Ein Umbau für mehr Privatsphäre

  10.08.2018 Baselbiet, Bezirk Sissach, Rothenfluh

Michèle Degen

Das wohl berühmteste Pfarrhaus im Baselbiet wird renoviert. Ende März ist Chüngeli-Pfarrer Lukas Baumann – auch bekannt als Geissel-Pfarrer – aus dem Pfarrhaus in Rothenfluh ausgezogen. Baumann war 2015 bekannt geworden, weil seine Ehefrau Kaninchen, die sie vor der Schlachtbank rettete, im Pfarrhaus unterbrachte. Schon das kam bei Teilen der Bevölkerung nicht gut an, doch als auf die Kaninchen Mäuse folgten, lief das Fass über und Baumann trat vergangenen Herbst zurück. Wo vor wenigen Monaten noch Mäuse durch die Räume huschten – diese fielen dem Kammerjäger zum Opfer – gehen nun Bauarbeiter ein und aus. Vor drei Monaten haben die Renovationsarbeiten begonnen, im Herbst sollen sie beendet sein. Das grosse Haus an der Ormalingerstrasse hat bereits einen neuen Anstrich und rote Fenstersimse erhalten.

Im Innern des leer geräumten Hauses sind Handwerker emsig bei der Arbeit. Es riecht nach frischer Farbe und kaltem Stein. «Hier hielt Frau Baumann die Kaninchen», sagt Martin Innerbichler unumwunden in einem der Erdgeschoss-Kellerräume gegen die Untere Etzmatten. Innerbichler ist Verwalter der Stiftung Kirchengut, die Eigentümerin einer ganzen Reihe von Kirchen und Pfarrhäusern im Baselbiet ist.

Und tatsächlich: Wer das Zimmer aufmerksam betrachtet, merkt, dass in dem Raum einmal Tiere gehaust haben. Es riecht nach Stroh. Ansonsten sind keine Hinweise auf die Nagetiere zurückgeblieben, was die Neugier auf die oberen Stockwerke des ehrwürdigen Hauses verstärkt. Schliesslich waren laut eigener Aussage der Pfarrersfrau auch im Sitzungszimmer diverse Kaninchen untergebracht. Und überhaupt, bis zum Schluss der Ära des umstrittenen Ex-Pfarrers sollen Mäuse laut Dorfgeschwätz das ganze Haus bevölkert haben. Nie mehr bekomme man den Gestank aus den Räumen, erzählte sich die Bevölkerung und die mediale Berichterstattung tat ihr Übriges.

Ein glücklicher Zufall
Der Eindruck am oberen Ende der Treppe in den ersten Stock ist daher ernüchternd. Ist das Haus von Nagern zerfressen? Nein. Stinkt es nach Kot? Auch nicht. Es ist schön, es ist riesig und es ist alt. 484 Jahre, um genau zu sein. Die letzte Gesamtrenovation des Pfarrhauses fand Mitte der 1960er-Jahre statt. Normalerweise führe man eine solche Renovation alle 30 Jahre durch, so Innerbichler. Dazwischen werden die notwendigen Arbeiten bei einem Pfarrerwechsel erledigt.

In Rothenfluh habe es diesmal länger gedauert bis zur nächsten Gesamtrenovation, was finanziell gesehen vielleicht gar kein schlechter Zufall gewesen sei. «Alles, was wir nun renovieren, hätte sowieso gemacht werden müssen», so Innerbichler. «Mit dem ehemaligen Pfarr-Ehepaar hat das nichts zu tun.» Wäre jedoch zuerst renoviert worden und die Baumanns wären erst danach eingezogen, müsste man vielleicht einen grösseren Teil der etwa 520 000 Franken, welche die Renovation heute kostet, nochmals ausgeben.

Nun wurden im ganzen Haus die Heizung, alle elektrischen Installationen und die sanitären Anlagen komplett saniert. Zudem sind die Fenster neu. Neu sind auch alle Leitungen, die mit jedem zusätzlichen Anbau des Hauses einfach so ergänzt wurden, wie es gerade passte. Dabei achten die Planer darauf, so viel von der sichtbaren Geschichte des Gebäudes beizubehalten wie möglich.

Konfliktpotenzial lauert in der Stube
Stuckdecken und viele weitere architektonische Zeitzeugen aus früheren Jahrhunderten wurden bei der Renovation in den 1960ern allerdings entfernt. Damals wurde das Haus sowohl innen als auch aussen stark verändert. Das sei aus heutiger Sicht zwar schade, habe jedoch dem damaligen Zeitgeist entsprochen, sagt Matthias Werthmüller, der in Rothenfluh wie schon bei den Pfarrhäusern in Gelterkinden und Ormalingen als Architekt amtet. «Ein Pfarrhaus zu renovieren ist etwas sehr Spezielles», sagt der Rothenflüher. «Ich freue mich, wenn wieder etwas Altes zum Vorschein kommt, und es ist eine Herausforderung, das bei den Arbeiten so zu integrieren, dass es zur Geltung kommt».

Die Geschichte des Pfarrhauses umfasst weit mehr als die Amtszeit von Pfarrer Baumann, durch die das Gebäude bekannt wurde. Denn auch im berüchtigten Sitzungszimmer sind keine Anzeichen tierischer Untermieter zurückgeblieben. Die Räume des altehrwürdigen Hauses haben in den vergangenen 500 Jahren wohl schon ganz anderes durchgemacht.

Die vermutlich wichtigste Neuerung im Haus ist der Ausbau der Kellerräume im Erdgeschoss. Sie sollen zu Büros umfunktioniert werden, damit Arbeits- und Wohnraum in Zukunft getrennt sind. Wie in vielen Pfarrhäusern war bisher die Stube der Familie auch das Sitzungszimmer des Pfarrers. Wer den Pfarrer geschäftlich besuchte, ging im ganzen Haus umher, in dem die Familie parallel haushaltete, Hausaufgaben machte, oder Freunde traf. Bis heute stellt die Kirchgemeinde hohe Ansprüche an die Mitglieder der Pfarrfamilie betreffend die Frage, was sich für ein Mitglied der Familie geziemt und was nicht. Unter den prüfenden Blicken der Kirchgemeindemitglieder kapitulierte schon manche Ehefrau, wie Innerbichler sagt. «Diese Wohn-Arbeits-Situation hält eine Menge Konfliktpotenzial bereit, weswegen es schon an vielen Orten ‹klöpfte›.»

Zwei Kandidaten für das Pfarramt
Die Stiftung Kirchengut versucht deshalb bei Renovationsarbeiten ihrer Pfarrhäuser, den Arbeitsbereich vom Wohnraum der Familie zu separieren, um Problemen vorzubeugen. So wurde es bereits bei den Pfarrhäusern in Ormalingen und Gelterkinden gemacht. Doch die Pfarrgebäude seien für die Gemeinden sehr emotionale Angelegenheiten, so Innerbichler. «Die Mitglieder der Kirchgemeinde gingen hier seit ihrer Kindheit ein und aus, zu Konfirmationsunterricht, Hochzeit,Taufe, Beerdigung und allen möglichen Sitzungen», sagt Innerbichler. «Dass sie nach dem Umbau nur noch zu einem Teil des Hauses Zutritt haben, ist eine grosse Umstellung.» Damit die Bevölkerung trotzdem einen Eindruck der umgestalteten Räumlichkeiten bekommt, plant die Kirchenpflege für den Herbst einen Tag der offenen Tür, sodass alle, die es wundernimmt, einen Blick ins renovierte Pfarrhaus werfen können. Danach zieht im Optimalfall der neue Pfarrer oder die neue Pfarrerin in die Wohnung.

Wer das ist, steht noch nicht fest. Wie der interimistisch waltende Kirchenpflegepräsident Rudolf Beljean verrät, sind derzeit zwei Kandidaturen offen. Einer der beiden Kandidaten ist Pfarrer Beat Hächler, der am Sonntag in der Kirche in Rothenfluh den Gottesdienst halten wird, um sich so der Gemeinde vorzustellen. Beide Kandidaten würden ins Pfarrhaus einziehen. Doch auch wenn künftig einmal ein Pfarrer mit externem Wohnsitz amten würde, blieben die Erdgeschossräume – bisher als Kellerräume genutzt – die Arbeitsräume für die Pfarrperson. Laut Beljean sei durchaus denkbar, dass in diesem Fall die Wohnung darüber anderweitig vermietet werden könnte.

Mäuse gibt es übrigens immer noch im Pfarrhaus. «Sie wurden nun zur Luftwaffe befördert», scherzt Innerbichler. Im Dachstock hat sich eine Kolonie seltener Fledermäuse – Grosses Mausohr heisst die Art – ihre Wohnstube eingerichtet. Im Gegensatz zu Baumanns unbeflügelten Exemplaren sind diese Tierchen im Pfarrhaus jedoch offiziell willkommen und geschützt.


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