Die Fichte überlebt, aber nicht bei uns
15.11.2018 Baselbiet, Sissach, NaturAnsgar Kahmen untersucht den Klimawandel
vs. In Anbetracht der Trockenheit des vergangenen Sommers und der lokalen Rodungen, die auf die niedrigen Niederschlagsmengen zurückzuführen waren, ist ein Forschungsprojekt in der Region von grossem Interesse: Ansgar Kahmen ...
Ansgar Kahmen untersucht den Klimawandel
vs. In Anbetracht der Trockenheit des vergangenen Sommers und der lokalen Rodungen, die auf die niedrigen Niederschlagsmengen zurückzuführen waren, ist ein Forschungsprojekt in der Region von grossem Interesse: Ansgar Kahmen untersucht in Hölstein, wie hiesige Bäume auf Trockenheit reagieren. An einem Podiumsgespräch in der Oberen Fabrik heute Abend spricht er darüber, welche Bäume den Klimawandel in der Schweiz überleben werden. Von Panikmache hält er nichts: Der Wald werde nicht verschwinden, aber er werde sich stark verändern.
«Die Fichte hat hier keine Zukunft»
Ansgar Kahmen äussert sich zum Schweizer Wald im Klimawandel
Ansgar Kahmen untersucht für die Universität Basel die Auswirkungen des Klimawandels auf den Wald. Der Wandel sei real, Panikmache aber fehl am Platz, sagt der 43-Jährige.
Elmar Gächter
Am Podiumsgespräch von heute Abend um 19 Uhr in der Oberen Fabrik werden Ansgar Kahmen von der Universität Basel und Ueli Meier, Leiter des Amts für Wald beider Basel, der Frage nachgehen, welche Baumarten den Klimawandel in unseren Breitengraden überleben werden. Professor Kahmen leitet unter anderem das 20 Jahre dauernde Experiment im Wald von Hölstein, das die Auswirkungen des Klimawandels untersucht. Die «Volksstimme» hat Ansgar Kahmen nach den bisherigen Erkenntnissen aus dem Trockenheitsjahr 2018 auf unsere Wälder befragt.
«Volksstimme»: Herr Kahmen, wie geht es unserem Wald zurzeit?
Ansgar Kahmen: Der Wald leidet unter dem aussergewöhnlichen Sommer, dem trockensten seit den ersten Erhebungen von 1865. Bei den Buchen war bereits im August ein starker Laubfall zu verzeichnen, der schon Befürchtungen aufkommen liess, sie würden wegsterben. Wir gehen jedoch davon aus, dass es ihnen noch relativ gut geht. Was wir aber jetzt beobachten, und worüber wenig berichtet wird, ist, dass die Fichten im Mittelland und in den tieferen Gebieten des Juras massiv betroffen sind. Auf unserer Forschungsfläche in Hölstein sind zehn Fichten bereits abgestorben, über 100-jährige Bäume, die den trockenen Sommer 2003 noch überlebt haben. Es sind kaum Käfer drin, sie sterben einfach so.
Weshalb zeigt sich die Buche resistenter gegen Trockenheit als die Fichte?
Bei der Buche darf man sich wegen des vorzeitigen Laubfalls nicht in die Irre führen lassen. Die Bäume haben im Lauf der Evolution Mechanismen entwickelt, wie sie mit extremen Wetter- und Klimabedingungen umgehen können. Diese sind ja nie konstant. Wir interpretieren den verfrühten Laubwurf eher als Schutzmechanismus des Baums gegenüber der Trockenheit. Er wirft seine Blätter ab, um nicht noch mehr Wasser zu verlieren. Vorher aber zieht der Baum ganz konzentriert seine Nährstoffe aus den Blättern zurück. Aber das flächendeckende Braun, das man dieses Jahr früh beobachten konnte, ist ein beunruhigendes Notsignal. Die Bäume zünden mit dem Abwurf der Blätter so quasi die letzte Eskalationsstufe. Ob der frühe Laubwurf der Buchen wirklich keinen Schaden an den Bäumen verursacht, können wir letztlich erst im kommenden Jahr beurteilen, wenn die Bäume wieder austreiben. Die Fichten können sich übrigens auf diese Art nicht vor Trockenheit schützen.
Und wie gehen andere Baumarten mit der Trockenheit um?
Grundsätzlich beobachten wir, dass die meisten Baumarten unter der Wasserknappheit leiden. Verschiedene, wie Elsbeere, Weisstanne, Eiche oder Hainbuche können damit relativ gut umgehen. Die Fichte hingegen, die ja aus dem alpinen Bereich stammt, hat in tieferen Lagen definitiv keine Zukunft.
Müssen wir künftig generell mit höheren Temperaturen und geringeren Regenmengen rechnen?
Die vom nationalen Kompetenzzentrum für Forschung gemessenen Durchschnittstemperaturen zeigen gegenüber 1865 einen Anstieg im Winter um 2 Grad und im Sommer einen solchen von 1,5 Grad. Dies sind schon erhebliche Zahlen. Die Niederschläge haben im Winter seit 1865 zugenommen und sie werden laut den Modellrechnungen künftig einigermassen konstant bleiben. Im Sommer ist bis jetzt keine markante Änderung festzustellen, aber die Wissenschaft geht davon aus, dass die Niederschlagsmengen nach unten kippen. Die mediterranen Wetterbedingungen werden in den Norden überschwappen. Wichtig ist, dass wir davon ausgehen, dass es vermehrt zu Extremereignissen kommen wird. Die Hitzesommer 2003, 2015 und 2018 sind hier gute Beispiele.
Kommen wir auf Ihr Waldexperiment zu sprechen. Weshalb ist es weltweit einzigartig?
Einmalig sind die lange Laufdauer von 20 Jahren und dass wir an diesem Standort in Hölstein sehr viele verschiedene Baumarten in unmittelbarer Nähe haben. Wir können mit unserem Experiment gezielt untersuchen, wie sich die Trockenheit auf unsere wichtigsten Baumarten auswirkt. Wir wollen dem Mechanismus auf den Grund gehen, weshalb einzelne Baumarten resistenter sind als andere.
Ist es in zwanzig Jahren nicht zu spät, um noch rechtzeitig handeln zu können?
Ich glaube, dass die Erkenntnisse, die wir sammeln, auch in 20 Jahren noch relevant sind. Natürlich wäre es gut gewesen, hätte man solche Experimente schon vor 30 oder 40 Jahren durchgeführt. Ob das Problembewusstsein schon damals gross genug war für die Finanzierung solcher Projekte, wage ich zu bezweifeln. Zudem lassen wir die Katze ja nicht erst am Projektende aus dem Sack, sondern gehen mit unseren Ergebnissen sehr offensiv um. Wir diskutieren beispielsweise laufend mit dem Amt für Wald, welche Konsequenzen in die Praxis umgesetzt werden können.
Die Forstfachleute versuchen ja heute schon, Baumarten zu fördern, die trockenheitsresistenter sind.
Es gibt eine Menge an Erfahrungen und Wissen in den Köpfen unserer Förster. Sie können beurteilen, welcher Baum an welchem Standort besonders gut wächst. Aus diesen Erfahrungen kann man wertvolle Schlüsse ziehen. Wir versuchen für diese Erfahrungswerte nun auch die wissenschaftliche Basis zu schaffen, um mit klaren Fakten belegen zu können, ob beispielsweise die Buche ein Baum für die Zukunft ist oder nicht.
Welche Baumarten werden aus Ihrer Sicht sicher überleben?
Die Baumarten, die wir in der Schweiz haben, werden aufgrund des Klimawandels nicht komplett verschwinden. Dafür ist die Schweiz mit ihren verschiedenen Lebensräumen viel zu heterogen. Aber wir werden Verschiebungen in der Artenverteilung erleben. Die Fichte wird an den meisten Standorten verschwinden. Die Buche wird weniger dominant sein, aber sicherlich an Nordhängen und weniger sonnenexponierten Lagen weiterhin einen starken Bestand haben. Bäume wie die Elsbeere, die Hainbuche und die Linde werden zunehmen.Aber man darf nicht vergessen, dass unser Wald keine Wildnis ist. Er wird vom Förster gesteuert, der schliesslich entscheidet, welcher Baum wo wächst.
Müssen wir um die Zukunft des Waldes fürchten?
Ganz wichtig ist aus meiner Sicht, dass wir nicht in Panikmache verfallen. Der Klimawandel ist real und wir werden Veränderungen sehen in der Natur, auch in der Vegetation. Der Wald wird jedoch nicht verschwinden. Aber wir möchten mit unserem Experiment das Wissen schaffen, um Entscheidungen auf rationalen Argumenten aufbauen zu können. Nur so können wir den Wald an das Klima der Zukunft anpassen.
Zur Person
emg. Der 43-jährige Ansgar Kahmen hat an den Universitäten Wien und der University of California in Santa Cruz (USA) Botanik und Pflanzenökologie studiert. Seit 2013 ist er Professor für Physiologische Pflanzenökologie an der Universität Basel. Er ist verheiratet und wohnt mit seiner Frau und den drei Kindern in Oberwil.