«Die Malerei hält mich am Leben»
30.11.2018 Bezirk Sissach, RünenbergDer Maler Christian Gusewski sitzt täglich im Atelier
Ein Oeuvre von über 3000 Werken hat Christian Gusewski in seinem Leben geschaffen. Mit seiner Frau Gunna gründete er darüber hinaus das Kulturzentrum «ArtRü» in Rünenberg – ein Treffpunkt für ...
Der Maler Christian Gusewski sitzt täglich im Atelier
Ein Oeuvre von über 3000 Werken hat Christian Gusewski in seinem Leben geschaffen. Mit seiner Frau Gunna gründete er darüber hinaus das Kulturzentrum «ArtRü» in Rünenberg – ein Treffpunkt für Kulturinteressierte.
Irène Böhm
Christian Gusewski malt seit über 60 Jahren und könnte sich ein Leben ohne die Malerei nicht vorstellen. Schon als Kind faszinieren ihn die Farben und die Stimmung am Himmel bei Sonnenauf- und Untergang. Ein Schlüsselerlebnis hat er als Achtjähriger, als ihn seine Oma ins Kino mitnimmt, wo ein Vorfilm über Franz Marc’s «Tierschicksale» gezeigt wird: ein monumentales Gemälde, entstanden 1913, das in starken Farben eine Katastrophe für die Tierwelt darstellt und in beängstigender Weise den Ersten Weltkrieg vorausahnt. «Wäre dieses Erleben nicht gewesen, wäre ich nicht Maler geworden», sagt der heute 75-Jährige.
Jahrzehnte später, längst im Grossraum Basel wohnhaft, beeindruckt ihn dieses Bild erneut: er steht im Kunstmuseum Basel vor dem Original. Es schliesst sich ein Kreis und er ist sich nicht sicher, ob ihn die Antroposophie von Rudolf Steiner in diese Gegend geführt hat, oder die «Tierschicksale».
In seinem langen Schaffen sind über 3000 Bilder, Zeichnungen und Objekte entstanden, sogenannte «Recycling Lyrics». In platt gefahrene Büchsen fräst er einen poetischen Text, teilweise in derselben Schrift wie das Produkt. Auch heute noch steht Gusewski täglich im Atelier und malt oder archiviert mit einer Helferin seine Bilder: «Ein Riesenaufwand.» Zurzeit arbeitet er an unfertigen Bildern, die zum Teil jahrzehntealt sind und setzt sich mit dem Maler im Bild auseinander, das heisst, er malt den Maler mit seiner Stimmung in das Bild.
Geboren wird er in Ostpreussen in der Nähe von Königsberg, dem heutigen Kaliningrad. Der Zweite Weltkrieg tobt und kurz vor der Kapitulation Deutschlands gelingt seiner Mutter, mit ihm auf dem Arm, die Flucht vor den Russen. Sie erwischt einen der letzten Fischkutter, der die Danziger Bucht verlässt. Es ist Januar 1945 und er ist gerade mal zwei Jahre alt. Sein Vater wurde in die Wehrmacht eingezogen und kommt in britische Gefangenschaft. «Zum Glück», betont Gusewski.
In Berlin Malerei studiert
Er wächst als Flüchtling im eigenen Land an der Ostsee auf und seine Eltern stecken ihn nach der Schule erst mal in eine Lehre als Werftarbeiter. Er lacht und sagt: «Etwas musste ich ja machen.» Doch eigentlich ist die Malerei sein Ding. Er zieht nach Berlin, studiert dort Malerei und lernt seine zweite Frau Gunna kennen, mit der er fast 50 Jahre zusammen sein wird.
Nach einem Abstecher in die Provence kommen die beiden mit ihren Kindern nach Dornach, wo Gunna ihre Ausbildung zur Heileurythmistin beendet. Wenig später können sie ein grosses Haus in Rünenberg übernehmen. Hier gründen sie das kleine und feine Kulturzentrum «ArtRü». Es wird zu einem Haus der Begegnung und der Kunst, wo sich Menschen aus aller Welt zu Seminaren, Ost-West-Begegnungen, Ausstellungen und Konzerten treffen.
Christian Gusewski blättert versonnen im Gästebuch. «Es ist vor allem Gunnas Verdienst», resümiert er. Seit sie vor drei Jahren einen Herzstillstand erlitt, organisiert Christian nur noch wenige Anlässe. Damals in den 1980er- und 1990er-Jahren organisieren sie viele Ost-West-Gespräche, wie sie es nennen. Bekannte Vertreter verschiedener Weltreligionen treffen sich zum Austausch: Antroposophie, west-östliche Geistigkeit und Musik oder Kulturgeschichte werden behandelt, um nur einige Themen zu nennen.
Seminare werden Selbstläufer
«Selbst Jean Tinguely war mal zu Besuch», schmunzelt er, «das war ein Seminar über Kunst und Kunsterkenntnis.» Aus den Kontakten, die beide bei ihrer Lehrtätigkeit in Kiew ab 2001 knüpfen können, entstehen weitere Anlässe. «Anfangs bestanden noch Kontakte aus unserer Berliner Zeit, später wurden die Seminare zum Selbstläufer, sodass wir kaum Dozenten suchen oder anschreiben mussten», erklärt Christian Gusewski. In Kiew unterrichtet Gunna Eurythmie und Heileurythmie und baut eine Heileurythmie-Ausbildung auf, an deren Abschlusstag 2016 sie dann leider nicht mehr gehen kann.
«Der Tod hält mich wach», zitiert Christian Gusewski einen Ausspruch von Joseph Beuys und ergänzt: «… und die Malerei hält mich am Leben.»
Weitere Informationen: www.artrue.ch