Gegen Armut und Verschwendung
07.03.2019 Bezirk Sissach, Gelterkinden2 Millionen Tonnen Nahrungsmittel landen in der Schweiz jährlich im Abfall, während über eine halbe Million Personen von Armut betroffen sind. Hier hilft die «Schweizer Tafel», die unverkäufliche Lebensmittel weitergibt. So auch an den «Lindenhof» in Gelterkinden.
Sara ...
2 Millionen Tonnen Nahrungsmittel landen in der Schweiz jährlich im Abfall, während über eine halbe Million Personen von Armut betroffen sind. Hier hilft die «Schweizer Tafel», die unverkäufliche Lebensmittel weitergibt. So auch an den «Lindenhof» in Gelterkinden.
Sara Keller
Rund 100 Kilogramm Esswaren sind im oberen Raum des Lindenhofs in Gelterkinden auf den uförmig aufgestellten Tischen ausgelegt. Auf einigen Produkten haftet ein oranger Aufkleber, der einen Preisnachlass von 50 Prozent signalisiert. Da sie trotzdem nicht vor Ablauf des Verkaufsdatums an den Mann gebracht werden konnten, dürfen sie nicht mehr in den Regalen der Detailhändler stehen. Dabei sind die Waren einwandfrei und das Ablaufdatum noch nicht überschritten. Hier im Lindenhof, einer der drei Abgabestellen, die Lebensmittel der «Schweizer Tafel» im Oberbaselbiet verteilen, können Bedürftige für einen symbolischen Beitrag von 1 Franken die unverkauften Lebensmittel aus den regionalen Coop-, Lidl-, Aldi- und Migros-Filialen sowie der Manor Liestal beziehen.
Das Projekt der gleichnamigen Stiftung sammelt seit 18 Jahren Esswaren, die nicht mehr verkauft werden dürfen, bei den Detailhändlern ein und übergibt sie sozialen Institutionen, Asylheimen, Frauenhäusern und selbstständigen Abgabestellen. Pro Jahr werden gemäss dem Bundesamt für Statistik (BFS) schweizweit 2 Millionen Tonnen Nahrungsmittel weggeworfen. Davon konnte die «Schweizer Tafel» im vergangenen Jahr 4007 Tonnen retten, wie das Projekt über seine Website mitteilt.
Abnehmer gibt es genug, denn Armut ist auch in der Schweiz ein Problem: 615 000 Personen sind gemäss dem BFS davon betroffen. Dies bedeutet, dass 7,5 Prozent der ständigen Wohnbevölkerung unter der definierten Armutsgrenze von durchschnittlich 2247 Franken pro Monat für eine Einzelperson und 3981 Franken pro Monat für eine vierköpfige Familie leben.
25 bis 40 Haushalte pro Region
Personen, die unter diesem Existenzminimum leben oder knapp darüber sind, können eine Tafelkarte beantragen. Diese berechtigen die Besitzer, die sich bei der Beantragung als Sozialhilfeempfänger oder Ergänzungsleistungsbezüger ausweisen müssen, Esswaren an den Abgabestellen zu beziehen. In Gelterkinden seien es 40 Haushalte mit bis zu sechs Personen, die eine Tafelkarte besitzen, so die Stellenleitende der Sozialberatung, Susann Schmidt. Zurzeit nehmen zwischen 25 und 30 Haushalte aus Gelterkinden und den umliegenden Gemeinden das Angebot im Lindenhof regelmässig wahr, so die Mitwirkende der Abgabestelle, Susi Buess. Die Wenslingerin führt zusammen mit zehn weiteren Organisatoren die wöchentliche Essensverteilung im Lindenhof ehrenamtlich durch. «Heute haben wir relativ wenig Ware, was sehr selten vorkommt, aber es gibt solche Ausnahmen», so Buess. «Normalerweise werden um die dreissig 10-Kilo-Kisten geliefert.»
Noch weniger ging an die Abgabestelle in Lausen, die es bereits seit über zehn Jahren gibt und die von knapp 40 Haushalten genutzt wird. 27 Haushalte aus Bubendorf, Ramlinsburg und Oberdorf beziehen wöchentlich Lebensmittel an der Abgabestelle des Bubendörfer Sozialprojekts «dr Dorfgeist», so dessen Projektleiter Steve Hunsperger. In Bubendorf seien 50 Prozent der Sozialhilfeempfänger im Besitz einer Tafelkarte, fügt er an. Dass nur ein Teil der Berechtigten das Angebot wahrnimmt, bedauert er: «Die Hemmschwelle ist immer noch sehr hoch und viele trauen sich nicht, die Dienstleistung in Anspruch zu nehmen.»
Damit die Aufteilung der Lebensmittel im Lindenhof fair erfolgt, wird die Reihenfolge, in welcher die Bedürftigen Esswaren aussuchen dürfen, zu Beginn bei einer offerierten Tasse Kaffee ausgelost und das Angebot abgezählt. «In der ersten Runde bekommt jeder gleich viel aus einer Kategorie», erklärt Simone Wohlleben, eine der ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen. «Wenn wir mehr Ware haben, bekommen sehr grosse Familien das Doppelte», fügt sie an.
Massenhaft Nichtsaisonales
Mit der aussergewöhnlich kleinen Menge ist dies heute aber nicht möglich. Es wird genau darauf geachtet, wer wie viel bekommt. Ein Laib Brot, ein paar Früchte, wenig Gemüse, ein Salat, eine Packung Fleisch, Fisch oder gar Gänseleber, vier Joghurts, eine Packung Rohrzucker und Kakao, ein Feingebäck und ein Brotaufstrich oder eine Suppe steht jedem der durchmischten Gruppe in der ersten Runde zu. «Es ist nicht einfach, immer wieder Nein zu sagen, wenn wir gefragt werden, ob noch eine Frucht oder ein Törtchen mitgenommen werden dürfe», so die ehrenamtliche Helferin Regine Polsini. Trotzdem sind die 26 Personen, die im Lindenhof Nahrungsmittel für ihren Haushalt beziehen, dankbar. Viele kennen die Helfenden persönlich und unterhalten sich kurz mit ihnen.
Was nach der ersten Runde übrig bleibt, wird in einem zweiten Durchgang verteilt, in dem die Familienvertreter gleichzeitig die letzten Produkte frei wählen können. Am Ende ist alles weg, auch Ungewöhnliches wie Nashi-Birnen und nichtsaisonales Obst und Gemüse wie Spargeln und Erdbeeren. «Schon seit Weihnachten bekommen wir regelmässig Spargeln, Erdbeeren und Heidelbeeren aus Spanien», so Buess. «Vielleicht hocken bald schon die ersten Osterhasen in einer Lieferkiste.» Waren, die ausserhalb ihrer Saison in den Regalen stehen, werden schlecht verkauft und in grossen Mengen an die «Schweizer Tafel» abgegeben, so Wohlleben. «An unserem Angebot sehen wir stets, was wirklich nachgefragt wird, und was nicht.»