 Personen fassendes Circuszelt ersetzen. Natürlich gibt das Ärger in der Familie. Doch am 14. Juni 1919 erfolgt auf der Berner Schützenmatte die Premiere. Der Erfolg ist gross, doch in den Kriegszeiten wird das Leben hart – auch, weil die Knies bei den Nazis unbeliebt sind.
Verschiedene Turbulenzen führen zu Streit innerhalb der Familie. 1934 wird das Familienunternehmen in eine Aktiengesellschaft umgewandelt, aber verschiedene unternehmerische Entscheide bringen den Zirkus an den Rand der Existenz. Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs ist der Nationalzirkus Knie das Mass aller Dinge in der Manege. Die beiden Brüder Fredy (geboren 1946) und Rolf (1949) prägen das Unternehmen.
Ende 1992 ziehen sich die Brüder aus dem Zirkusgeschäft zurück; sie übergeben an ihre Söhne Franz (genannt Franco) und Fredy jun. Mittlerweile liegt die operative Leitung in den Händen der siebten Generation: Géraldine Knie ist künstlerische Leiterin und Franco Knie junior technischer Leiter. Der Zirkus Knie sowie Knies Kinderzoo (eröffnet 1962) sind im Besitz der Gebrüder Knie, Schweizer National-Circus AG in Rapperswil.